idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
13.10.2021 17:00

Immunsystem hält Darmflora im Gleichgewicht

Nathalie Matter Media Relations, Universität Bern
Universität Bern

    Im Darm leben Billionen von Bakterien. Sie werden vom Immunsystem in einem permanenten Gleichgewicht gehalten und sind deshalb unschädlich für den Menschen. Forschende des Departementes für BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern, des Inselspitals, Universitätsspital Bern und des Deutschen Krebsforschungszentrums konnten nun zeigen, wie Antikörper im Darm diese Bakterien in Schach halten. Diese Erkenntnis könnte einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von besseren Impfstoffen leisten.

    Die im Darm lebenden Bakterienstämme bestehen aus rund 500 bis 1000 verschiedenen Arten. Sie machen die sogenannte Darmflora aus, die eine zentrale Rolle für die Verdauung spielt und auch Infektionen verhindert. Im Gegensatz zu Krankheitserregern, die von aussen eindringen, sind sie unschädlich und werden vom Immunsystem toleriert. Wie es das menschliche Immunsystem schafft, im Darm dieses Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, ist noch weitgehend unverstanden. Bekannt ist, dass Immunglobuline vom Typ A, sogenannte IgA-Antikörper, eine wichtige Rolle spielen. Diese natürlichen Abwehrstoffe sind Teil des Immunsystems und erkennen einen körperfremden Erreger spezifisch nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip.

    Nun konnte eine Gruppe von Forschenden um Dr. Tim Rollenske und Prof. Andrew Macpherson vom Departement für BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern und der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin des Inselspitals im Mausmodell zeigen, dass IgA-Antikörper die Fitness der gutartigen Bakterien auf mehreren Ebenen gezielt einschränken. Dies ermöglicht dem Immunsystem die Feinregulierung des mikrobiellen Gleichgewichts im Darm. «Wir konnten zeigen, dass das Immunsystem spezifisch diese Bakterien erkennt und sowohl im Wachstum als auch in der Aktivität einschränkt», sagt Dr. Tim Rollenske, Erstautor der Studie. Die Ergebnisse wurden im Journal Nature publiziert.

    Erstmals IgA-Antikörper in natürlicher Form hergestellt

    Die IgA-Antikörper sind die häufigsten Antikörper des menschlichen Immunsystems und werden von spezialisierten Zellen in den Schleimhäuten ausgeschüttet. Sie machen zwei Drittel der menschlichen Immunglobuline aus. Erstaunlicherweise sind die meisten IgA-Antikörper, die der Körper produziert, gegen gutartige Bakterien der Darmflora gerichtet. Ohne diesen Immunschutz könnten auch diese Mikroorganismen eine gesundheitsschädigende Wirkung entfalten und Darmkrankheiten verursachen. Das Rätsel jedoch, wie die IgA-Antikörper das einvernehmliche Zusammenleben im Darm regulieren, blieb bisher ungelöst.

    Der Grund dafür: Die Untersuchung von IgA-Antikörpern in ihrer natürlichen Form im Tiermodell war bisher nur eingeschränkt möglich. Diese Hürde konnten die Forschenden um Tim Rollenske und Andrew Macpherson in ihrem Versuch nun überwinden. Es gelang ihnen, eine genügende Menge von IgA-Antikörpern herzustellen, die sich spezifisch gegen eine Art von Escherichia-Coli-Bakterien, einem typischen Darm-Bakterium, richteten. Die Antikörper erkannten und banden einen Baustein auf der Hülle der Mikroorganismen.

    Antikörper beeinträchtigen Fitness der Bakterien

    In ihrem Versuch, an dem die Forschenden über drei Jahre arbeiteten, konnten sie den Effekt sowohl in vitro als auch in vivo im Darm von Mäusen nachverfolgen. Es zeigte sich, dass die Antikörper die Fitness der Bakterien auf verschiedene Weise kontrollierten. Zum Beispiel wurde die Beweglichkeit der Bakterien eingeschränkt. Oder sie behinderten die Aufnahme von Zuckerbausteinen für den Stoffwechsel der Bakterien. Der Effekt war davon abhängig, welcher Oberflächenbaustein spezifisch erkannt wurde. «Das Immunsystem hat so offenbar die Möglichkeit, die gutartigen Darmbakterien über verschiedene Wege gleichzeitig zu beeinflussen», erklärt Ko-Autorin Hedda Wardemann vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Die Forschenden sprechen deshalb vom IgA-Parallelismus.

