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05.05.2005 23:30

450 Jahre Augsburger Religionsfrieden: Ehrendoktorwürden für Andrea Riccardi und Joachim Gauck von den katholischen und evangelischen Theologen der Universität Augsburg

Klaus P. Prem Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Augsburg

    Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Augsburg und die Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät, die das Augsburger Institut für Evangelische Theologie beheimatet, werden am 17. Juni 2005 den Gründer der "Communità di Sant'Egidio", Prof. Dr. Andrea Riccardi, und den primär als Namensgeber der sog. "Gauck-Behörde" bekannt gewordenen Vorsitzenden des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie", Pfarrer Dr. h. c. Joachim Gauck, in einem gemeinsamen akademischen Festakt zu ihren Ehrendoktoren promovieren. Beide Fakultäten wollen diese Doppel-Ehrenpromotion als einen zentralen unter den Beiträgen verstanden wissen, die die Universität Augsburg in diesem Jahr zu den Feierlichkeiten aus Anlass des Jubiläums "450 Jahre Augsburger Religionsfrieden" leistet.

    Mit dem gut 300 Einzelveranstaltungen umfassenden Festprogramm "Pax 2005" feiert die Stadt Augsburg seit Februar bereits - und noch bis Ende Oktober dieses Jahres - das 450-jährige Jubiläum des am 29. September 1555 besiegelten "Augsburger Religionsfriedens". Da mit diesem "Augsburger Religionsfrieden" seinerzeit erstmals eines Gesetzesordnung etabliert wurde, die zwei unterschiedlichen Glaubensauffassungen ihr Existenzrecht garantierte, darf dieses Jubiläum nicht nur nationale, sondern durchaus europäische Bedeutung und Aufmerksamkeit für sich beanspruchen.

    HERAUSRAGENDE WISSENSCHAFTLICHE UND GESELLSCHAFTSPOLITISCHE VERDIENSTE

    Die beiden Theologien der Universität Augsburg haben dies zum Anlass genommen, sich an den Feierlichkeiten mit einem gemeinsamen Projekt zu beteiligen. Im Zentrum dieses gemeinsamen Projekts stehen die beiden Ehrenpromotionen am 17. Juni. Programmatisch sollen mit Prof. Dr. Andrea Riccardi und Dr. h. c. Joachim Gauck parallel zwei herausragende Persönlichkeiten des öffentlichen und wissenschaftlichen Lebens geehrt werden, die sich in ihren Publikationen und in ihrer wissenschaftlichen wie gesellschaftspolitischen Arbeit in besonderer Weise um den Frieden zwischen den Religionen verdient gemacht haben.

    ZUR PERSON: PROF. DR. ANDREA RICCARDI

    Andrea Riccardi wurde 1950 in Rom geboren und ist seit 1981 Universitätsprofessor für Geschichte des Christentums und Religionsgeschichte an der "Dritten Universität" in Rom. Seine Publikationsliste umfasst zahlreiche Monographien zu wichtigen Fragen der neuzeitlichen Kirchen- und Christentumsgeschichte. Besonderes Gewicht beanspruchen dabei Themen, die sich der vatikanischen Ostpolitik sowie dem Dialogs zwischen Christentum und Islam und Fragen der italienischen Kirchenpolitik widmen. Fast dreihundert Artikel dokumentieren Riccardis facettenreiches wissenschaftliches Interesse und seine profunde Kenntnis unterschiedlicher religiöser, kultureller und politischer Strömungen in Geschichte und Gegenwart.

    Riccardis wissenschaftliches Werk ist der unerlässliche Hintergrund für die weltweit beachteten und geschätzten Initiativen der von ihm selbst im Jahre 1968 begründeten "Communità di Sant'Egidio". Diese Laiengemeinschaft ist mittlerweile in über 60 Ländern auf der ganzen Welt präsent und zählt inzwischen mehr als 40.000 Mitglieder in vier Kontinenten. Sie engagiert sich als geistliche Gemeinschaft in Gebet und Gottesdienst und ist in zahlreichen gesellschaftspolitischen Bereichen friedensstiftend tätig. Weltweite Aufmerksamkeit fand im Jahre 1992 die erfolgreiche Friedensvermittlung durch die "Communità di Sant'Egidio" nach sechzehn Bürgerkriegsjahren in Mozambique. Kennzeichen für die Arbeit dieser Gemeinschaft ist ihr Einsatz gegen alle Formen politischer und gesellschaftlicher Gewalt. Gegenwärtig engagiert sich die "Communità di Sant'Egidio" primär im weltweiten Kampf gegen AIDS. Sie hat dabei vor allem die Herausforderungen im Blick, die diese Krankheit für die afrikanischen Völker bedeutet. Im kirchlichen Leben ist die "Communità di Sant'Egidio" auf verschiedenen Feldern aktiv. Papst Johannes Paul II. hat ihr - nach dem ersten interreligiösen Gebetstreffen von Assisi im Jahre 1986 - die weitere Organisation und Durchführung dieser Initiative anvertraut.

