Ein internationales Team unter Beteiligung von Forschenden der Universität Passau zeigt in einer Studie, dass die kognitive Ähnlichkeit zwischen Unternehmen entscheidend dafür ist, ob in Kooperationsverträgen bevorzugt „Treu und Glauben“ anstatt spezifischer Regelungen zur Anwendung kommen.
Der Grundsatz von „Treu und Glauben“, wie ihn schon die Römer kannten, findet sich auch heute noch in vielen Rechtsordnungen. Im Englischen beispielsweise heißen solche Klauseln „Good Faith Provisions“. Eine solches Gebot drückt aus, dass die Vertragspartner sich in dem jeweiligen Vertragsaspekt aufeinander verlassen und somit keine Notwendigkeit sehen, den Aspekt bis ins kleinste Detail zu regeln. Das ist der Vorteil von Generalklauseln wie „Treu und Glauben“, und zugleich auch ihr Nachteil. Denn solche Klauseln sind von Natur aus unscharf, und wenn es zu Streitigkeiten kommt, kann daraus bisweilen großer Schaden entstehen. So etwa im Falle der Pharmaunternehmen SIGA Technologies und PharmAthene. Deren Kooperationsvereinbarung enthielt eine „Treu und Glauben“-Klausel, die die Vertragsparteien unterschiedlich interpretierten. Nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten und einer Schadensersatzzahlung in Millionenhöhe musste SIGA Technologies Insolvenz anmelden.
„Angesichts solcher Schadenshöhen und der Allgegenwärtigkeit von ‚Treu und Glauben‘-Klauseln erstaunt es, dass die Management-Forschung diese noch nicht systematisch in den Blick genommen hat“, sagt Prof. Dr. Carolin Häussler, Innovationsforscherin an der Universität Passau. Sie und Prof. Dr. Andreas König, der an der Universität Passau insbesondere die Kognition von Führungskräften untersucht, sind Teil eines internationalen Forschungsteams, das dazu Ende August eine groß angelegte Studie in der renommierten Fachzeitschrift „Strategic Management Journal“ veröffentlicht hat. Ihr Titel: “Kindred Spirits: Cognitive Frame Similarity and Good Faith Provisions in Strategic Alliance Contracts”, zu Deutsch etwa: „Seelenverwandte: Ähnlichkeit der Organisationskognition und ‚Treu und Glauben‘ in Verträgen strategischer Allianzen“.
In seiner Studie entwickelte das Forschungsteam eine Methode, mit Hilfe computerisierter Textanalyse die Ähnlichkeit der „Cognitive Frame Similarity“, der Organisationskognition von Allianzpartnern zu messen. „Frame“ bezeichnet in der Soziologie eine Art kognitive Brille oder „Linse“, durch die soziale Akteure ihre Umwelt selektiv wahrnehmen—also unterbewusst gefärbt, beispielsweise durch Werte, Normen und Glaubenssätze. Mitglieder eines Unternehmens entwickeln über die Zeit organisationsspezifische „Frames“, ähnliche Werte und Überzeugungen und unternehmensspezifische Routinen der Informationsverarbeitung. Diese Unternehmenskognition spiegelt sich auch in der Kommunikation eines Unternehmens wider und wird so nach außen sichtbar. Das Forschungsteam machte sich dies zunutze und erfasste die Ähnlichkeit der Unternehmenskognition von strategischen Allianzpartnern in „Über uns“-Sektionen der Unternehmenswebsites.
Die Forschenden untersuchten für ihre Studie 1225 Verträge aus der biopharmazeutischen Industrie, die zwischen 2005 und 2015 unterzeichnet wurden. Diese analysierten sie nach den enthaltenen „Treu und Glauben“-Klauseln. Die relevanten „Über uns“-Seiten der Unternehmen sichteten sie sechs Monate vor dem Datum des Inkrafttretens des jeweiligen Vertrags.
Anhand einer qualitativen und quantitativen Inhaltsanalyse konnte das Forschungsteam insgesamt fünf übergeordnete kognitive „Frames“ aus den „Über uns“-Seiten destillieren: Zeit, Verantwortung, Motivation, Innovation und Strategie. In der Studie argumentieren die Forschenden, dass sich diese kognitiven Frames in der Häufigkeit widerspiegeln, in der das zugehörige Vokabular auf den „Über uns“-Seiten zu finden ist. So bestimmten sie, ob sich Organisationen in ihrer Sicht ähneln.
