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06.06.2005 13:02

Stellungnahme zum so genannten "Fest der Völker"

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Stellungnahme der Mitglieder der Forschergruppe "Discrimination and Tolerance in Intergroup Relations" und den Jenaer Mitgliedern des Internationalen Graduiertenkollegs "Conflict and Cooperation between Groups" der Friedrich-Schiller-Universität Jena zur geplanten rechtsradikalen Veranstaltung, dem so genannten "Fest der Völker", am 11. Juni 2005 in Jena

    Was soll am 11.06. in Jena stattfinden?
    Der "Nationale Widerstand Jena" aus dem militanten, neofaschistischen "Thüringer Heimatschutz" will am 11. Juni ein so genanntes "Fest der Völker - für ein Europa der Vaterländer" auf dem Marktplatz in Jena ausrichten. Angekündigt sind eine Reihe von Rednern und Bands, die allesamt eindeutig dem rechtsradikalen, gewaltbereiten Spektrum europäischer Neonazis zuzuordnen sind. Zu einer ähnlichen Veranstaltung, die im vergangenen Jahr in Ungarn stattfand, reisten 9.000 Neonazis aus verschiedenen Ländern an.
    Militante, neofaschistische Gruppen, die menschenverachtende Zielsetzungen verfolgen, wollen in Jena eine große Veranstaltung organisieren. Unter einer irreführenden Bezeichnung soll mit viel Musik die Stimmung gegen Ausländer angeheizt werden.

    Hat die Stadt Jena die Veranstaltung nicht verboten?
    Tatsächlich erging Ende April ein Verbot der Veranstaltung durch die Stadt Jena. Die Begründung lautete, dass es sich entgegen der Ankündigung durch die Veranstalter nicht um eine politische Demonstration handelt, sondern um eine Vergnügungsveranstaltung und sie demnach nicht unter das Demonstrations- und Versammlungsrecht fällt. Das Verwaltungsgericht Gera hat in seinem Urteil vom 31.05.05 die Veranstaltung auf dem Marktplatz verboten. Ob dieses Verbot aufrechterhalten wird, ist jedoch fraglich: Das Gericht hat den Revisionsweg zugelassen. Es ist durchaus möglich, dass die Veranstaltung doch noch auf dem Marktplatz oder aber auf einem anderen Platz in Jena stattfinden kann.

    Ist ein "Fest der Völker" nicht Sinnbild für Weltoffenheit und Toleranz?
    Bei "Fest der Völker" denken wir vielleicht zunächst, es könnte sich um eine Veranstaltung handeln, bei der Vielfalt und interkulturelle Toleranz gefeiert werden. Die Gästeliste widerlegt die Hoffnung auf ein Festival der gegenseitigen Achtung: Die eingeladenen Redner und Bands bekennen fast alle ihr nationalsozialistisches Weltbild und tragen es offen zur Schau. Nicht wenige von Ihnen sind vorbestraft wegen politisch motivierter Friedhofsschändung, Volksverhetzung und brutaler Gewalttaten, motiviert durch menschenverachtenden Hass.
    Bereits eine Suche im Internet nach den Rednern und Bands, die für den 11. Juni in Jena auf dem Programm stehen, offenbart dies. Gewalt gegen Personen, die nicht ins eigene Weltbild passen, Verherrlichung des Dritten Reiches, offen geäußerte Ausländerfeindlichkeit und eindeutiger Antisemitismus sind nur einige der tragenden Säulen der Ideologie dieser Bewegung, die zum so genannten "Fest der Völker" einlädt. Tatsächlich ist der Name des Festes selbstbewusst gewählt und liefert den klaren Hinweis auf diese Ideologie: "Fest der Völker" nannte Leni Riefenstahl ihren Film über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, die als nationalsozialistische Propagandaveranstaltung inszeniert wurden.

