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03.06.2025 16:20

Hilfe aus dem sozialen Umfeld: Cybersicherheitspraktiken von Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status in Pakistan

Felix Koltermann Unternehmenskommunikation
CISPA Helmholtz Center for Information Security

    Informationen zur Handyeinrichtung und zu Cybersicherheitsthemen liegen vor allem in verschriftlicher Form vor. Aber was passiert, wenn die Zielgruppe arm und wenig alphabetisiert ist? CISPA-Forscher Sumair Hashmi und seine Kolleg:innen haben in einer qualitativen Interviewstudie untersucht, wo und wie sich wie Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status in Pakistan Informationen beschaffen, um sich vor Cyberangriffen zu schützen. Ihr Paper “Understanding the Security Advice Mechanisms of Low Socioeconomic Pakistanis” präsentierten Hashmi und seine Kolleg:innen am 2. Mai auf der Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI) in Yokohama (Japan).

    Pakistan ist ein Land mit sehr großen sozialen Unterschieden, insbesondere was das Einkommen und das Bildungsniveau angeht. „Am unteren Ende der sozialen Leiter stehen Menschen, die als Reinigungspersonal, im Haushalt der Mittel- und Oberschicht oder in Fabriken arbeiten“, erklärt CISPA-Forscher Sumair Hashmi. „Gleichzeitig stellen sie die Mehrheit der Gesellschaft dar. Geringes Einkommen geht dabei oft auch mit einer niedrigen Alphabetisierungsrate einher. Mich hat interessiert, welchen Cybersicherheitsgefahren diese Menschen ausgesetzt sind, wie sie sich vor Angriffen schützen und was Cybersicherheit und Datenschutz für sie bedeutet.“ Denn anders als das Verhalten von Menschen aus den Industrienationen sind Cybersicherheitspraktiken von Menschen aus dem globalen Süden aus nicht-englischsprachigen Kontexten bisher nur wenig erforscht.

    Hashmis Forschungsinteresse war dabei von alltäglichen Fragestellungen angetrieben. Wie informieren sich die Menschen über Sicherheit und Datenschutz? Was machen sie, wenn sie einen Betrugsanruf erhalten? Das waren Fragen, die ihn interessierten. „Informationen zu diesen Themen sind in der Regel nur schriftlich und auf Englisch verfügbar“, so der Forscher weiter. „Und weil Menschen aus einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen in vielen Fällen weder lesen noch schreiben können und meist nur die lokale Sprache Urdu sprechen, haben sie keinen Zugang zu diesen Informationen.“ Hashmi und seine Kolleg:innen vom CISPA und der Lahore University of Management Sciences in Pakistan entschieden sich, das Thema mit einer qualitativen Interviewstudie zu untersuchen, für die sie 20 pakistanische Teilnehmer:innen aus den oben erwähnten Branchen rekrutierten. Der eigentlichen Interviewstudie voraus ging eine Phase ethnographischer Feldbeobachtungen, um die Lebens- und Arbeitsumstände der Zielgruppe besser zu verstehen.

    Ergebnisse

    Konkret befragt wurden für die Studie zehn Männer und zehn Frauen im Alter zwischen 20 und 49 Jahren und einem mittleren Monatseinkommen von 30500 Pakistanischen Rupien (ca. 96 Euro). Nicht alle Befragten besaßen eigene Geräte, sondern nutzten etwa Handys von Familienangehörigen oder Bekannten mit. „Als die bedeutendsten vorherrschenden Sicherheitsrisiken haben wir Finanzbetrug und digitale Erpressung identifiziert“, erklärt Hashmi „Wir haben herausgefunden, dass alle Befragten auf besser informierte Personen angewiesen waren, sei es um Benutzerkonten für ihre Telefone und Anwendungen einzurichten oder bei Problemen um Rat zu fragen“, so Hashmi weiter. Hilfestellung kam entweder als Ratschlag oder konkretes Hilfsangebot. „Viele Befragte gaben einer Bezugsperson einfach ihr Handy baten diese, darauf bestimmte Handlungen wie etwa die Passworteinrichtung auszuführen, anstatt um Rat zu fragen“, erklärt Hashmi die soziale Interaktion. Als Quellen der Ratschläge fungierten vor allem Familienmitglieder und nahe Freund:innen sowie Arbeitskolleg:innen. Das konkrete Arbeitsumfeld beeinflusst dabei die Ratschläge: „Das Reinigungspersonal an Universitäten gab differenziertere und vielfältigere Ratschläge als Fabrikarbeiter:innen. Sie hatten außerdem mehr Möglichkeiten, um sich Rat zu holen – etwa von Kolleg:innen, Vorgesetzten und sogar von Professor:innen und Studierenden auf dem Campus“, erklärt der Forscher. Die Sicherheitshinweise, die die Befragten bekamen, lassen sich in Handlungsaufforderungen und Aufklärungshinweise unterscheiden. Als wichtigste konkrete Tipps, die die Befragten erhielten, identifizierte Hashmi unbekannte Nummern zu vermeiden und zu blockieren, Nachrichten und deren Absender zu überprüfen und zu verifizieren sowie keine persönlichen Vermögenswerte preiszugeben.