    Die schmerzhafte und leidvolle Konfliktgeschichte der Religionen und Kulturen - so lässt sich Riccardis wissenschaftliches Anliegen auf den Punkt bringen - muss und darf nicht das letzte Wort im interreligiösen Dialog sein. Vor dem Hintergrund der Vergewisserung der eigenen geistlichen und geistigen Identität des Christentums vertritt er ein programmatisches Konzept, das zum einen der eigenen theologischen Profilierung Rechnung trägt; zum anderen aber auch dem gesellschaftlichen Anliegen, dem vermeintlich unausweichlichen Kampf der Kulturen der Dialog der Religionen und Kulturen als konstruktives Alternativkonzept gegenüberzustellen.

    Riccardis gesellschaftspolitisches Engagement ist von diesem geistlichen und geistesgeschichtlichen Hintergrund nicht ablösbar. Die friedensstiftende Kraft des Christentums wird von ihm gleichermaßen theoretisch begründet wie praktisch verwirklicht. Der stets geforderte Zusammenhang von Orthodoxie und Orthopraxie ist im Wirken Riccardis hervorragend und beispielhaft realisiert.

    ZUR PERSON: DR. H. C. JOACHIM GAUCK

    Mit Joachim Gauck ehrt die Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Augsburg einen Theologen, dessen Wirkung auch auf seiner kirchlichen Tätigkeit, primär aber fraglos darauf beruht, dass er in eminentem Sinne gesellschaftlich-politische Verantwortung übernommen hat.

    Der heute 65-Jährige, der u. a. auch als Jugendpfarrer gearbeitet hat, ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche Mecklenburg und seit 1999 Ehrendoktor der Universität Rostock In der Zeit der "Wende" war er Mitinitiator der kirchlichen und politischen öffentlichen Protestbewegung in Mecklenburg und wurde Sprecher des Neuen Forums in Rostock. 1990 war er Abgeordneter der frei gewählten Volkskammer der DDR und leitete als solcher den "Sonderausschuss zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS)/Amt für nationale Sicherheit (AfnS)". Nach der Wiedervereinigung war er zehn Jahre "Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR" und leitete in dieser Funktion die im Volksmund bald nach ihm benannte "Gauck-Behörde". In der Ausübung dieses Amtes und in vielfältigen öffentlichen Auftritten wandte er sich mit großem innerem Engagement gegen alle Tendenzen, die Gesellschaft durch das Verschweigen des vergangenen Unrechts befrieden zu wollen. Nur durch das Benennen und Aufarbeiten von Schuld, so seine Überzeugung und Botschaft, sei Versöhnung möglich. Gegen erheblichen Widerstand von allen Seiten setzte er dementsprechend das Recht auf Einsicht in die Stasi-Akten durch.

    Nach Ende seiner Amtszeit als "Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR" wurde Gauck - als Nachfolger von Hans-Jochen Vogel und Hans Koschnick - Vorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie". Zweck dieses Vereins ist der Einsatz für einen reflektierten Umgang mit der totalitären Vergangenheit und für die Bewahrung und Bewährung demokratischer Strukturen und Tugenden in der Gegenwart.

    "Obwohl kein Wissenschaftler im engeren Sinn", begründet Prof. Dr. Bernd Oberdorfer (Systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen) vom Institut für Evangelische Theologie die Ehrung Gaucks durch seine Fakultät, "hat Pfarrer Gauck sich in hohem Maße um die Wissenschaft verdient gemacht. Zum einen hat er sich durch seine Tätigkeit als Bundesbeauftragter große Verdienste als Förderer der wissenschaftlichen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit erworben. Zum anderen stellen seine eigenen Veröffentlichungen - besonders das Buch "Die Stasi-Akten. Das unheimliche Erbe der DDR" (Reinbek 1991; mehrere Auflagen), aber auch seine Reden und Zeitungsbeiträge - wichtige eigenständige Beiträge zu dieser Aufarbeitung dar. Sie bieten Anregungen für die Diskurse der meisten orientierenden Gesellschaftswissenschaften, wie sie an der Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg vertreten sind".

