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09.12.2005 11:46

'Schleichwege' im Sozialismus

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Internationales Forschungsprojekt unter Jenaer Federführung startet im Januar 2006

    Jena (09.12.05) Politische und wirtschaftliche Prozesse machen alleine noch keine Geschichte. Es sind die Menschen, ihre Erlebnisse und Schicksale, ihre persönliche Wahrnehmung und ihre sozialen Begegnungen, die dazu beitragen, ein Bild einer bestimmten Epoche entstehen zu lassen. Die Vielfalt solcher Begegnungen zwischen Staatsbürgern aus den damals sozialistischen Ländern Osteuropas ist Thema eines neuen Forschungsprojektes an der Universität Jena, das am 1. Januar 2006 startet. Der Historiker Prof. Dr. Joachim von Puttkamer von der Jenaer Universität untersucht gemeinsam mit Prof. Dr. Wodzimierz Borodziej (Universität Warschau) und Dr. Jerzy Kochanowski (Deutsches Historisches Institut Warschau), auf welche Weise innerhalb der ehemaligen sozialistischen Staaten unter den Bürgern kommuniziert wurde, was und wie sie inoffiziell handelten sowie wo und in welchem Rahmen sie zusammenkamen.

    ",Schleichwege': Inoffizielle Begegnungen und Kontakte sozialistischer Staatsbürger 1956-1989. Zwischen transnationaler Alltagsgeschichte und Kulturtransfer" lautet der Titel des Projekts. Die VolkswagenStiftung fördert das Vorhaben, in dessen Mittelpunkt die ehemaligen sozialistischen Länder Tschechoslowakei, Ungarn, Polen und die DDR stehen, mit insgesamt 323.000 Euro. "Neben den Personal- und Sachausgaben werden damit auch Reisen und kleinere Tagungen finanziert, zu denen wir auch Forscher aus Osteuropa einladen werden", sagt Prof. von Puttkamer.

    Die sozialistische Alltagsgeschichte wird auf mehreren Ebenen beleuchtet. Zum einen sollen die inoffiziellen ökonomischen Kontakte zwischen den 'Durchschnittsbürgern' der ehemaligen sozialistischen Länder rekonstruiert werden. "In der damaligen Mangelwirtschaft entstanden so genannte 'Schleichhandelsbeziehungen' - das heißt, die Menschen kauften und verkauften oder tauschten ihre Waren untereinander", erklärt Prof. von Puttkamer. Man tauschte nicht nur Lebensmittel aus, sondern auch Kleidung. "Beispielsweise waren Jeanshosen zu jener Zeit praktisch nur auf dem Schwarzmarkt zu bekommen", nennt der Jenaer Osteuropahistoriker ein Beispiel.
    Daneben herrschte ein Austausch von Kulturgütern zwischen Polen, der Tschechoslowakei, der DDR und Ungarn. Denn auch Filme, Bücher und Popmusik wurden oft auf diesen Schleichwegen verbreitet. Manche westdeutsche Bücher waren in der DDR nur auf dem Umweg über Ungarn zu bekommen. Und in den achtziger Jahren mussten auch die Publikationen aus dem Umfeld der polnischen "Solidarno??" oder der sowjetischen "Perestrojka" auf Schleichwegen in die DDR oder die Tschechoslowakei geschmuggelt werden.

    Die Wissenschaftler untersuchen außerdem die touristischen Begegnungen zwischen den damaligen sozialistischen Staatsbürgern. "Wenn man andere Länder bereist, stellt sich oft ein Gefühl der Befreiung vom Alltag ein", so Prof. von Puttkamer. "Umso stärker muss diese Empfindung bei den Bürgern der ehemaligen sozialistischen Staaten gewesen sein, da für sie die Reisefreiheit bekanntlich noch eingeschränkter als anderswo war." Die Forscher möchten die Urlaubserlebnisse der Menschen an Orten wie dem ungarischen Plattensee, den polnischen Masuren oder der deutschen Ostseeküste rekonstruieren. "Hierzu sind wir an persönlichen Berichten von Reisen an die Ostseeküste sehr interessiert, um ein Bild von den gemeinsamen Erlebnissen und Erfahrungen im Urlaub zu bekommen", hofft Prof. von Puttkamer auf Hinweise einstiger DDR-Bürger. Auch für Begegnungen zwischen ehemaligen Staatsbürgern sozialistischer Länder in der Messestadt Leipzig interessiert sich der Jenaer Wissenschaftler.

    Die Ergebnisse des drei Jahre laufenden Projektes sollen am Ende in einem Sammelband auf Deutsch und in je einer Publikation der anderen beteiligten Landessprachen erscheinen. Die Forscher erwarten durch die zusammenhängende Betrachtung der drei Faktoren, die Buntheit der Begegnungen der Menschen in jenen Ländern sichtbar werden zu lassen.

    Kontakt:
    Prof. Dr. Joachim von Puttkamer
    Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Fürstengraben 13, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 944461
    E-Mail: Joachim.Puttkamer@uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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