Jan Wolter ist Bevollmächtigter des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL). Unter seiner Leitung erfuhr die Fachgesellschaft im Jahr 2024 eine strategische und kommunikative Neuausrichtung, die in den Medien bundesweit Beachtung fand. Wolter sprach im Rahmen der MedLabPortal-Serie NACHGEFRAGT mit den Medizinjournalisten und Bestsellerautoren Marita Vollborn und Vlad Georgescu über die Lage der Labormedizin, anstehende Bundestagswahlen – und erklärte, warum die DGKL keinerlei politischen Zwängen unterliegt.
MedLabPortal: Herr Wolter, Sie sind seit einem Jahr Bevollmächtigter des Präsidiums der DGKL und gelten mittlerweile als Mastermind hinter der Modernisierung der Fachgesellschaft. Was treibt Sie an?
Wolter: Die Labormedizin ist für die medizinische Versorgung in Deutschland essenziell. Sie ist die kritische Infrastruktur innerhalb der kritischen Infrastruktur. Gleichzeitig ist sich kaum jemand dieser Bedeutung bewusst, weder in der Bevölkerung noch in der Politik. Wir brauchen daher eine starke Stimme, die für die Labormedizin spricht. Und diese Stimme der Labormedizin muss eine wissenschaftliche Fachgesellschaft sein.
MedLabPortal: Neben dem Relaunch der DGKL-Seite startete im September auch MedLabPortal. Wozu benötigt eine medizinische Fachgesellschaft ein Online-Magazin?
Wolter: Wir brauchen mehr Reichweite! Natürlich ist es wichtig, dass sich die klügsten Köpfe der Labormedizin miteinander vernetzen und austauschen, an Leit- und Richtlinien arbeiten können. Doch das reicht nicht. Wir müssen das, was diese Disziplin leistet, auch breiter kommunizieren. Wir brauchen das Verständnis der Politik und wir brauchen natürlich auch Nachwuchs für unser Fach. Und wir wünschen uns aufgeklärte Patienten.
MedLabPortal: Und Sie glauben, dass über Interviews der NACHGEFRAGT-Serie Medien und Politik auf Themen der DGKL aufmerksam werden?
Wolter: In der DGKL sind herausragende Wissenschaftler vereint, die besten Forscher und Mediziner, die unsere Bundesrepublik in diesem Fach zu bieten hat. In den Interviews erläutern sie für Laien verständlich wichtige Themen, die uns alle berühren. Ich denke, dass wir dieses Format noch weiter ausbauen sollten. Aber auch das ist nur ein Puzzlestein in unserem Angebot – wenn auch ein ganz wichtiger.
MedLabPortal: Nun ist aber bereits der Name der Gesellschaft für Laien und Außenstehende wenig verständlich. Chemie haben die meisten Userinnen und User spätestens in der Oberstufe abgewählt, Medizin studiert haben bundesweit bekanntlich nicht gerade Millionen Menschen. Daher die Frage: Warum versteht der Jurist als MdB das, was die Fachgesellschaft über MedLabPortal vermitteln möchte?
Wolter: Als Fachgesellschaft ist es unsere Aufgabe, diese Übersetzungsleistung zu bringen. Bundestagsabgeordnete, die im Gesundheitsausschuss sitzen, müssen sich mit einer Vielzahl von Einzelthemen befassen. Wir können nicht erwarten, dass sie jedes Detail jeder Fachdisziplin verstehen, oder dass es in jeder Fraktion einen „Laborexperten“ gibt. Eben deshalb ist es so wichtig, dass wir als wissenschaftliche, unabhängige Fachgesellschaft diese Themen erläutern.
MedLabPortal: Meinen Sie damit auch den nationalen Strategieplan, den Sie maßgeblich mitgestaltet haben, und über den das Deutsche Ärzteblatt berichtete?
Wolter: Der Nationale Strategieplan Labormedizin umreißt die wichtigsten Stellschrauben, die es für die Labormedizin zu stellen gilt. Er ist eine Roadmap für die Politik, die in ihren Feinheiten im Dialog weiter ausgestaltet werden kann. Der Plan enthält zentrale Maßnahmen, um das Gesundheitssystem effizienter, resilienter und effektiver zu gestalten.
MedLabPortal: Darin fordern Sie unter anderem einen Cyber-Cent, was die Aufmerksamkeit des Tagesspiegels weckte. Was steckt dahinter?
