Seegraswiesen haben eine wichtige Klimaschutzfunktion, da sie Kohlenstoff dauerhaft binden. Ein internationales Forschungsteam unter Federführung des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) konnte nun zeigen, dass Seegraswiesen die chemischen Kreisläufe von Kohlenstoff und Schwefel in subtropischen Küstengebieten stärker beeinflussen, als bisher angenommen. Besonders bemerkenswert ist die zentrale Rolle von Schwefel, der organischen Kohlenstoff stabilisiert, unabhängig davon, ob er in den kalkhaltigen Sedimenten subtropischer Seegraswiesen gespeichert wird oder nicht. Die Ergebnisse der Studie wurden jüngst im Fachjournal „Communications Earth & Environment“ publiziert.
Seegraswiesen sind besonders schützenswerte Meeresökosysteme: Sie beherbergen und ernähren eine große Vielfalt marinen Lebens und vermindern als natürlicher Wellenbrecher Küstenerosion. Zudem speichern sie sogenannten „Blauen Kohlenstoff“ – Kohlenstoff, der im Ozean sowie in küstennahen Ökosystemen lange gebunden bleibt und damit nicht als Kohlendioxid (CO2) klimaschädlich wirksam werden kann. Den Kohlenstoff speichern die Seegraswiesen nicht nur über Photosynthese in ihren pflanzlichen Bestandteilen, sondern begraben in ihren Wurzelsedimenten auch organisches Material anderer Organismen, das sich im dichten Pflanzenbestand ansammelt.
Wie ‚ticken‘ subtropische Seegraswiesen?
„Dass nicht alle Seegraswiesen gleich ‚ticken‘, was die Kohlenstoffspeicherung angeht, ist schon länger bekannt. Insbesondere tropische und subtropische Seegraswiesen können mitunter mehr Kohlenstoff abgeben als speichern“, sagt Mary Zeller. Die Meereschemikerin ist Expertin für biogeochemische Prozesse im und am Meeresboden und Erstautorin der neuen Studie in Communications Earth & Environment zum Seegraswiesen-Kohlenstoffkreislauf. „Da Seegraswiesen aber gerade in warmen Meeresregionen weit verbreitet sind, wollten wir die Prozesse genau unter die Lupe nehmen, die letztlich ihre Kohlenstoffbilanz bestimmen. Denn nur so kommt man zu einer korrekten Abschätzung ihres Klimaschutzpotenzials“, so die Wissenschaftlerin, die heute am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen arbeitet, während der Seegrasstudie jedoch in der Arbeitsgruppe Geochemie & Isotopen-Biogeochemie am IOW forschte.
Im Fokus der Studie von Mary Zeller und ihrem deutsch-amerikanischen Forschungsteam standen subtropische Seegraswiesen in der Florida Bay im Süden der USA. Um zu verstehen, ob und wie dort organische Stoffe – und damit Kohlenstoff – aus den Sedimenten in die Wassersäule gelangen, kombinierten sie hochmoderne geochemische und molekulare Methoden, um Sedimente, Porenwasser und Umgebungswasser zu analysieren. Schwerpunkte der an der Studie beteiligten IOW-Forschenden Mary Zeller und Michael Böttcher waren dabei zum einen die Analytik verschiedener stabiler Isotope, die als biogeochemische Marker zum Verständnis der komplexen Stoffumwandlungsprozesse genutzt werden können, zum anderen eine spezielle Methode hochauflösender Massenspektrometrie, die es erlaubt, in komplexen Gemischen aus vielen organischen Moleküle die Summenformel einzelner Molekültypen zu bestimmen.
Unerwartet enge Koppelung von Schwefel- und Kohlenstoffkreislauf
Die Forschenden fanden heraus, dass knapp 10 % aller organischen Stoffe der untersuchten Seegraswiesen an deren kalkhaltige Sedimente gebunden sind. Dieser Sedimenttyp ist eine Besonderheit tropischer und subtropischer Seegrasökosysteme, denn in der warmen Umgebung führen die Stoffwechselprozesse der Seegraspflanzen dazu, dass im Meerwasser gelöstes Karbonat zu Kalk umgewandelt wird, der sich im Wurzelbereich anreichert. Werden diese Sedimente aufgelöst, können die dort gebundenen organischen Substanzen gelöst in die Wassersäule gelangen und stehen damit potenziell dem marinen Kohlenstoffkreislauf wieder zur Verfügung. „Wir konnten erstmals ganz direkt nachweisen, dass die Seegrassedimente organischen Kohlenstoff freisetzen. Insbesondere unsere molekularen Analysen haben gezeigt, dass die gelösten organischen Moleküle im Umgebungswasser in Struktur und Zusammensetzung zu 97 % mit dem Kalk-assoziierten organischen Material in den Sedimenten übereinstimmen“, erläutert Zeller.