    Zusammenfassend verdeutlicht die Studie, die extreme soziale Verankerung sicherheitsrelevanter Praktiken von Pakistaner:innen mit niedrigem sozioökonomischem Status. „Unsere Studie zeigt, dass die Art und Weise, wie Ratschläge innerhalb solcher sozioökonomisch benachteiligten Gemeinschaften weitergegeben werden, Einfluss darauf hat, wie Menschen mit digitaler Sicherheit umgehen“, so Hashmi. Eine besondere Rolle spielen dabei die starren Genderrollen sowie die festen Regeln der pakistanischen Klassengesellschaft. So erschweren familiäre Dynamiken und die Angst, verspottet zu werden, das Einholen von Rat. Ratschläge werden dann angenommen, wenn die Ratgeber:innen als kompetent wahrgenommen werden und ein Vertrauensverhältnis besteht.“ Ein weiteres wichtiges Ergebnis war die Besonderheit der Bedrohungslage für die erforschte Zielgruppe in Pakistan: „Aufgrund ihrer schlechten finanziellen Situation sind unsere Studienteilnehmer:innen besonders anfällig für Betrugsmaschen, bei denen sie mit leicht rückzahlbaren Krediten oder Lotteriegewinnen gelockt werden“, erklärt Hashmi. Damit einher geht, dass die Bedrohungslage für die Befragten eher auf der Ausnutzung menschlicher Schwächen als auf technologischen Schwachstellen beruht.

    Ausblicke

    Die Bedrohungslage für Cyberangriffe in Entwicklungsländern wie Pakistan ist einzigartig, da Angreifer die finanzielle Notlage der Menschen und deren soziokulturellen Normen ausnutzen. „Um dieser Situation zu begegnen und um Sicherheits- und Datenschutzprobleme von Bevölkerungsgruppen mit niedrigem sozioökonomischem Status zu mindern, müssen neue kontextspezifische Ratschläge und Technologien entwickelt werden“, so Hashmi. „Künftige Forschung sollte prüfen, wie Sicherheitshinweise gezielt besonders benachteiligte Menschen in Pakistan erreichen können, um ihnen mehr Sicherheit zu bieten“, so der Forscher weiter. Er selbst will sich weiter diesem Themenfeld widmen. Hashmi kann sich vorstellen, die Untersuchung auch auf andere Weltregionen auszuweiten. „Wichtig ist, dass wir die Bedürfnisse und die Cybersicherheitspraktiken der Menschen im globalen Süden, die nicht zur westlichen, gebildeten, industrialisierten, reichen und demokratischen (W.E.I.R.D) Bevölkerung gehören besser verstehen, um passende Empfehlungen zu entwickeln“, zeigt er sich überzeugt.


    Originalpublikation:

    Hashmi, Sumair Ijaz; Sarfaraz, Rimsha; Gröber, Lea; Javed, Mobin; Krombholz, Katharina (2025). Understanding the Security Advice Mechanisms of Low Socioeconomic Pakistanis. CISPA. Conference contribution.


    Weitere Informationen:

    https://doi.org/10.60882/cispa.28450979.v1


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    Visualisierung zum Paper "Understanding the Security Advice Mechanisms of Low Socioeconomic Pakistanis"
    Visualisierung zum Paper "Understanding the Security Advice Mechanisms of Low Socioeconomic Pakistan ...

    CISPA


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Informationstechnik
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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