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21.05.2006 16:35

Glücksspiel Fußball?

Klaus P. Prem Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Augsburg

    Bei fast 40 Prozent aller Tore zieht der Zufall die Fäden / Augsburger Trainingswissenschaftler empfehlen bewussteren Umgang mit dem Unvorhersehbaren.
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    Welcher Fußballfan kennt dieses Phänomen nicht: Da spielt die eigene Mannschaft drückend überlegen, erspielt sich Chancen, erzielt aber kein Tor. Kurz vor Schluss haut der Gegner einfach einmal drauf, und durch eine Verkettung unglücklicher Umstände - Platzverhältnisse, Torwartfehler, Abpraller etc. - landet der Ball zum Sieg im Tor. Anhand der Analyse von über 600 Erstliga-Toren des Jahres 2005 sind der Augsburger Sportwissenschaftler Prof. Dr. Martin Lames und sein studentischer Mitarbeiter Alex Rössling zu dem Ergebnis kommen, dass in rund 40 von 100 Fällen, in denen der Ball im Tor landet, der Zufall eine entscheidende Rolle gespielt hat; und dass der Zufall insofern eben keineswegs eine zu vernachlässigende Größe ist, sondern ein wichtiger Faktor, der von Trainern und Spielern stärker ins Kalkül gezogen werden sollte.

    Die wissenschaftliche Untersuchung von Zufallsphänomenen im Fußball sei eines seiner Steckenpferde, bekennt Lames: "Die Trainingswissenschaft interessiert sich für die Leistungsstruktur in den einzelnen Sportarten. Die praktische Erfahrung lehrt, dass diese im Fußball auch durch den Zufall mitbestimmt wird. Das fordert dazu heraus, den Einfluss des Zufalls zu messen".

    ZUFALLSMERKMALE

    Zu diesem Zweck hat Lames ein Beobachtungssystem entwickelt, mit dem man erfasst wird, ob beim Zustandekommen von Toren Zufallsmerkmale im Spiel sind, Merkmale also, die ein nicht geplantes, nicht kontrollierbares Zustandekommen eines Tores beschreiben. Das ist etwa der Fall, wenn ein Abpraller verwandelt oder die Flugbahn des Balles abgefälscht wird, wenn der Ball vom Pfosten ins Tor und nicht ins Feld zurück springt oder der Torwart noch eine deutliche Ballberührung hat, schließlich auch wenn das Tor aus großer Entfernung erzielt wurde oder die Abwehr unmittelbar vor dem Tor noch eine Ballberührung hatte.

    "TAGELANGE SPORTSCHAU"

    Im Fernsehen aufgezeichnet, flossen 638 Tore europäischer Erstligen aus dem Jahr 2005 in die Untersuchung ein, vorwiegend aus Deutschland, Italien, Spanien, England, Frankreich und den Niederlanden. "Ich hatte schon unangenehmere Arbeiten am Institut für Sportwissenschaft zu erledigen, als diese tagelange Sportschau durchzustehen", meint Alex Rössling, der die Aufgabe hatte zu prüfen, ob bei all diesen Toren eines der definierten Zufallsmerkmale vorlag.

    FERNSCHÜSSE UND ABWEHRBETEILIGUNG IM MITTELPUNKT

    Die Ergebnisse sind erstaunlich: Bei 248 Toren wurde Rössling fündig und konnte die Beteiligung mindestens einer Zufallsvariablen feststellen. 38,9 Prozent aller Tore kamen in dieser Untersuchung also auf eine Art und Weise zustande, die nicht planbar oder so nicht geplant war. Dabei erwiesen sich im Einzelnen die Torwartberührung (8,0 Prozent) und die verwandelten Abpraller (7,5 Prozent) als recht häufig, vor allem aber die Fernschüsse mit 12,4 Prozent und die Abwehrbeteiligung mit 14,1 Prozent fallen ins Gewicht. "Bei den Fernschüssen", kommentiert Lames, "ist davon auszugehen, dass der Torwart sie unter normalen Umständen halten würde, dass er sie aber durch zufällige Umstände passieren lassen - z. B. aufgrund verdeckter Sicht, aufgrund einer Abfälschung des Balls oder aufgrund überraschenden Aufsetzens oder Flatterns." Die Abwehrbeteiligung reicht vom klassischen Eigentor (3,6 Prozent) über das "Auflegen" für den Schützen bis hin zum Verlust des Balles an den Assistgeber.

