Mit Parasiten infizierte Schwalben bewegen sich weniger und in kleineren Aktionsradien als gesunde – mit nachteiligen Auswirkungen auf ihre Nahrungssuche und ihr Überleben. Sie nehmen häufig mit weniger ergiebigen Gebieten wie Ackerschlägen vorlieb, die von ihren gesunden Artgenossen gemieden werden. Obwohl die infizierten Schwalben keine äußerlich erkennbaren Symptome aufweisen, konnten Forschende vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und der Universität Potsdam die negativen Effekte dieser Infektionen mit dem hochauflösenden Trackingsystem ATLAS nachweisen, welches im Sekundentakt präzise Positionsdaten von Schwalben mit ultraleichten Sendern aufzeichnet.
Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Communications Biology“ publiziert.
Infizierte Tiere zeigen häufig keine erkennbaren Symptome und Tierpopulationen erscheinen gesund. Besonders bei parasitären Infektionen sind Individuen äußerlich oft unversehrt, obgleich diese Infektionen natürlich negative Auswirkungen auf die Wirte haben. Typische Effekte dieser sub-klinischen Infektionen sind Lethargie, Schwäche und ein eingeschränkter Aktionsradius. Diese Effekte sind häufig subtil, haben aber möglicherweise entscheidende Folgen für die Nahrungssuche einzelner Individuen und damit für ihre Fortpflanzung oder ihr Überleben. Den Effekten sub-klinischer Infektionen mit Blutparasiten bei Schwalben und deren Folgen sind Wissenschaftler*innen der Graduiertenschule „BioMove“, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird, auf der Spur. Über mehrere Jahre hinweg fingen sie Mehlschwalben (Delichon urbicum) und Rauchschwalben (Hirundo rustica), untersuchten sie auf parasitäre Infektionen und statteten sie mit Mini-Sendern aus, die zeitlich hochauflösende Daten in das ATLAS-Trackingsystem einspeisten. Zudem wurden Schwalben in einer Fang-Wiederfang-Studie untersucht, um langfristige Entwicklungen und Auswirkungen der Infektionen auf das Überleben nachzuverfolgen.
„Mit dem ATLAS-Trackingsystem konnten wir Bewegungsprofile vieler Schwalben während der Brutzeit rekonstruieren – von gesunden wie von infizierten Tieren“, sagt Marius Grabow, Doktorand im BioMove-Projekt am Leibniz-IZW und Erstautor des wissenschaftlichen Aufsatzes. „Infizierte Individuen beider Arten wiesen kleinere Aktionsradien auf als ihre nicht infizierten Artgenossen. Infizierte Vögel rasteten zudem mehr und verbrachten weniger Zeit mit Nahrungssuche.“ Diese kombinierten Effekte führten dazu, dass infizierte Schwalben immer wieder in Lebensräumen mit geringerem Vorkommen von Insekten auf Nahrungssuche gehen mussten. Insbesondere reduzierten die infizierten Vögel, wahrscheinlich aufgrund körperlicher Einschränkungen durch die Infektion, die Reichweite und Dauer ihrer Nahrungssuche und hielten sich häufig auf landwirtschaftlichen Nutzflächen in der Nähe ihrer Kolonie auf, wo erheblich weniger Nahrung zu finden ist. Im Gegensatz dazu mieden nicht-infizierte Schwalben diese Landschaftstypen bei der Futtersuche eindeutig. Diese vergleichenden Erkenntnisse wurden möglich, weil das Untersuchungsgebiet in der Uckermark nahe Prenzlau ein Mosaik aus intensiv genutzten Agrarflächen und einigen wenigen hochwertigen Lebensräumen für Insekten und Insektenfresser ist.
