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14.09.2006 15:39

Religion trifft Wissenschaft

Ullrich-Eberhardt Georgi Stabsstelle für Presse, Kommunikation und Marketing
Universität Siegen

    Nachwuchsforscher der experimentellen Teilchenphysik ziehen ins Kloster ein

    Ein viertelstündiges Glockenläuten reißt Robert Feger um fünf Uhr morgens aus dem Schlaf. Zeit zum Aufstehen. Glücklicherweise aber nicht für ihn. Feger kann sich noch einmal für zwei Stunden umdrehen, bevor sein anstrengender Tag beginnt.
    Robert Feger lebt zurzeit im Kloster. Der Weckruf galt den Benediktinermönchen der Abtei, deren Tagewerk zu eigentlich sehr "unchristlichen" Zeiten beginnt. Feger ist Promovierender an der Universität Siegen im Fach Teilchenphysik. Im 850 Jahre alten Kloster Maria Laach bei Koblenz in der Eifel zerbricht sich Feger in diesen Tagen den Kopf darüber, woraus unsere Welt jenseits des Sichtbaren aufgebaut ist und was sie im Innersten zusammenhält. Mit dem jungen Wissenschaftler haben sich 55 weitere Mitstreiter aus ganz Deutschland in Klausur begeben; die Nachwuchselite der Deutschen Teilchenphysik trifft sich in Maria Laach zu einer zweiwöchigen Herbstschule. Hier, in der Abgeschiedenheit des klösterlichen Lebens möchten die Jungforscher Ruhe finden, um sich den komplexen Fragen der Atomphysik widmen zu können; und natürlich geht es auch darum sich gegenseitig kennen zu lernen und Kontakte für die Zukunft zu knüpfen. Jeder der Anwesenden muss in der Schule über seine Arbeit berichten, sich den kritischen Fragen der Gleichaltrigen stellen. Eine einmalige Gelegenheit, wie Thomas Mannel, Dekan des Fachbereichs Physik an der Universität Siegen und verantwortlicher Koordinator der jährlich stattfindenden Schule versichert. Nahezu jeder, der in der Deutschen Teilchenphysik Rang und Namen habe, sei einmal in Maria Laach gewesen, so Mannel. Nicht nur die Gläubigen pilgern somit in großer Anzahl in das mittelalterliche Kloster am Fuße des Laacher Sees; auch die der per Profession zweifelnden, weil dem Wissen und weniger dem Glauben verpflichteten Wissenschaftler, haben die Benediktinerabtei für sich als Wallfahrtsort entdeckt. Gegründet wurde die Schule Ende der 60er Jahre mit dem Ziel, die damals noch spärlichen deutschen Kapazitäten in der Teilchenphysik zu bündeln. Viele Universitäten waren in dieser Zeit noch zu gering ausgestattet, als dass sie in Forschung und Lehre alle Aspekte der Teilchenphysik hätten abdecken können. Der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Klosteraufenthalt sollte dem Nachwuchs die Möglichkeit bieten, ein umfassenderes Verständnis der Zusammenhänge in der Teilchenphysik zu gewinnen. Nicht zuletzt auch, um auf internationalem Niveau mithalten zu können sollten mit der Herbstschule Wissensdefizite kompensiert werden. Denn die tägliche Arbeit in der Teilchenphysik ist aufgrund der benötigten millionenteuren Forschungsapparaturen seit jeher international ausgerichtet. Inzwischen hat sich die Schule nicht nur fest in Deutschland etabliert, sondern ist zum Vorbild für Angebote ähnlichen Typs im Ausland geworden. Insbesondere die schon oftmals evaluierte Struktur der Schule habe Vorbildcharakter, so Mannel. Die Ausbildung an der Herbstschule ruht konzeptionell auf drei Säulen. So stehen vormittags zunächst Vorlesungen auf dem Programm. Nach der Mittagspause müssen die Promovierenden dann selbst aktiv werden: am frühen Nachmittag engagieren sich die Schüler in Gruppenübungen. Am späten Nachmittag stehen die Nachwuchswissenschaftler selbst am Rednerpult und referieren über ihre Forschungsprojekte. Wer nach diesem zehrenden Tagesprogramm noch Energie hat, kann bei Abendvorträgen noch sein Allgemeinwissen, z. B. über die "Geologie der Vulkaneifel erweitern.
    "Ora et Labora", zu Deutsch: "Bete und Arbeite", lautet der Leitspruch der Benediktinermönche, der dem Tagesablauf einen strengen Rhythmus aufzwingt. Diesem Rhythmus folgen auch die jungen Physiker für zwei Wochen. Da die Schulungsteilnehmer an den Mahlzeiten der Benediktiner teilnehmen, sind die Arbeitspausen minutiös festgelegt. Das Einnehmen von Mittag- und Abendessen folgt einem strengen Ritual. Nachdem Abt Benedikt Müntnich das Tischgebet gesprochen hat, setzen sich Mönche und Teilchenphysiker gleichermaßen an die langen Tischreihen im Refektorium, dem Speisesaal der Mönche. Während des Essens wird kein Wort gesprochen. Von einer Kanzel herab verliest stattdessen ein Tischleser Geschichten zur Besinnung. Der jahrhundertealte Essensritus endet, wie begonnen, mit dem Tischgebet des Abtes.
    Physiker und Mönche schätzen den zweiwöchigen Austausch miteinander gleichermaßen. Petra Haefner von der Universität München freut sich durch den Klosteraufenthalt in Gesprächen mit den Mönchen auch einmal Gelegenheit zu finden über das Verhältnis von Religion und Wissenschaft nachdenken zu können. Für sich hat sie erkannt, was auch Papst Benedikt bei seinem Deutschlandbesuch feststellte. Dass Wissenschaft eben nicht alle Geheimnisse des Lebens aufdecken kann, dass Gott und moderne Forschung nicht unbedingt zueinander in Widerspruch stehen. Max Planck, der berühmte deutsche Physiker und Begründer der Quantenphysik hat einst gesagt, dass für den Gläubigen Gott am Anfang seines Denkens steht, für den Naturwissenschaftler am Ende seines Denkens. Egal an welcher Position Gott für den Einzelnen stehen mag, so bleiben Mönche und Physiker doch gleichermaßen über die Frage nach der letzten Ursache für die Entstehung des Universums miteinander in Verbindung.
    Ein Tag vor Ende der zweiwöchigen Herbstschule freut sich Petra Haefner inzwischen allerdings auch darauf, wieder in Kontakt mit der Außenwelt treten zu können. Langfristig gesehen seien die Klostermauern doch ganz schön dick, so Haefner. Und auch Robert Feger dürfte der Gedanke wohl behagen, am Wochenende nicht mehr um fünf Uhr morgens vom Läuten der Klosterglocken geweckt zu werden, sondern stattdessen einmal wieder richtig ausschlafen zu können.