    Im Vergleich zu früheren Untersuchungen aus den Jahren 1994, 1999 und 2004 (EM), die einen Zufallsanteil zwischen 44 und 48 Prozent ergaben, zeigt die aktuelle Untersuchung einen Rückgang. "Während sich die übrigen Zufallsmerkmale fast als Naturkonstanten erweisen, ist dieser Rückgang vor allem auf eine geringere "Abwehrunterstützung" zurückzuführen", erläutert Lames. Ob dieser Trend auf den neuen Abwehrtaktiken beruht, könne man jetzt allerdings noch nicht entscheiden.

    EINE REGULÄRE EINFLUSSGRÖSSE

    Lames räumt ein, dass mit dieser Untersuchungsreihe lediglich in der Praxis ohnehin verbreitete Annahmen mit wissenschaftlichen Methoden gemessen und als quantitatives Ergebnis dargestellt wurden. Auch seinen ausgelassene Torchancen, also Zufallseinflüsse beim Nicht-Zustandekommen von Toren, hier nicht berücksichtigt worden, da sie nur sehr schwer zu objektivieren seien. Unabhängig davon stehe aufgrund dieser Untersuchungen für die Theorie der Leistungsstruktur im Fußball aber fest, "dass der Zufall als reguläre Einflussgröße zu betrachten ist; man kann in jedenfalls nicht, wie das bislang meist geschehen ist, als eine Größe betrachten, die zu vernachlässigen ist."

    DEN ZUFALL (EIN)PLANEN

    So paradox dies klinge: für Trainer und Spieler wäre es sehr sinnvoll, meint Lames, den Faktor Zufall stärker in ihre Berechnungen einzubeziehen, denn: "Nicht nur geplante Spielzüge führen zum Erfolg, vielmehr resultiert das Tor signifikant oft aus dem nicht Vorhersehbaren. Deshalb geht es nicht nur darum, schematisch Angriffe vorzutragen, es gilt vielmehr auch, einfach Unordnung herzustellen, etwas zu riskieren und sich auf Unvorhergesehenes einzustellen. Bestes Beispiel hierfür ist der 'Torriecher', der einigen Spielern attestiert wird und den man annäherungsweise mit der Fähigkeit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu stehen. Aufgrund unserer Ergebnisse darf man dies mit Fug und Recht als besonders angemessenen Umgang mit dem Zufall im Spiel bezeichnen."

    DAS SALZ IN DER SUPPE

    "Für Wissenschaftler und für die Akteure auf dem Platz, die das Spiel gerne erklären bzw. kontrollieren würden, mag der Zufall weniger erfreulich sein", resümiert Lames, "aber für den Stellenwert des Fußballs bei Zuschauern und Medien, für seinen Unterhaltungswert und für den Spannungsgehalt einer Partie ist dieser hohe Zufallsanteil bei den relativ wenigen Toren im Fußball geradezu das Salz in der Suppe." Ob er denn dann auf einen hohen Zufallsanteil bei der anstehenden Weltmeisterschaft hoffe? "Natürlich! Erstens sind Zufallstore immer spektakulär und zweitens könnte ja Deutschland dieses Mal besonders davon profitieren."
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    KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN:
    Prof. Dr. Martin Lames
    Bewegungs- und Trainingswissenschaft
    Institut für Sportwissenschaft
    Universität Augsburg
    86135 Augsburg
    Telefon 0821/598-2824
    martin.lames@sport.uni-augsburg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Sportwissenschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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