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12.12.2024 13:19

Alles sababa?

Dr. Dorothe Sommer Pressereferat
Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg

    Buchvorstellung "Israelbezogener Antisemitismus, der Nahostkonflikt und Bildung"

    Diese Veranstaltung hätte deutlich mehr Publikum verdient als hier an einem Montagnachmittag in der Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien zusammenkamen. Knapp 15 Personen unterhielten sich mit Kai Schubert, einem der Autor:innen, über das Buch „Israelbezogener Antisemitismus, der Nahostkonflikt und Bildung“. Dr. Havva Engin, Professorin an der PH Heidelberg und Leiterin des Heidelberger Zentrums für Migrationsforschung und Transkulturelle Pädagogik (Hei-MaT), übernahm die Moderation. Schubert ist Doktorand an der Universität Gießen im Arbeitsgebiet Didaktik der Sozialwissenschaften, freiberuflicher politischer Bildner und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für öffentliche und private Sicherheit an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.

    Die Produktion des Buches startete noch vor dem 7. Oktober 2023, macht Schubert klar, denn sowohl vor als auch nach diesem Datum, seien neue Formen des Antisemitismus, wie eben auch der Israelbezogene, kaum bearbeitet worden, und hätten sich erschreckend wenig in der Pädagogik niedergeschlagen. Zusätzlich gäbe es kaum Forschungsprojekte zu diesem Thema, die bereits verwendbare Ergebnisse zeitigten.

    Die Publikation beschäftigt sich mit der schulischen und außerschulischen Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus und Nahostkonflikt. Laut Schubert, werde Antisemitismus meist lediglich in Verbindung mit dem Nationalsozialismus behandelt oder auch abgehandelt, obgleich der israelbezogene Antisemitismus wesentlich älter sei und ihm weitaus mehr Bedeutung zukommen müsste.

    Zudem lassen sich Wellen der thematischen Auseinandersetzung erkennen. Sei es der Sechs-Tage-Krieg, das Scheitern des Friedensprozesses oder der Ausbruch der zweiten Intifada – eine Israelfeindlichkeit und ein neuer Antisemitismus wurde in den USA und Europa diskutiert. In Deutschland begannen zivilgesellschaftliche Akteur:innen, diese Diskussion voranzutreiben. Sie hatten Projektideen, verbreiteten Handreichen in Jugendclubs und wurden von demokratiefördernden Programmen unterstützt. Es seien also vor allem die außer-schulischen Bildner und Bildnerinnen, die vor etwa 20 Jahren anfingen, diese Themen voranzutreiben.

    So begrüßenswert die Initiativen, so mangelhaft ihre Evaluationsmöglichkeiten, da kaum empirische Beforschung der außerschulischen Bildung stattfindet, meint der Doktorand. Welche Konzepte fortgeführt werden sollten, welche erfolglos waren oder sogar gegenteilige Ergebnisse zeitigten, kann somit wissenschaftlich nicht erfasst werden.

    Tatsächlich friste die pädagogische Bearbeitung und die daraus folgende Lehre bis heute ein Nischendasein. „Das hyperkomplexe Diskursknäuel aus Israel, Nahostkonflikt, Antisemitismus, Juden, Deutschland, Nationalsozialismus muss offensichtlich erst einmal entwirrt werden,“ so Schubert. Und befindet, „es gibt aus der Sicht der politischen Bildung das Thema des Nahostkonflikts, das politisch analysiert werden kann. Welche Ursprünge hat er? Welche Akteur:innen tragen den Konflikt mit welchen Mitteln aus welchen Interessen heraus aus? Welche internationalen Verbindungen gibt es?“

    Das zweite Thema, das damit zu tun habe, sei die Frage: „Wie wird in Deutschland dieses Thema diskutiert und rezipiert? Welche Handlungen werden aus der Wahrnehmung dieses Konflikts abgeleitet?“. Hier geht es, so Schubert, um die nationale politische Kultur in Deutschland, Stichwort: Staatsraison, Deutschland als postnationalsozialistische Gesellschaft.

    Beides könnte Teil des Unterrichts sein, separat, jedoch in Bezug zueinander. „Mit der Erörterung des Themas Antisemitismus ist auch nicht das Thema Judentum erledigt“. Leider würde jedoch der Nahostkonflikt sachlich und unter Ausklammerung aller Emotionen behandelt, was weder dem Thema noch den Rezipienten und Rezipientinnen gerecht würde.

    Aktueller Antisemitismus tauche in Schulbüchern gar nicht auf, so Schubert. „Antisemitismus in Deutschland, der sich vermeintlich legitimiert durch Argumente gegen den Staat oder die Politik Israels, ist so nicht vorhanden.“ Stattdessen werden also im Buch innovative pädagogische Konzepte und Beiträge aus der Bildungspraxis vorgestellt.

    In der folgenden Diskussion mit dem Publikum werden weitere Defizite des aktuellen pädagogischen Umgangs mit israelbezogenem Antisemitismus deutlich: Weder kann Meet-a-Jew flächendeckend durchgeführt werden, noch soll es überhaupt Aufgabe und Verantwortung jüdischer Mitbürger und Mitbürgerinnen sein, das Land vor dem Antisemitismus zu bewahren oder darüber aufzuklären. Zumal es zwar ein sinnvolles Bildungsanliegen ist, über das Judentum als Teil Deutschlands zu lernen, doch Antisemitismus als Projektion und verzehrte Wahrnehmung damit wenig bis nichts zu tun habe.

    Abschließend befindet Professor Engin als entscheidend, die Breite der Kinder zum Thema Antisemitismus aus den eigenen Lebenswelten abzuholen, um sie dadurch besser mitnehmen zu können. Zusätzlich erwähnt sie die Problematik der Deutungshoheit zum Begriff Antisemitismus, da selbst um diese gekämpft würde.

    Ein weiteres Manko ist das fachfremde Unterrichten, so dass Lehrkräfte ohne Fachkenntnisse mit diesem Thema zumeist ohnehin überfordert seien. „Gerade bei so existenziell wichtigen Themen müsste eingegriffen werden, da uns andernfalls unsere Gesellschaft bald um die Ohren fliegt“, konstatiert Engin. „Hier kommt auch die Migrationsvielfalt ins Spiel, die wir beachten müssen. Wir müssen lernen, diese existenziellen Themen anders zu bearbeiten und bei dem blanken Antisemitismus, den Kinder unreflektiert aus der islamistischen Ecke mitbringen, fragen, ob das aus familiären Kontexten mitgebracht wird oder woher diese Narrative kommt. Und dann kommt die Arbeit, das Kleinklein gegen Verschwörungstheorien und krude Denkkonstrukte für eine multiperspektivische Öffnung. Wir müssen schauen, in welchen Fächern das aus dem Kontext heraus exemplarisch aufbereitet werden kann ohne erzwungen werden zu müssen.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Kai Schubert (https://kaischubert.com/)


    Originalpublikation:

    https://www.hfjs.eu/hochschule/organisation/aktuelles/alles-sababa.html


    Weitere Informationen:

    https://kaischubert.com/aktuelleprojekte/


    Bilder

    Prof. Dr. Havva Engin und Kai Schubert
    Prof. Dr. Havva Engin und Kai Schubert
    HfJS Heidelberg
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    Kai Schubert
    Kai Schubert
    HfJS Heidelberg
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Wissenschaftler
    Gesellschaft, Pädagogik / Bildung
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Prof. Dr. Havva Engin und Kai Schubert


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    Kai Schubert


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