„Mit Hilfe der computerisierten Analyse der Sprache der Unternehmenswebsites konnten wir bestimmen, ob sich Organisationen in ihren kognitiven Rahmen ähneln. Und unsere Daten zeigen, dass die „Cognitive Frame Similarity wirklich eine große Aussagekraft für die Verwendung von ‚Treu und Glauben‘-Klauseln hat“, erklärt Prof. Dr. Häussler die Herangehensweise.
Die Daten unterstützen folgende Zusammenhänge:
- Je größer die Ähnlichkeit der Organisationskognition der Allianzpartner, desto mehr weisen die Allianzverträge „Treu und Glauben“-Regelungen auf.
- Technologische Unsicherheit verstärkt diesen statistischen Zusammenhang.
- Erfahrung und Routine der Allianzpartner im Aushandeln von Geschäftsbeziehungen verringern den Effekt.
„Unsere Studie verdeutlicht, wie sehr Verhandlungen, insbesondere im Kontext von strategischen Allianzen, von subtilen und möglicherweise unbewussten kognitiven Strukturen und Voreingenommenheiten beeinflusst werden“, sagt Top-Management-Forscher Prof. Dr. Andreas König. „Wenn sich Führungskräfte dieser Mechanismen bewusst werden, könnte unsere Arbeit dazu beitragen, nachhaltigere und effektivere Verträge zu schaffen“, erklärt er die Bedeutung der Studie für die Praxis.
Über das Autoren-Team
Prof. Dr. Carolin Häussler ist Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation, Technologiemanagement und Entrepreneurship, DFG-Vertrauensdozentin an der Universität Passau und Projektleiterin im DFG-Graduiertenkolleg 2720 „Digital Platform Ecosystems“. Sie ist Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der Bundesregierung und sitzt im wissenschaftlichen Beirat der ZEW-Innovationserhebungen. Prof. Dr. Andreas König ist Inhaber des Lehrstuhls für Strategisches Management, Innovation und Entrepreneurship und Sprecher des DFG Graduiertenkollegs 2720 „Digital Platform Ecosystems“.
Die Studie ist das Ergebnis einer internationalen Zusammenarbeit der beiden Forschenden mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die enge Verbindungen zur Universität Passau haben. Marvin Hanisch, Professor für Innovationsmanagement und Strategie an der Universität Groningen, Erstautor der Studie, und Lorenz Graf-Vlachy, Professor für Unternehmensführung an der TU Dortmund, haben an der Universität Passau promoviert bzw. habilitiert. Theresa S. Cho ist Professorin für Strategisches Management an der Seoul National University. Sie besuchte Passau 2024 zum zweiten Mal, diesmal anlässlich des 13. EIASM Workshops zum Thema „Top Management Teams und Business Strategy Research“, bei dem das Team die gemeinsame Veröffentlichung feiern konnte.
Prof. Dr. Carolin Häussler
Universität Passau
Lehrstuhl für BWL mit Schwerpunkt Organisation, Technologiemanagement und Entrepreneurship
Innstraße 27
94032 Passau
Carolin.Haeussler@Uni-Passau.De
Prof. Dr. Andreas König
Universität Passau
Lehrstuhl für BWL mit Schwerpunkt Strategisches Management, Innovation und Entrepreneurship
Dr.-Hans-Kapfinger-Straße 14b
94032 Passau
Mail: Andreas.Koenig@uni-passau.de
Marvin Hanisch, Lorenz Graf-Vlachy, Carolin Haeussler, Andreas König, Theresa S. Cho (2024): "Kindred spirits: Cognitive frame similarity and good faith provisions in strategic alliance contracts", Strategic Management Journal
https://doi.org/10.1002/smj.3660
Englischsprachiges Video zum Projekt
Symbolbild für Kooperationen
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Das Team bei einem Treffen in Passau (von links): Theresa S. Cho (Seoul National University), Caroli ...
Universität Passau
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
Psychologie, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
Deutsch
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Das Team bei einem Treffen in Passau (von links): Theresa S. Cho (Seoul National University), Caroli ...
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