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29.06.2007 09:51

Wie illegale Migranten Bleiberecht erfolgreich erkämpften: RUB-Politologin untersucht den "Kampf um Legalisierung"

Dr. Josef König Pressestelle
Ruhr-Universität Bochum

    Die EU-Länder schotten sich gegen Migranten ab, die hier Arbeit und Wohlstand suchen und dafür hohe Risiken eingehen; viele Migrationsversuche über das Mittelmeer enden tödlich. In Deutschland leben etwa eine Million Einwanderer illegal, häufig in prekären Verhältnissen und ständig von Ausweisung bedroht. Während sie hier die Situation schweigend ertragen, wenden sie sich in anderen europäischen Ländern selbst an die Öffentlichkeit. Erstmals zeigt eine Untersuchung, warum sich illegale Einwanderer in Frankreich, Spanien und der Schweiz erfolgreich ein kollektives Bleiberecht erkämpfen konnten. In ihrer Dissertation erläutert die RUB-Politologin Dr. Barbara Laubenthal (Lehrstuhl Organisationssoziologie und Mitbestimmungsforschung) welche Faktoren dazu führten, dass es illegalen Einwanderern gelang, diese Gesellschaften zu emotionalisieren und so politische Entscheidungsprozesse zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

    Bochum, 29.06.2007
    Nr. 224

    Mit Hungerstreiks und Kirchenbesetzungen zur Legalität
    Wie illegale Migranten Bleiberecht erfolgreich erkämpften
    RUB-Politologin untersucht den "Kampf um Legalisierung"

    Die EU-Länder schotten sich gegen Migranten ab, die hier Arbeit und Wohlstand suchen und dafür hohe Risiken eingehen; viele Migrationsversuche über das Mittelmeer enden tödlich. In Deutschland leben etwa eine Million Einwanderer illegal, häufig in prekären Verhältnissen und ständig von Ausweisung bedroht. Während sie hier die Situation schweigend ertragen, wenden sie sich in anderen europäischen Ländern selbst an die Öffentlichkeit. Erstmals zeigt eine Untersuchung, warum sich illegale Einwanderer in Frankreich, Spanien und der Schweiz erfolgreich ein kollektives Bleiberecht erkämpfen konnten. In ihrer Dissertation erläutert die RUB-Politologin Dr. Barbara Laubenthal (Lehrstuhl Organisationssoziologie und Mitbestimmungsforschung) welche Faktoren dazu führten, dass es illegalen Einwanderern gelang, diese Gesellschaften zu emotionalisieren und so politische Entscheidungsprozesse zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

    Emotionale Thematik

    Ab Mitte der 1990er Jahre besetzten Migranten Kirchen, traten in Hungerstreiks und protestieren auf den Straßen: Sie machten öffentlich, dass sie unterdrückt werden, von Gewalt und Tod bedroht sind, keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung haben und ohne Arbeitnehmerrechte arbeiten. Für den Erfolg ihrer Proteste verantwortlich waren zum einen bestimmte Merkmale der Einwanderungspolitik. So bestand in allen drei Ländern zeitweilig die Möglichkeit, einen illegalen in einen legalen Aufenthalt umzuwandeln. Außerdem hatten sich kurz vor dem Ausbruch der Proteste neue zivilgesellschaftliche Organisationen, z.B. die französische Obdachlosengruppe "Comité des sans-logis" (Obdachlosenkomittee) oder die spanische Pro-Migrationsorganisation "Derechos para Todos" (Rechte für alle) gegründet, die die Forderung nach einem kollektivem Bleiberecht zu ihrem zentralen Anliegen machten und die illegalen Migranten unterstützen. Die Einwanderer fanden außerdem im jeweiligen politischen Kontext historische Anknüpfungspunkte für ihre Forderung nach Legalisierung: Sie argumentierten damit, dass sie aufgrund bestehender kolonialer Bindungen oder aufgrund einer langjährigen Einwanderungsgeschichte als "Gastarbeiter" eigentlich bereits zur Aufnahmegesellschaft gehörten.

    Medien als Unterstützer der Migranten

    Eine wesentliche Rolle für die Entstehung der Proteste spielten die Medien. In der Art, wie sie sich diesem Thema widmeten, bewirkten sie einen Perspektivwechsel in der öffentlichen Wahrnehmung "illegaler Migranten": sie wurden nicht mehr als anonyme Gruppe und als Herausforderung der nationalen Sicherheitspolitik gesehen, sondern als Individuen und gleichzeitig als Opfer verfehlter staatlicher Einwanderungspolitik dargestellt. Tageszeitungen beeinflussten maßgeblich den Verlauf und den Erfolg der Bewegungen. Sie unterstützten die Ausbreitung von Protestereignissen, schufen und verbreiteten Symbole der Bewegungen und appellierten an die jeweiligen Regierungen, illegalen Migranten ein juristisches Anwesenheitsrecht zu gewähren. Vor allem waren die Medien der Transmissionsriemen, der die Forderungen der Bewegungen in Druck auf die Regierungen verwandelte. Es ist davon auszugehen, dass die Medienberichterstattung politische Entscheidungen beeinflusst hat: Alle untersuchten Tageszeitungen - regionale und nationale, linke und rechte - behandelten das Thema Regularisierung intensiv, und es bestand eine hohe Übereinstimmung in der Bewertung und Kommentierung.

    "Blinder Fleck" der Forschung

    Laubenthal sichtete während mehrmonatiger Forschungsaufenthalte in den Ländern grundlegendes Material, sie untersuchte Publikation und Presseerklärungen und interviewte so unterschiedliche Akteure wie ehemalige Widerstandskämpfer der französischen Résistance, Pariser Obdachlosengruppen, Agrarunternehmer im ländlichen spanischen Südosten, Vertreter der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei, Journalisten der Neuen Zürcher Zeitung sowie vor allem viele illegale Einwanderer selbst. Die Dissertation von Dr. Laubenthal ist betreut worden von Prof. Dr. Claus Leggewie (Universität Gießen), der in wenigen Tagen die Leitung des Kulturwissenschaftlichen Instituts der Universitäten Duisburg-Essen, Bochum und Dortmund (KWI) übernimmt. Sie ist international die erste Publikation, die Entstehungs- und Erfolgsfaktoren von Protesten illegaler Migranten in mehreren EU-Ländern analysiert. Sie verbindet getrennte Forschungsstränge, beinhaltet weiterführende Forschungsergebnisse für die Bewegungs- und Migrationsforschung und leitest einen Beitrag zur hochaktuellen Debatte um 'Illegale Migration'.

    Titelaufnahme

    Barbara Laubenthal: Der Kampf um Legalisierung. Soziale Bewegungen illegaler Migranten in Frankreich, Spanien und der Schweiz. Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2007, 253 Seiten, 32,90 Euro (ISBN 978-3-593-38-360-6)

    Weitere Informationen

    Dr. Barbara Laubenthal, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Sozialwissenschaften, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-22580; E-Mail: barbara.laubenthal@rub.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Politik, Recht
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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