Wolter: Deutschland wird digital bereits angegriffen. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Angriffe künftig nicht weniger, sondern eher mehr werden. Und während die Intensität globaler Konflikte absehbar zunehmen wird, dürfte die Hemmschwelle, was zivile Opfer anbetrifft, weiter sinken. Es dürfte daher nur eine Frage der Zeit sein, bis gezielte Angriffe auf medizinische Labore stattfinden. Die DGKL ist diesbezüglich auch bereits im Austausch mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Zum Cyber-Cent: Es steht außer Frage, dass medizinische Labore eine starke digitale Absicherung benötigen. Die Schutzlevel müssen denen von Gaskraftwerken, Chemieanlagen oder der Flugsicherung entsprechen. Dies kostet entsprechend Geld und die Labore dürfen damit nicht alleine gelassen werden. Der Cyber-Cent ist ein zusätzlicher Cent-Betrag mit dem jede Analyse vergütet wird; die Mittel stehen dann für eine bessere digitale Absicherung zur Verfügung.
MedLabPortal: Seitens der Politik waren bislang alle mit der “neuen DGKL” zufrieden?
Wolter: Die DGKL dient nicht der Politik; von daher ist die Zufriedenheit der Politik mit der DGKL für mich auch nicht der zentrale Maßstab. Gleichwohl sind wir an einem konstruktiven Austausch interessiert. Wir möchten die Politik mit wissenschaftlichen Erkenntnissen versorgen und ihr beratend zur Seite stehen, damit Entscheidungen auf sachlich fundierter Grundlage getroffen werden können. Mir ist dabei besonders wichtig, dass wir zwar durchaus kritisch, aber immer sachlich agieren und nicht nur gegen etwas sind, sondern auch konkrete Alternativen und Lösungsvorschläge aufzeigen – wie beispielsweise den eben genannten Cyber-Cent. Die Rückmeldungen, die ich bisher aus der Politik bekommen habe, waren ausnahmslos positiv.
MedLabPortal: Die Stärke der Fachgesellschaft ist ihre Unabhängigkeit. Auf welche Weise wird diese gewährleistet?
Wolter: Unsere ordentlichen, stimmberechtigten Mitglieder sind ganz überwiegend Labormediziner und klinische Chemiker, die sich in nationalen wie internationalen Fachgremien engagieren, an Leit- und Richtlinien arbeiten und an der qualitativen Weiterentwicklung der Labormedizin interessiert sind. Ich verweise hier auch gerne auf unser Leitbild, das wir dieses Jahr erarbeitet und beschlossen haben. Unsere Präsidiumsmitglieder oder auch die Hochschullehrer und Institutsleiter, die bei uns eine starke Stellung haben, sind eben Ärzte und Wissenschaftler und keine Firmenchefs oder Vertriebsleiter.
MedLabPortal: Ein für die Öffentlichkeit schwer nachvollziehbares Feld ist die Diskussion um die GOÄ oder EBM. Diese Diskussion erscheint auch uns, angesichts der Millionengewinne der großen Laborketten, schwer vermittelbar. Warum handelt es sich hier dennoch nicht um Jammern auf hohem Niveau?
Wolter: Es mag paradox klingen: Doch wer nicht möchte, dass einzelne Laborketten Millionen verdienen, während die medizinische Versorgung gleichzeitig schlechter wird, der muss die Labore finanziell besser unterstützen. Die Kosten für Personal und Energie sind in den letzten Monaten deutlich gestiegen. Hinzu kommen wachsende regulatorische Anforderungen, auch im Bereich der Sicherheit. Für spezialisierte, hocheffiziente Laborketten ist das verkraftbar. Für ein Kliniklabor, das 24/7 liefern muss und das in einem möglichst breiten Anforderungsspektrum, kann das allerdings zum Problem werden. Wenn diese Labore zumachen, kann das zu Einbußen in der Versorgung führen. Und wenn Labore an Universitätskliniken abgebaut werden, dann hat das auch Auswirkungen auf Forschung und Lehre.
MedLabPortal: Im Februar haben wir Neuwahlen, im Laufe des Jahres 2025 dann hoffentlich auch eine funktionierende Bundesregierung. In welcher Konstellation, ist derzeit offen. Welche Folgen hat das für die DGKL?
Wolter: Das hängt vom Ergebnis der Wahl ab. Die Herausforderungen werden jedenfalls nicht kleiner. Wir brauchen eine stabile, verlässliche Regierung, die sich an Fakten orientiert und auf demokratischem Boden steht.
MedLabPortal: Unsere letzte Frage: Was erwartet uns 2025 bei der DGKL?
Wolter: 2024 haben wir ein neues Leitbild verabschiedet, wir haben einen vielseitigen, digitalen Mitgliederbereich geschaffen, eine neue Homepage aufgesetzt, das MedLabPortal ging an den Start und vieles mehr. Für 2025 kann ich nicht ganz so viele Neuigkeiten versprechen. Aber so viel darf ich sagen: Wir haben unser Pulver noch lange nicht verschossen.
MedLabPortal: Herr Wolter, vielen Dank für Ihre Zeit.
Das Interview führten die MedLabPortal-Redakteure Marita Vollborn und Vlad Georgescu
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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