    Die Frage, wieso das Immunsystem mit den gutartigen Bakterien im Darm ein Gleichgewicht erzielt, pathogene Eindringlinge dagegen wirksam vernichten kann, ist nach wie vor nicht abschliessend geklärt. «Unser Versuch zeigt aber, dass IgA-Antikörper das Gleichgewicht zwischen dem menschlichen Organismus und der Darmflora fein austarieren können», sagt Ko-Autor Andrew Macpherson vom DBMR und Inselspital. Die Erkenntnisse erweitern nicht nur das grundlegende Verständnis des Immunsystems im Darm, sondern tragen auch zur Impfstoffentwicklung bei. «Wenn wir verstehen, wie und wo genau die Antikörper die Mikroorganismen im Darm erkennen, können wir auch Vakzine gegen pathogene Organismen gezielter designen», ergänzt Tim Rollenske.

    Department for BioMedical Research (DBMR)

    Das Department for BioMedical Research (DBMR) der Medizinischen Fakultät der Universität Bern wird von Prof. Dr. med. Mark A. Rubin geleitet und wurde 1994 von der Universität Bern und dem Inselspital (Universitätsspital Bern) gegründet. Das DBMR ist in 13 Forschungsprogramme mit rund 100 einzelnen Laboren und mehreren unabhängigen Laboren unterteilt, deren Forschung sich über alle biomedizinischen Bereiche erstreckt. Ziel des DBMR ist, Brücken zwischen laborbasierter und patientenorienter klinischer Forschung zu schlagen. Dafür fördert das DBMR eine integrative Ausrichtung der klinischen Forschung mit der Entwicklung translationaler Ansätze, den Einsatz sogenannter «Omics» und anderer Spitzentechnologien sowie eine umfassende Zusammenarbeit zwischen laborgestützter und patientenorientierter klinischer Forschung. Das DBMR setzt sich auch für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ein.

    Die Studie wurde unterstützt durch den Europäischen Forschungsrat ERC, den Schweizerischen Nationalfonds SNF, die Krebsforschung Schweiz sowie von der European Molecular Biology Organization EMBO.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Tim Rollenske und Prof. Dr. med. Andrew Macpherson
    Department for BioMedical Research (DBMR), Universität Bern, und Universitätsklinik für Viszerale
    Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern
    Tel. +41 78 237 42 24
    E-Mail: tim.rollenske@dmbr.unibe.ch, andrew.macpherson@dbmr.unibe.ch


    Originalpublikation:

    Tim Rollenske, Sophie Burkhalter, Lukas Muerner, Stephan von Gunten, Jolanta Lukasiewicz, Hedda Wardemann and Andrew J. Macpherson: Parallelism of intestinal secretory IgA shapes functional microbial fitness, Nature, 13 October 2021. doi: 10.1038/s41586-021-03973-7.


    Weitere Informationen:

    https://www.unibe.ch/aktuell/medien/media_relations/medienmitteilungen/2021/medi...


    Bilder

    Prof. Dr. med. Andrew Macpherson, Department for BioMedical Research (DBMR), Universität Bern, und Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern
    Prof. Dr. med. Andrew Macpherson, Department for BioMedical Research (DBMR), Universität Bern, und U ...

    zvg

    Dr. Tim Rollenske, Department for BioMedical Research (DBMR), Universität Bern, und Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern
    Dr. Tim Rollenske, Department for BioMedical Research (DBMR), Universität Bern, und Universitätsklin ...

    zvg


    Anhang
    attachment icon Medienmitteilung als PDF

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).