Bei der Analyse zahlreicher Aufnahmen des ESA-Röntgensatelliten XMM-Newton
sind Wissenschaftler des Astrophysikalischen Instituts Potsdam (AIP) in
Zusammenarbeit mit einem internationalen Forscherteam auf den am weitesten
entfernten Galaxienhaufen gestoßen, der bisher im Röntgenbereich entdeckt
wurde. Genauere Untersuchungen haben ergeben, dass sich das Objekt in einer
Entfernung von etwa neun Milliarden Lichtjahren von der Erde befindet und
die Masse von etwa 1000 Milchstraßen besitzt. Mit dieser Entdeckung wurde
gezeigt, dass sich bereits in einer frühen Epoche des Universums derartig
massereiche Strukturen entwickeln konnten.
Galaxienhaufen bestehen aus mehreren hundert oder sogar tausenden Galaxien,
die allein durch ihre Schwerkraft aneinander gebunden sind. Die eigentliche
Masse des Galaxienhaufens machen jedoch nicht die Galaxien selbst aus,
sondern die nicht leuchtende "Dunkle Materie" und heißes Gas, das sich
zwischen den Galaxien befindet. Dieses Gas, das die Masse der sichtbaren
Galaxien um etwa das Fünffache übertrifft, strahlt aufgrund seiner hohen
Temperaturen von bis zu 100 Millionen Grad hauptsächlich im Röntgenbereich.
Deshalb lassen sich Haufen verhältnismäßig leicht auf Röntgenaufnahmen des
Himmels als diffuse, neblig leuchtende Flecken nachweisen.
Eben dieses Röntgenlicht haben Astrophysiker des AIP auf Aufnahmen des
Röntgenobservatoriums XMM-Newton der ESA entdeckt. "Mit der am AIP
entwickelten Software haben wir Röntgenaufnahmen auf der Suche nach solchen
Nebelflecken durchmustert, wobei 200 Felder mit einer Nettobeobachtungszeit
von 70 Tagen untersucht wurden", sagt Dr. Axel Schwope, Teamleiter am AIP.
Bei Untersuchungen einer nahen Galaxie tauchte im Gesichtsfeld eine derartig
diffus leuchtende Lichtquelle auf. Aus dieser Richtung wurden bei einer über
zwölfstündigen Messung nur 280 Photonen gezählt, im Schnitt also alle
zweieinhalb Minuten ein Lichtteilchen. Diese extrem geringe Strahlung galt
als erstes Indiz für die große Entfernung der Quelle.
Nachfolgende Beobachtungen wurden mit dem Very Large Telescope (VLT) der ESO
in Chile in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der University of Michigan,
des MPE (Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik) und der ESO
(European Southern Observatory) im roten und nahinfraroten Spektralbereich
durchgeführt. Sie zeigten eine Ansammlung von Galaxien mit einer auffällig
roten Färbung am Ort des Röntgennebels. Mit weiteren detaillierten
VLT-Aufnahmen konnte auf eine Rekordrotverschiebung und damit
Rekordentfernung von neun Milliarden Lichtjahren geschlossen werden. Die
Masse des Haufens wurde auf ungefähr 1000 Milchstraßen abgeschätzt und ist
damit vergleichbar mit den großen Galaxienhaufen im heutigen Universum.
Die Rotverschiebung wird durch die Expansion des Universums hervorgerufen
und ist nicht nur ein Maß für Entfernung eines Objektes, sondern auch für
den Blick in die Vergangenheit. Aufgrund der endlichen Geschwindigkeit des
Lichtes lassen sich astronomische Objekte nur in dem Zustand beobachten, in
dem sie das Licht zur Erde aussandten. Die Rotverschiebung der entdeckten
Röntgenquelle entspricht einer Entfernung von 9 Milliarden Lichtjahren. Man
sieht den Galaxienhaufen folglich so, wie er vor 9 Milliarden Jahren aussah,
also zu einer Epoche, als das Universum erst ein Drittel seines heutigen
Alters hatte. Da offensichtlich bereits zu dieser frühen Zeit die Struktur
des Galaxienhaufens vollständig ausgeprägt war, handelt es sich
gewissermaßen um einen alten Galaxienhaufen im jungen Universum.
Die Entdeckung eines solchen Galaxienhaufens ist für die Astrophysik wie für
die Archäologie die Entdeckung einer Großstadt mit vollständig ausgebildeter
Infrastruktur im Altertum. "Wenn man weitere solcher "Großstädte" in dieser
frühen kosmologischen Epoche findet und eine Art "Volkszählung" durchführt,
kann man Rückschlüsse auf die Strukturbildung im Universum ziehen. Auf der
Suche nach weiteren Röntgennebeln werden wir noch zahlreiche Beobachtungen
von XMM-Newton analysieren ", erklärt Dr. Georg Lamer, Wissenschaftler am
AIP.
Quelle:
Discovery of an X-ray-luminous galaxy cluster at z = 1.4,
C.R. Mullis, P. Rosati, G. Lamer, A. Schwope, P. Schuecker and R.
Fassbender,
The Astrophysical Journal, im Druck
Bildmaterial unter:
http://www.aip.de/highlight_archive/lamer_cluster/
Bei Veröffentlichung bitte ein Belegexemplar senden an:
Astrophysikalisches Institut Potsdam
Stephanie Scholz
An der Sternwarte 16
14482 Potsdam
Kontaktadressen:
Dr. Georg Lamer , Tel: 0331 - 7499 - 287, Mail: glamer@aip.de
Dr. Axel Schwope, Tel: 0331 - 7499 - 232, Mail: aschwope@aip.de
Astrophysikalisches Institut Potsdam
An der Sternwarte 16
14482 Potsdam
Dr. Hans Böhringer, Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik,
Garching
Dr. Piero Rosati, European Southern Observatory, Garching
Dr. Chris Mullis, University of Michigan, Ann Harbor, USA
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Mathematik, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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