    GEMEINSAM FÜR DEN FRIEDEN UNTER DEN RELIGIONEN UND FÜR VERSÖHNUNG IN DER GESELLSCHAFT

    Gemeinsam mit seinen Professoren-Kollegen Klaus Arntz (Moraltheologie) und Franz Sedelmeier (Alttestamentliche Wissenschaft) von der Katholisch-Theologischen Fakultät hat Oberdorfer diese doppelte Ehrenpromotion als gemeinsame ökumenische Initiative entwickelt, die zum Ausdruck bringen soll, was die Botschaft des Augsburger Religionsfrieden für das 21. Jahrhundert bedeutet: Evangelische und Katholische Christen arbeiten gemeinsam für den Frieden unter den Religionen und für Versöhnung in der Gesellschaft.

    WORKSHOPS MIT RICCARDI UND GAUCK FÜR STUDENTINNEN UND STUDENTEN

    Um diese Thematik zu vertiefen, wird am Tag vor dem Festakt, also am 16. Juni bereits, Studentinnen und Studenten der Universität Augsburg die Möglichkeit geboten, in Workshops mit Riccardi und Gauck zu diskutieren. Unter der Überschrift "'Selig, die Frieden stiften' - Frieden und Versöhnung in Gesellschaft, Politik und Kirche" werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Gelegenheit haben, in der persönlichen Begegnung mit Gauck und Riccardi deren Positionen und Anliegen aus erster Hand kennenzulernen.

    RELIGIONEN ALS FRIEDENSSTIFTER UND/ODER GEWALTERZEUGER: WEITERE BEITRÄGE DER UNIVERSITÄT AUGSBURG ZU "PAX 2005"

    Neben zahlreichen Einzelvorträgen, Seminaren, Führungen etc., die die Universität Augsburg über die Ehrenpromotionen vom 17. Juni hinaus zum Festprogramm "Pax 2005" beisteuert, zeichnen Augsburger Wissenschaftler insbesondere für das Symposium "Die Ambivalenz des Religiösen" verantwortlich, das vom 31. August bis zum 4. September in der ehemaligen Kälberhalle des Augsburger Schlacht- und Viehhofs stattfinden wird: Gemeinsam mit seinem seit Kurzem emeritierten Fakultätskollegen, dem Soziologen und bekannten Terrorismusforscher Prof. Dr. Peter Waldmann, hat Oberdorfer in- und ausländische Kollegen aus der Konfliktforschung, der Politikwissenschaft, der Soziologie und der Theologie, die mit Blick auf das spezifische Thema als profilierte Experten gelten, eingeladen, um mit ihnen der Frage nachzugehen, unter welchen Bedingungen sich Religionen als Friedensstifter oder Gewalterzeuger entpuppen. Wann etwa schlägt religiös motivierter Widerstand in Gewalt um? Oder: Geht von religiösen Diasporen eine besondere Gefahr aus? Ein eigener thematischer Block innerhalb dieses interdisziplinären Dialogs wird den geschichtlichen und aktuellen Beispielen religiöser Duldung und Konvivenz vorbehalten sein - darunter auch das "Modell" des Augsburger Religionsfriedens. Erste Ergebnisse dieses einem geschlossenen Wissenschaftlerkreis vorbehaltenen Symposiums werden der Öffentlichkeit parallel zur Tagung in drei öffentlichen Vorträgen und einer Podiumsdiskussion präsentiert werden.
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    KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN ZU DEN EHRENPROMOTIONEN:
    o Prof. Dr. Klaus Arntz, Telefon 0821/598-2646, klaus.arntz@kthf.uni-augsburg.de
    o Prof. Dr. Bernd Oberdorfer, Tel. 0821/598-2629, bernd.oberdorfer@phil.uni-augsburg.de
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    Das Jubiläumsprogramm "Pax 2005" zu "450 Jahre Augsburger Religionsfrieden" im Überblick: http://www.pax2005.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Personalia
    Deutsch


     

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