    Toleranz als Gegenprinzip
    Die Propaganda, die in Jena verbreitet werden soll, ist nicht einfach nur eine politische Meinung unter vielen; sie widerspricht in ihren Inhalten jeglichem Verständnis von Menschenwürde, von Freiheitlichkeit und respektvollem Zusammenleben. Erklärtes Ziel derer, die auftreten sollen, ist, die demokratische Grundordnung unserer Zivilgesellschaft und deren moralische Basis zu zerstören.
    Eines der Grundprinzipien des friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens aller Menschen in Deutschland, in Europa und weltweit ist Toleranz. Wie die Forschung zu Beziehungen zwischen Gruppen gezeigt hat, ist Toleranz nicht gleichbedeutend mit dem Aufgeben der eigenen Besonderheit und mit ihrer besonderen Wertschätzung, mit Nachgeben oder Verleugnen der Unterschiedlichkeit in Meinung, Gewohnheit, Überzeugungen oder Religion, sowohl als Individuum, als auch als Gruppe. Toleranz bedeutet vielmehr Respekt gegenüber den unterschiedlichen Kulturen unserer Welt, ihren Ausdrucksformen und Gestaltungsweisen sowie unserem Menschsein in all seiner Vielfalt. Gefördert wird Toleranz durch Wissen, Offenheit und Kommunikation. Die Freiheit des Denkens, der Gewissensentscheidung und des Glaubens sind dabei entscheidend. Toleranz ist nicht nur moralische Verpflichtung, sie ist politische und rechtliche Notwendigkeit. Toleranz ist vor allem eine aktive Einstellung, die sich auf die Anerkennung der allgemein gültigen Menschenrechte und Grundfreiheiten anderer stützt. Keinesfalls darf sie dazu missbraucht werden, irgendwelche Einschränkungen dieser Grundwerte zu rechtfertigen. Toleranz muss geübt und immer wieder eingefordert werden von Einzelnen und von allen gesellschaftlichen Gruppen.
    Es sollte ein Anliegen aller Bürgerinnen und Bürger von Jena sein, dieses Verständnis von Toleranz zu vertreten und sich einem falschen Verständnis von Toleranz, wie es die Neo-Nazis in Jena vertreten wollen, entgegenzustellen.

    Sind unsere Kinder und Jugendliche durch die geplante Veranstaltung gefährdet?
    Die Bands, die laut Ankündigung der Veranstalter am 11. Juni in Jena auftreten sollen, kommen zu einem großen Teil aus dem Umfeld des rechtsextremen Musik-Netzwerkes, das sich den Namen "Blood and Honour" ("Blut und Ehre") gegeben hat. Diese in England gegründete Organisation bezieht sich, wie aus dem Namen bereits ersichtlich, ausdrücklich positiv auf den Nationalsozialismus, seine Symbole und seine Ideologie. In Deutschland ist "Blood and Honour" seit dem Jahr 2000 verboten. Das Netzwerk ist jedoch in anderen europäischen Ländern (z. B. Schweden und Dänemark) weiterhin sehr aktiv. Neben der weltweiten Vernetzung von so genannten Rechtsrockbands sieht das Netzwerk eine seiner Hauptaufgaben darin, neofaschistische Ideologie über das Medium Musik zu vermitteln. Diese Strategie zielt insbesondere auf Kinder und Jugendliche ab. Die Aktivitäten von "Blood and Honour" gehen jedoch über die Verbreitung neonazistischer Musik hinaus. In verschiedenen Ländern wird das Netzwerk mit rechtsextremen Terroranschlägen in Verbindung gebracht. Veranstaltungen wie das in Jena geplante Fest dienen nicht zuletzt der Koordination der "Blood and Honour"-Aktivitäten.
    Gerade im Teenageralter befinden sich junge Menschen in einer Phase der ideologischen Unsicherheit. Sie suchen nach neuen Quellen der Information. Bereits bekannte und durch Autoritäten, wie Eltern oder die Schule, vermittelte Wertvorstellungen werden in Frage gestellt. Es besteht nun die Gefahr, dass dadurch allzu einfache und möglichst radikale Gegenpositionen an Attraktivität gewinnen, wenn diese nicht differenziert im Kontext alternativer Interpretationen vermittelt werden. Die Ansprache der jungen Menschen über die im Jugendalter sehr bedeutsame Musik fällt also mitunter auf sehr fruchtbaren Boden.

