idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
04.11.2024 11:58

Tiefseekorallen beherbergen bisher unbekannte Bakterien mit extrem kleinem Genom

Ute Kehse Presse & Kommunikation
Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg

    Im Gewebe von zwei Tiefseekorallen aus dem Golf von Mexiko hat ein deutsch-amerikanisches Forschungsteam zwei erstaunliche Bakterienarten entdeckt. Die zuvor unbekannten Symbionten der Korallen besitzen ein extrem kleines Genom und sind nicht einmal in der Lage, aus Kohlenhydraten selbst Energie zu gewinnen. Das berichtet das Team in der Zeitschrift Nature Communications. Die Arten zählen zu einer neuen Familie.

    Im Gewebe von zwei Tiefseekorallen aus dem Golf von Mexiko hat ein deutsch-amerikanisches Forschungsteam um Prof. Dr. Iliana Baums vom Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB) und Dr. Samuel Vohsen von der Lehigh University in den USA zwei erstaunliche Bakterienart entdeckt. Die zuvor unbekannten Symbionten der Korallen besitzen ein extrem kleines Genom und sind nicht einmal in der Lage, aus Kohlenhydraten selbst Energie zu gewinnen. Das berichtet das Team in der Zeitschrift Nature Communications. „Diese Art ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie wenige Gene es für ein funktionsfähiges Lebewesen braucht“, sagt Autorin Baums.

    Das Forschungsteam untersuchte mehrere Kolonien von zwei Arten von Hornkorallen im Golf von Mexiko. Die Spezies Callogorgia delta und Callogorgia americana kommen in Wassertiefen zwischen 300 und 900 Metern vor, wo es komplett dunkel ist. Bei ihren Analysen entdeckten die Forschenden die bislang unbekannten, eng verwandten Bakterienarten aus der Klasse Mollicutes – einer Gruppe von Bakterien, die häufig als Parasiten auf oder in Zellen von Pflanzen, Tieren und auch Menschen leben und teils Krankheiten verursachen. Anhand von genetischen Analysen schlagen die Forschenden vor, die beiden Arten einer neuen Familie mit dem Namen Oceanoplasmataceae zuzuordnen.

    Weitere Untersuchungen ergaben, dass die Bakterien als dominante Symbionten der Korallen in einer gallertartigen Gewebeschicht leben, durch die Nährstoffe transportiert werden und die der Immunabwehr dient. Die eine Art (Oceanoplasma callogorgiae) besitzt nur 359 Gene, die Proteine für unterschiedliche Stoffwechselfunktionen codieren, die andere (Thalassoplasma callogorgiae) 385 Gene. Zum Vergleich: Das Darmbakterium Escherichia coli besitzt mehr als 4.000 solcher Gene, der Mensch rund 21.000. Wie der Stoffwechsel der beiden neu entdeckten Mikroben mit einem so abgespeckten Genom funktionieren kann, gibt den Forschenden bislang Rätsel auf: „Diese Bakterien haben noch nicht einmal Gene für einen normalen Kohlenhydrat-Metabolismus, also um aus Kohlenhydraten Energie zu gewinnen – etwas, das eigentlich jedes Lebewesen hat“, sagt Baums. Den Untersuchungen zufolge können sie als Energiequelle lediglich die Aminosäure Arginin verwenden, die sie von der Wirtskoralle erhalten. „Aus dem Abbau der Aminosäure lässt sich jedoch nur sehr wenig Energie gewinnen. Dass den Bakterien das zum Leben reicht, ist wirklich erstaunlich“, sagt Baums. Auch andere essentielle Nährstoffe erhalten die Bakterien von ihrem Wirt.

