idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
16.09.2024 15:03

„Das ist eine Mammutaufgabe“ – Interview mit ISOE-Experte Thomas Friedrich zum Stand der Klimaanpassung in Kommunen

Melanie Neugart Wissenskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung

    Am 1. Juli ist das erste bundesweite Klimaanpassungsgesetz in Kraft getreten. Damit werden Anpassungsmaßnahmen zur staatlichen Aufgabe: Bund, Länder und Kommunen müssen auf allen Verwaltungsebenen Vorsorge gegen die Folgen der Klimakrise treffen. Städte, Landkreise und Gemeinden sind jetzt stark gefordert. Was brauchen sie, um sich gegen Hitze, Dürren oder Starkregen zu wappnen? Ein Forschungsteam unter der Leitung des ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung hat dazu im Auftrag des Umweltbundesamtes eine repräsentative Kommunalbefragung durchgeführt. Ein Gespräch mit Projektleiter Thomas Friedrich über die Reaktionen aus mehr als tausend Kommunen.

    Städte und Gemeinden müssen klimafest werden. Die Planung und Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen stellt Kommunen allerdings vor große Herausforderungen. Wie schätzen die Verantwortlichen in den Kommunen diese Aufgabe selbst ein?

    Klimaanpassung ist eine Mammutaufgabe für viele Städte, Gemeinden und Landkreise, weil sie weitreichende Herausforderungen für kommunale Planungsabläufe und Strukturen mit sich bringt. Ein Großteil der Verantwortlichen in den Kommunen spürt die Folgen des Klimawandels. Fast zwei Drittel der Befragten schätzen den Handlungsbedarf für Klimaanpassungsmaßnahmen in den kommenden zehn Jahren als hoch oder sehr hoch ein. Die Anstrengungen werden umso höher eingeschätzt, je größer die Kommune ist. Vielfach fehlt es ihnen für die Erstellung von Klimaanpassungskonzepten oder die Planung und Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen nach eigenen Angaben noch an spezifischem Wissen, Ressourcen oder Unterstützung.

    Für die Kommunalbefragung zur Klimaanpassung haben Sie insgesamt mehr als tausend Städte, Landkreise und Gemeinden befragt. Damit liegt der aktuell umfassendste Datensatz zum Stand und Fortschritt der Klimaanpassungsmaßnahmen in deutschen Kommunen vor. Gibt es ein Ergebnis, das Sie besonders überrascht hat?

    Unser Ziel war es ja, mit unserer Befragung nicht nur die Kommunen zu erreichen, die bereits sehr aktiv sind bei der Klimaanpassung. Wir wollten vor allem auch diejenigen erreichen, die sich gerade erst auf den Weg gemacht haben. Das sind insbesondere kleinere und mittlere Städte und Gemeinden. Diese waren in ähnlichen Kommunalbefragungen bisher meist unterrepräsentiert. In unserer Stichprobe haben 57 Prozent der Kommunen weniger als 20 000 Einwohner*innen, was uns sehr freut. Aber es gab noch eine zweite Überraschung.

    Nämlich?

    Es hat mich auch überrascht, dass eine deutliche Mehrheit der Kommunen beim Thema Klimaanpassung zwar bereits aktiv ist, die Bearbeitung des Themas innerhalb der kommunalen Verwaltungen allerdings sehr unterschiedlich verankert ist. Das hat viel mit den Kommunengrößen und Kommunentypen zu tun, also ob es sich zum Beispiel um eine kleine Gemeinde handelt, eine kreisfreie Stadt oder einen Landkreis. Die Verantwortlichkeit für das Thema Klimaanpassung ist dann entsprechend in unterschiedlichen Fachbereichen angesiedelt und hängt natürlich auch davon ab, welche Bereiche es überhaupt gibt. Bei kleinen Städten und Gemeinden liegt die Verantwortung eher bei der Stadtplanung und -entwicklung, während in mittelgroßen Städten die Zuständigkeit oft bei den Umweltämtern liegt. Große Städte haben häufiger ein eigenständiges Klimareferat oder dergleichen.

    Welche Maßnahmen werden bereits umgesetzt?

    Eine typische Maßnahme ist die Pflege von Grünflächen und deren klimaangepasste Umgestaltung. Etwas mehr als die Hälfte aller Kommunen gab an, öffentliche Grünflächen bei Hitze und Trockenheit zu bewässern. Etwa ein Drittel der Kommunen nannte die Auswahl klimaangepasster und standortgerechter Baum- und Pflanzenarten oder Maßnahmen zur Renaturierung von Gewässern und Grünland. Vielfach werden aber auch Maßnahmen geplant oder umgesetzt, die überhaupt erst die Voraussetzungen für Klimaanpassungsmaßnahmen schaffen, wie zum Beispiel Aktionen zur Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung. Und das ist auch gut so. Denn für eine dauerhaft erfolgreiche Umsetzung von Maßnahmen zur Klimaanpassung ist die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung ganz entscheidend. Dazu gehört auch, dass die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Klimaanpassung nachvollzogen werden kann.

    Und wo stoßen Kommunen an ihre Grenzen?