Eine besondere Rolle bei der Mobilisierung von organischen Substanzen aus den Sedimenten spielt die Schwefelchemie im Meeresboden, die die Seegraswiesen wie eine Art Biokatalysator fördern: Ihre Wurzeln transportieren aktiv Sauerstoff ins Sediment, was dort die Oxidation von Schwefelverbindungen durch Mikroorganismen begünstigt. Dabei entsteht zum einen Säure, die dazu führt, dass sich die kalkhaltigen Sedimente um die Seegraswurzeln teilweise auflösen und so vorher gebundene organische Substanz wieder freigeben. Zum anderen bilden sich durch die im Wurzelbereich ablaufenden mikrobiellen Prozesse äußerst stabile organische Schwefelverbindungen, die weitgehend resistent sind gegenüber biologischer Zersetzung und dem Abbau durch die UV-Strahlung des Sonnenlichts.
Verbesserte Modellierung für Klimaschutzpotenzial von Seegraswiesen & Co.
„Dass sedimentäre und gelöste Kohlenstoffpools in Seegraswiesen so eng gekoppelt sind, war bislang nicht bekannt und wurde daher bei Klimamodellierungen auch nicht angemessen berücksichtigt“, kommentiert Mary Zeller die Ergebnisse der Studie. „Bedeutend in diesem Zusammenhang ist außerdem, dass der in Seegraswiesen gebildete organische Schwefel zwar zum großen Teil in gelöster und nicht in partikulärer Form vorliegt, offenbar aber trotzdem ein sehr langlebiges Kohlenstoffreservoir darstellt, das nicht leicht zu klimaaktivem CO2 verstoffwechselt werden kann“, so Zeller weiter. Die Studie könne dazu beitragen, Modellierungen zum Speicherpotenzial von „Blauem Kohlenstoff“ für die weitverbreiteten tropischen und subtropischen Seegraswiesen zu verbessern. „Weitere Forschung ist aber nötig, um zu klären, ob die hier gefundenen Mechanismen universell sind – also ob sie auch für andere Ökosysteme mit ähnlichen Prozessen im Wurzelbereich gelten, wie z. B. Mangroven. Zudem ist zu klären, ob und welchen Einfluss Umweltveränderungen wie der Klimawandel auf diese Prozesse haben“, resümiert Meereschemikerin Zeller abschließend.
An der Studie beteiligte Projektpartner neben dem IOW:
Helmholtz-Zentrum Hereon sowie in den USA: Florida International University, National High Magnetic Field Laboratory, North Carolina State University
Kontakt IOW-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:
Dr. Kristin Beck, Tel.: 0381 – 5197 135 | presse@io-warnemuende.de
Das IOW ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, zu der aktuell 96 eigenständige Forschungseinrichtungen gehören. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Bund und Länder fördern die Institute gemeinsam. Insgesamt beschäftigen die Leibniz-Institute etwa 20.500 Personen, davon sind ca. 11.500 Forschende. Der Gesamtetat der Institute liegt bei 2 Mrd. Euro. http://www.leibniz-gemeinschaft.de
Dr. Mary A. Zeller | MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen | mzeller@marum.de
Prof. Dr. Michael E. Böttcher | Leiter der IOW-Arbeitsgruppe Geochemie und Isotopen-Biogeochemie | Tel.: +49 (0)381 5197 – 402 | michael.boettcher@io-warnemuende.de
Zeller, M.A., Van Dam, B.R., Lopes, C., McKenna, A.M., Osburn, C.L., Fourqurean, J.W., Kominoski, J.S., Böttcher, M.E. (2024): The unique biogeochemical role of carbonate-associated organic matter in a subtropical seagrass meadow. Communications Earth & Environment 5, 681. https://doi.org/10.1038/s43247-024-01832-7
Meereschemikerin Mary Zeller bei der Probennahme im Untersuchungsgebiet der Seegrasstudie in der Flo ...
Bryce Van Dam
Proben aus den untersuchten Seegraswiesen zur Analyse von Sedimenten, Porenwasser und Umgebungswasse ...
Mary Zeller
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).