Damit wiesen die Forschenden nach, dass auch sub-klinische Erkrankungen relevante Verhaltensänderungen bewirken. Infizierte Tiere haben eine verringerte Überlebenswahrscheinlichkeit, wie das Team in der Fang-Wiederfang-Studie nachwies. Besonders in der Brutzeit seien die Schwalben auf hohe Energiezufuhr angewiesen, sodass reduzierte Nahrungsaufnahme vieler Vögel – in der Untersuchung hatten zwischen 11 und 76 Prozent der Schwalben Infektionen mit Blutparasiten – die Zusammensetzung der Bestände beeinflussen könne. „Es ist für das Fachgebiet der Ökologie wichtig, Krankheiten und Erreger stärker als mögliche Ursache von Variation im Bewegungsverhalten in den Blick zu nehmen, denn dies kann Rückschlüsse auf den Zustand der Populationen geben“, sagt Prof. Stephanie Kramer-Schadt, Leiterin der Abteilung für Ökologische Dynamik im Leibniz-IZW und Professorin an der Technischen Universität Berlin. „Unter günstigen Umweltbedingungen können viele Tiere zwar infiziert sein, ohne dass die Infektion negative Auswirkungen zeigt. Verschlechtern sich jedoch diese Bedingungen – etwa durch Klimawandel oder Veränderungen in der Landnutzung –, kann dies die negativen Effekte der Infektion verstärken. In extremen Fällen könnte dies sogar zum beschleunigten Rückgang oder Aussterben der betroffenen Arten führen, ohne dass die Ursache dafür sofort ersichtlich ist. Umgekehrt ist ein verändertes Bewegungsverhalten auch für die Übertragung und die Ausbreitung von Pathogenen relevant, sodass diese Forschungsergebnisse von Bedeutung für die Vorhersage der räumlichen Ausbreitung von Wildtierkrankheiten sind.“
Parasiten nutzen Ressourcen ihres Wirts. Dies hat zur Folge, dass der Wirt zusätzliche Energie für Immunfunktionen einsetzen muss. Daher sind infizierte Tiere oft lethargisch und unterdrücken Aktivitäten, die viel Energie benötigen. Die BioMove-Forschenden setzten die Hypothese auf, dass das Bewegungsverhalten unabhängig von den beteiligten Mechanismen als zuverlässiger Indikator für die Leistungsfähigkeit des Wirts dienen kann. „Um dies zu prüfen, konzentrierten wir uns auf eine weit verbreitete Gruppe von Blutparasiten, die die sogenannte Vogelmalaria hervorrufen und bei vielen Sperlingsarten natürlicherweise häufig auftreten“, sagt Prof. Dr. Ralph Tiedemann von der Universität Potsdam und Leiter des Labors für molekulare Evolutionsbiologie. „Blutparasiten bei Vögeln wie Plasmodien oder Leucocytozoen haben komplexe Lebenszyklen mit einem Zwei-Wirt-Lebenszyklus, bei dem sie die roten Blutkörperchen des Wirts infizieren. In der akuten Phase werden die roten Blutkörperchen schließlich zerstört, was zu einem verminderten Sauerstofftransport zu Muskeln und Organen führt. Dies ist ein ideales Studiensystem, um die physiologischen Effekte der Infektion auf den Wirt zu untersuchen.“
Die wissenschaftliche Untersuchung ist eine Kooperation von BioMove unter der Leitung von Professor Dr. Florian Jeltsch von der Universität Potsdam mit der Tel Aviv University und der Hebrew University of Jerusalem, wo das ATLAS-System entwickelt wurde. ATLAS steht für „Advanced Tracking and Localization of Animals in real-life Systems“ und ist ein sogenanntes reverse GPS tracking system. Das bedeutet, dass die Tiersender nur ein einfaches Signal senden und die Position durch lokale Antennen vor Ort erfasst und berechnet wird. Dadurch können die Tiersender kleiner und leichter sein, da sie nicht die Position berechnen müssen. Auf der anderen Seite setzt dieses System eine Antenneninfrastruktur auf lokaler Ebene voraus. Diese wird bei der aktuellen BioMove-Untersuchung durch eine Vielzahl lokaler Unterstützer*innen in der Uckermark getragen, die Antennenstandorte für das System sowie den Fang der Schwalben möglich gemacht haben.
Prof. Dr. Stephanie Kramer-Schadt
Leiterin der Abteilung für Ökologische Dynamik
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
Telefon: +49(0)30 5168714
E-Mail: kramer@izw-berlin.de
Marius Grabow
Doktorand in der Abteilung für Ökologische Dynamik
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
Telefon: +49(0)30 5168725
E-Mail: grabow@izw-berlin.de
Prof. Dr. Ralph Tiedemann
Leiter des Labors für molekulare Evolutionsbiologie
Universität Potsdam
Telefon: +49(0)331 977-5249
E-Mail: tiedeman@uni-potsdam.de
Grabow M, Ullmann W, Landgraf C, Sollmann R, Scholz C, Nathan R, Toledo S, Lühken R, Fickel J, Jeltsch F, Blaum N, Radchuk V, Tiedemann R, Kramer-Schadt S (2024): Sick without signs. Subclinical infections reduce local movements, alter habitat selection, and cause demographic shifts. Communications Biology 7:1426 DOI: 10.1038/s42003-024-07114-4
ATLAS-Sender zur hochauflösenden Aufnahme von Bewegungsdaten an einer Mehlschwalbe
Marie Klett
Leibniz-IZW/Marie Klett
Blutentnahme zur Identifikation von Blutparasiten an einer Mehlschwalbe
Eva Sánchez Arribas
Leibniz-IZW/Eva Sánchez Arribas
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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