    Als mit Abstand größte Herausforderung bei der Planung und Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen werden fehlende personelle und finanziellen Ressourcen genannt. Aber auch, und das war dann die dritte Überraschung, die kommunale Verwaltungsstruktur. Mehr als 80 Prozent der Befragten gaben an, dass die Aufgabe Klimaanpassung die vorhandenen Strukturen in der Kommunalverwaltung herausfordert. Das hat viel damit zu tun, dass das Querschnittsthema Klimaanpassung in den Zuständigkeiten von mehreren Ämtern oder Fachbereichen liegt. Das heißt, für eine gelingende Klimaanpassung ist eine fachbereichsübergreifende Kooperation innerhalb der Kommunen notwendig und die muss gut koordiniert und gewollt werden.

    Wie können Kommunen bestmöglich unterstützt werden?

    Was die finanziellen Ressourcen betrifft, sind natürlich auch Bund und Länder angesprochen, die ja schon vielfach Förderprogramme anbieten. Man muss aber auch sehen, dass viele Mittel nicht abgerufen werden, weil qualifiziertes Personal für die Antragstellung in den Kommunen fehlt. Darauf muss man reagieren. Hier ist der Ansatz, gezielt die Einstellung von kommunalen Klimaanpassungsmanager*innen zu fördern, sicherlich richtig. In etwa zwölf Prozent der Kommunen arbeiten bereits solche Fachleute.

    Fast 90 Prozent der Kommunen haben demnach keine Fachkraft für Klimaanpassungsmanagement. Sind mehr solcher Fachleute die Lösung?

    Grundsätzlich wäre es natürlich zu begrüßen, wenn alle Kommunen eigenes Personal für Klimaanpassungsmanagement einstellen könnten. Jedoch brauchen diese Expert*innen innerhalb ihrer Kommunen eine breite Unterstützung, damit sie nicht zu Einzelkämpfer*innen werden. Wir haben gesehen, dass lediglich 22 Prozent der befragten Kommunen den Stellenwert, den das Thema Klimaanpassung in ihrer Verwaltung hat, mit „hoch“ angegeben haben. Und das, obwohl der kommende Handlungsbedarf überwiegend als „hoch“ oder „sehr hoch“ eingeschätzt wird. Hier fehlt es oftmals noch an Akzeptanz und einem Dringlichkeitsbewusstsein für das Thema innerhalb der Verwaltung und der Politik.

    Gibt es weitere Unterstützungsmöglichkeiten für die Kommunen?

    Nicht zu unterschätzen ist der interkommunale Austausch zum Thema Klimaanpassung, der vielerorts auch schon stattfindet. Die Bildung von kommunalen Netzwerken ist gerade dort sehr sinnvoll, wo es um mehr als nur Informationsaustausch geht. Der Austausch von Erfahrungen zwischen Kommunen unterschiedlicher Entwicklungsstufen bietet eine echte Chance, durch praxisnahe Einblicke voneinander zu lernen.

    Kann auch die Forschung unterstützend tätig werden?

    Auf jeden Fall. Als Forschende müssen wir uns überlegen, wie wir unser Wissen über Notwendigkeit, Dringlichkeit und Machbarkeit von Klimaanpassungsmaßnahmen so aufbereiten können, dass Kommunen es aufgreifen und gut damit arbeiten können. Jemand, der unter Hochdruck versucht, Maßnahmen zu koordinieren, hat schlichtweg keine Zeit, um Studien zu lesen. Daher ist es auch Aufgabe der Forschung, Formate für den Wissenstransfer zu entwickeln, die an die Wissensbedarfe und den Arbeitsalltag in den Kommunen angepasst sind. Am ISOE haben wir uns in den letzten Jahren sehr intensiv mit forschungsbasiertem Wissenstransfer beschäftigt, Formate und Wege entwickelt, die gerade auch Behörden gezielt adressieren. Beispielsweise erarbeiten wir aktuell im Auftrag eines hessischen Ministeriums Transferformate für Kommunen zum Thema Klimaanpassung. Dabei geht es genau darum, nämlich den Wissenstransfer passgenau auf die Bedarfe der Kommunen zuzuschneiden. Hier gibt es sicherlich noch viel Potenzial, etwa für Formate, die insbesondere die Unterschiede zwischen den Kommunen noch besser berücksichtigen.

    Dr. Thomas Friedrich leitet am ISOE das Forschungsprojekt „KomKlAn – Wo stehen die Kommunen bei der Anpassung an den Klimawandel und wie kommen sie zu multifunktionalen und transformativen Anpassungslösungen?“, in dem im Herbst 2023 die bundesweite „Kommunalbefragung Klimaanpassung 2023“ durchgeführt wurde.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Thomas Friedrich
    KomKlAn – Stand und Fortschritt kommunaler Klimaanpassung in Deutschland
    ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung
    thomas.friedrich(at)isoe.de


    Originalpublikation:

    Friedrich, Thomas/Immanuel Stieß/Georg Sunderer/Celina Böhmer/Waldemar Murawski/Frederik Knirsch/Antje Otto/Bianca Wutzler/Annegret Thieken (2024): Kommunalbefragung Klimaanpassung 2023. Climate Change, 34. Dessau-Roßlau https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/kommunalbefragung-klimaanpassung-20...


    Weitere Informationen:

    http://Mehr Informationen zum Forschungsprojekt KomKlAn – Stand und Fortschritt kommunaler Klimaanpassung in Deutschland https://www.isoe.de/nc/forschung/projekte/project/komklan/


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).