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08.04.2021 08:18

Hochpräzises physikalisches Experiment liefert Hinweis auf neue Teilchen

Nathalie Matter Media Relations, Universität Bern
Universität Bern

    Das US-amerikanische Forschungslabor «Fermilab» hat die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der experimentellen Messung des sogenannten anomalen magnetischen Dipolmoments des Myons veröffentlicht. Als Mitglieder der «Muon g-2 Theory Initiative» haben Forschende der Universität Bern parallel dazu dieselbe physikalische Grösse basierend auf dem Standardmodell theoretisch berechnet. Die Abweichung der experimentellen Messung von der theoretischen Berechnung könnte auf die Existenz neuer Teilchen hinweisen.

    Am US-amerikanischen Forschungslabor «Fermilab» wurden heute die Ergebnisse einer neuen, höchstpräzisen experimentellen Messung des sogenannten anomalen magnetischen Dipolmoments des Myons veröffentlicht. Das Ergebnis wurde mit Spannung erwartet, da sich aus einem Vergleich zwischen experimenteller Messung des anomalen magnetischen Dipolmoments und der theoretischen Berechnung derselben Grösse Hinweise darauf ableiten lassen, ob das Standardmodell der Teilchenphysik – das die bekannten Elementarteilchen und ihre Wechselwirkungen beschreibt – möglicherweise erweitert werden muss. Dies könnte zum Beispiel durch das Hinzufügen neuer Teilchen zum Standardmodell geschehen.

    Für den Vergleich trugen Forschende des Albert Einstein Center for Fundamental Physics der Universität Bern als Mitglieder der «Muon g-2 Theory Initiative» zur bisher präzisesten theoretischen Berechnung des anomalen magnetischen Dipolmoments des Myons bei. Die neue experimentelle Messung am Fermilab hat eine herausragende Genauigkeit von 0.46 ppm (parts per Million). Der Unterschied von 4.2 Standardabweichungen zur theoretischen Berechnung der Grösse deutet darauf hin, dass das Standardmodell der Teilchenphysik möglicherweise erweitert werden muss. An einem Online-Seminar wurden sowohl die experimentellen Resultate als auch die neusten theoretischen Berechnungen präsentiert.

    Messung des anomalen magnetischen Dipolmoments «g-2»

    Bei einem Elementarteilchen wie dem Myon wird die Stärke des magnetischen Moments durch das sogenannte gyromagnetische Verhältnis «g» ausgedrückt. In erster Näherung ist dieser Wert von g für das Myon 2. «Bei einer präzisen experimentellen Messung von g stellte man aber schon vor siebzig Jahren fest, dass sein genauer Wert leicht – im Promille-Bereich – von 2 abweicht», erklärt Gilberto Colangelo, Direktor des Albert Einstein Center und Professor für Theoretische Physik an der Universität Bern. Die Abweichung von g von 2, also «g-2», ist das sogenannte anomale magnetische Dipolmoment. Dieses wurde in den letzten Jahrzenten mit steigender Genauigkeit gemessen.

    Theoretische Berechnung mit Berner Beteiligung

    Das Interesse einer solchen Messung liegt darin, dass g-2 auch theoretisch mit hoher Genauigkeit berechnet werden kann: eine Abweichung zwischen Theorie und Experiment wäre dann ein deutlicher Hinweis, dass das Standardmodell der Teilchenphysik erweitert werden muss – zum Beispiel mit neuen, bisher unbekannten Teilchen. Die theoretische Berechnung von g-2 im Standardmodell ist allerdings sehr aufwendig. Fortschritte wurden über die letzten siebzig Jahren durch akribische Arbeit vieler Theoretikerinnen und Theoretiker gemacht. Vor fünf Jahren wurde die «Muon g-2 Theory Initiative» lanciert, um die Genauigkeit dieser Berechnung weiter zu verbessern, mit dem Ziel das Resultat vor der neuen Messung zu veröffentlichen. «Letztes Jahr haben wir den neuesten theoretischen Wert für g-2 in einem ausführlichen Bericht im Fachjournal Physics Reports publiziert», sagt Gilberto Colangelo. Colangelo und Martin Hoferichter, ebenfalls Professor für Theoretische Physik an der Universität Bern, sind beide Mitglieder des Steering Committees der Muon g-2 Theory Initiative.

    Bald eine Physik jenseits des Standardmodells?