    Was bedeutet diese Veranstaltung für das Bild Jenas in der Öffentlichkeit?
    Wenn Menschen mit negativen Ereignissen konfrontiert sind, versuchen sie, sich diese zu erklären. Nicht anders wird die Öffentlichkeit reagieren, wenn sie von einem rechten Großereignis im Herzen von Jena erfährt. Als Erklärungen werden wahrscheinlich Eigenschaften der Bürgerinnen und Bürger von Jena und von Thüringen herangezogen werden. Jena muss also davon ausgehen, mit der Veranstaltung gleichgesetzt und für sie verantwortlich gemacht zu werden. Das wird insbesondere dann der Fall sein, wenn keine Gegenmaßnahmen der Stadt und ihrer Bürger gegen die Veranstaltung öffentlich wahrnehmbar werden. Aus Erfahrungen mit rechtsradikalen Ereignissen in anderen Städten wissen wir, dass sich schnell Assoziationen zwischen einem Städtenamen und einer extremen politischen Einstellung entstehen - so werden Städtenamen zu negativen Symbolen. Beispiele dafür sind Rostock, Hoyerswerda oder Solingen, die noch immer als prototypische, "rechtsradikale" Städte assoziiert werden, obwohl die Straftaten Jahre zurückliegen und sicher nicht alle Bürger der Städte hinter den Übergriffen standen. Genau das könnte Jena ebenfalls passieren.

    Wird diese Veranstaltung Jena verändern?
    Die Forschung zeigt, dass sich neue soziale Normen schnell etablieren können: Wo Müll herumliegt, wirft man leichter noch mehr Abfall hin. Eine rechtsradikale Veranstaltung kann - und soll in der Hoffnung der Veranstalter natürlich auch - einen ähnlichen Effekt auf manche Mitbürger haben und rechtem Gedankengut den Anschein von Normalität verleihen. Selbst wenn die Veranstaltung nicht im Herzen von Jena stattfindet, sondern auf einen Platz z. B. in den Vorstädten verlagert wird, benutzt sie damit den öffentlichen Raum. Damit wird eine gemeinsame Ressource mit rechtem Gedankengut in Verbindung gebracht. Für rechtsradikale Gruppen, die in diesen Stadtteilen von Jena bereits aktiv sind, kann dies beste Propaganda sein. Für die Bürger dort ist es umso schwieriger, sich diesen Platz danach wieder als demokratischen Ort zurück zu erobern.

    Was können die Bürger Jenas tun?
    Ein schweigendes Zur-Kenntnis-Nehmen dieser Tendenzen bestärkt die Gewalttäter, sie können es für sich als schweigendes Einverständnis oder sogar als Auftrag der Bevölkerung zum Handeln umdeuten. Sich als Privatperson dieser Bewegung entgegenzustellen, bedeutet nicht, die Meinungsfreiheit aufzukündigen. Es bedeutet, aktiv daran mitzuwirken, dass Toleranz, Gleichheit und individuelle Freiheit als gesellschaftliche Grundwerte nicht in Abrede gestellt werden.
    Je mehr Bürger Jenas in den Tagen davor und am 11. Juni auf die Straße gehen und friedlich deutlich machen, dass sie für Toleranz und Demokratie eintreten, desto einfacher wird es, dass das so genannte "Fest der Völker" nicht stattfindet. Je mehr Bürger Jenas am 11. Juni friedlich für die universalistische Menschenwürde in Demonstrationen eintreten, desto geringer wird die Gefahr von Ausschreitungen und Übergriffen. Das positive Beispiel der Demonstrationen am 8. Mai in Berlin hat gezeigt, dass eine genügend große Zahl von Bürgern auf der Straße, die für die demokratischen Grundwerte und die Meinungsfreiheit eintreten, eine Veranstaltung ähnlich der in Jena geplanten aufgrund ihrer schieren Menge verhindern kann. Es gibt für alle Bürger Jenas, Familien, Junge und Alte genügend Möglichkeiten, sich zu engagieren und zu demonstrieren. Jede/r kann gefahrlos daran teilnehmen.

    Die Mitglieder der Forschergruppe "Discrimination and Tolerance in Intergroup Relations" und die Jenaer Mitglieder des Internationalen Graduiertenkollegs "Conflict and Cooperation between Groups" der Friedrich-Schiller-Universität Jena


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Psychologie
    regional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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