    Ob die Mikroben reine Parasiten sind oder ob auch die Korallen von ihren Symbionten profitieren, ist unklar. Der genetischen Analyse zufolge verfügen die beiden Bakterienarten über verschiedene Verteidigungsmechanismen, um fremdes Erbgut zu entfernen – sogenannte CRISPR/Cas-Systeme, die auch in der Biotechnologie zum Editieren von Genen Einsatz kommen. Diese Fähigkeiten könnten möglicherweise auch für die Wirtskorallen nützlich sein, um Krankheitserreger abzuwehren, vermuten die Forschenden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass die Bakterien ihrem Wirt durch den Abbau von Arginin Stickstoff zur Verfügung stellen.

    Für Baums, die sich in ihrer Forschung sowohl mit der Ökologie als auch mit der Evolution von Korallen befasst, bieten die Symbionten eine Möglichkeit, um Einblicke in die Geschichte der vielfältigen Tiergruppe zu erhalten. „Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass Korallen so viele unterschiedliche Lebensräume besiedeln, obwohl sie vom Bauplan her sehr einfache Tiere sind“, sagt die Forscherin. Entscheidend dafür, dass Korallen sich an unterschiedliche Umweltbedingungen anpassen können, seien die Symbionten: „Sie stellen Stoffwechselfunktionen bereit, die die Korallen selbst nicht haben“, erläutert Baums. Tropische Korallen in flachen, lichtdurchfluteten Gewässern sind beispielsweise auf Algen angewiesen, die Photosynthese betreiben und den Tieren Nahrung und Energie bereitstellen. Kaltwasserkorallen, von denen viele in der dunklen und nährstoffarmen Tiefsee leben, sind wahrscheinlich auf Bakterien angewiesen, um Nährstoffe umzuwandeln oder Energie aus chemischen Verbindungen zu gewinnen.

    Die Evolutionsökologin und Korallenexpertin Baums, die am Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB) forscht, hat eine gemeinsame Professur der Universität Oldenburg und des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven inne. An der aktuellen Studie waren neben Baums und Vohsen auch Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen, der Universität Kiel und der Pennsylvania State University beteiligt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Iliana Baums, Tel.: 0471/4831-2536, E-Mail: iliana.baums@hifmb.de


    Originalpublikation:

    Samuel Vohsen et al: “Discovery of deep-sea coral symbionts from a novel family of marine bacteria, Oceanoplasmataceae, with severely reduced genomes”, Nature Communications 15, 9508 (2024). doi.org/10.1038/s41467-024-53855-5


    Weitere Informationen:

    http://hifmb.de/de/personen/iliana-baums/


    Bilder

    Die Tiefseekoralle Callogorgia delta ist im Golf von Mexiko häufig in der Nähe von kalten Quellen zufinden, das Foto ist in einer Tiefe von 439 Metern entstanden. Die rosafarbenen Schlangensterne sind vermutlich nützlich.
    Die Tiefseekoralle Callogorgia delta ist im Golf von Mexiko häufig in der Nähe von kalten Quellen zu ...

    Creative Commons CC0 1.0 Ecogig Consortium

    Diese Tiefsee-Lebensgemeinschaft wurde 2016 in einer Tiefe von 624 Metern im Mississippi-Canyon entdeckt. Im Vordergrund sind Röhrenwürmer der Art Lamellibrachia luymesi sowie eine Muschel der Art Acesta oophaga sowie weitere Tiere zu sehen.
    Diese Tiefsee-Lebensgemeinschaft wurde 2016 in einer Tiefe von 624 Metern im Mississippi-Canyon entd ...

    Creative Commons CC0 1.0 Ecogig Consortium


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Die Tiefseekoralle Callogorgia delta ist im Golf von Mexiko häufig in der Nähe von kalten Quellen zufinden, das Foto ist in einer Tiefe von 439 Metern entstanden. Die rosafarbenen Schlangensterne sind vermutlich nützlich.


    Zum Download

    x

    Diese Tiefsee-Lebensgemeinschaft wurde 2016 in einer Tiefe von 624 Metern im Mississippi-Canyon entdeckt. Im Vordergrund sind Röhrenwürmer der Art Lamellibrachia luymesi sowie eine Muschel der Art Acesta oophaga sowie weitere Tiere zu sehen.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).