    Auf Anfrage in der Pressestelle zusätzlich erhältlich:

    -Interview mit Thomas Mannel, Dekan des Fachbereichs Physik an der Universität Siegen und Koordinator der Herbstschule Maria Laach
    Inhalt: - Fragen zum Verhältnis von Wissenschaft und Religion
    - Bisherige Erfahrungen mit der Herbstschule, Gruppendynamik, Stellenwert
    der Schule für die weitere Karriere der Nachwuchsforscher
    - Physik als Männerdomäne?

    -Interview mit Promovierenden: Robert Feger und Petra Haefner
    Inhalt: - Erfahrungen mit der Schule und mit dem Klosterleben
    - Zum Verhältnis von Wissenschaft und Religion
    - Wie erkläre ich meine Arbeit meinen Bekannten

    -Interview mit Pater Timotheus, Gästebetreuer der Teilchenphysiker
    Inhalt: - Zum Verhältnis von Religion und Wissenschaft
    - Parallelen zwischen der Suche nach Gott und der Such nach Erkenntnis
    - Austausch zwischen Schülern und Mönchen
    - Dialog zwischen Kirche und Forschung

    Alle Interviews sind als MP3-Files oder in Textversion erhältlich

    Außerdem: Auswahl von mehr als zwanzig Fotos aus der Herbstschule


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Mathematik, Physik / Astronomie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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