    Die jüngste Messung am Fermilab hat eine ähnliche Genauigkeit wie die letzte Messung, die vor zwanzig Jahren ebenfalls in den USA am Brookhaven National Laboratory durchgeführt wurde. Der Durchschnitt dieser beiden Messungen erreicht eine Präzision von 0.35 ppm.
    Die kombinierten experimentellen Ergebnisse von Fermilab und Brookhaven zeigen eine Abweichung zu den aktuellen theoretischen Berechnungen von 4.2 Standardabweichungen. Bei drei Standardabweichungen sprechen Physikerinnen und Physiker in der Regel von «Hinweisen», bei fünf Standardabweichungen kann von einer «Entdeckung» gesprochen werden. Das neue Resultat ist das erste aus einer geplanten Reihe von Messungen des Fermilab-Experiments. Das letztendliche Ziel des Fermilab-Experiments ist eine um den Faktor vier höhere Genauigkeit (0.14 ppm) der Messungen. Parallel wird die «Theory Initiative» weiter daran arbeiten, die Präzision der theoretischen Berechnung zu verbessern.
    «Wenn durch Verbesserung der Messungen und der theoretischen Berechnungen die Abweichung bestätigt und potenziell sogar grösser wird, kann das jetzige deutliche Zeichen einer ‘Physik jenseits des Standardmodells’ hoffentlich als Entdeckung deklariert werden», sagt Gilberto Colangelo.

    Albert Einstein Center for Fundamental Physics

    Das Albert Einstein Center for Fundamental Physics (AEC) wurde 2011 gegründet. Sein Ziel ist es, Forschung und Lehre in der Grundlagenphysik an der Universität Bern auf höchster Ebene zu fördern. Der Schwerpunkt liegt auf der experimentellen und theoretischen Teilchenphysik und ihren Anwendungen (z.B. Medizinphysik), sowie auf den damit verbundenen Spin-off- und Outreach-Aktivitäten.

    Das AEC wurde unter Mitwirkung des Instituts für Theoretische Physik (ITP) und des Labors für Hochenergiephysik (LHEP) der Universität Bern gegründet. Mit seinen über 100 Mitgliedern ist das AEC eine der grössten universitären Gruppen von Forschenden, die in der Schweiz auf dem Gebiet der Teilchenphysik arbeiten, und ein starker Akteur auf internationaler Ebene.

    Mehr Informationen: https://www.einstein.unibe.ch/

    Zusammenarbeit zwischen Fermilab und der Universität Bern

    Das US-amerikanische Forschungslabor «Fermilab» und die Universität Bern arbeiten auch bei der Erforschung der Neutrinos zusammen. Neben Photonen sind Neutrinos die am häufigsten vorkommenden Elementarteilchen im Universum. Ihre Rolle bei der Entwicklung des Universums ist von grosser Bedeutung und motiviert Physikerinnen und Physiker weltweit.
    Im September 2019 unterzeichneten Fermilab und die Universität Bern eine Vereinbarung über ihre künftige Zusammenarbeit bei Neutrino-Experimenten. Es ist das erste Abkommen zwischen einer Schweizer Universität und Fermilab, einem der weltweit führenden Labors für Teilchenphysik, das inzwischen stark an der Erforschung der Neutrinos beteiligt ist.
    Der Beitrag der Berner Forschenden an der wissenschaftlichen Zusammenarbeit umfasst drei Projekte: MicroBooNE, SBND und das Deep Underground Neutrino Experiment (DUNE), das als das ultimative Neutrino-Observatorium der Welt gilt.

    Mehr Informationen: https://www.jahresbericht2019.unibe.ch/themenschwerpunkte/materie_und_universum/...


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Gilberto Colangelo
    Albert Einstein Center for Fundamental Physics (AEC) / Institut für Theoretische Physik
    E-Mail: gilberto@itp.unibe.ch
    Tel. +41 31 631 52 09

    Prof. Dr. Martin Hoferichter
    Albert Einstein Center for Fundamental Physics (AEC) / Institut für Theoretische Physik
    E-Mail: hoferichter@itp.unibe.ch
    Tel. +41 31 631 86 25


    Originalpublikation:

    Abi, B. et al.: Measurement of the Positive Muon Anomalous Magnetic Moment to 0.46 ppm
    Phys. Rev. Lett. 126, 141801 (2021). https://journals.aps.org/prl/pdf/10.1103/PhysRevLett.126.141801
    Aoyama, T. et al.: The anomalous magnetic moment of the muon in the Standard Model
    Phys. Rep. 887, 1–166 (2020). https://doi.org/10.1016/j.physrep.2020.07.006


    Weitere Informationen:

    https://www.unibe.ch/aktuell/medien/media_relations/medienmitteilungen/2021/medi...


    Bilder

    Der Ringmagnet am Fermilab, der für das Myon g-2 Experiment verwendet wurde.
    Der Ringmagnet am Fermilab, der für das Myon g-2 Experiment verwendet wurde.
    Reidar Hahn
    © Fermilab


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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