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21.09.2007 09:52

Zwischen Wissenschaft und Praxis

Dr. Christian Jung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
VolkswagenStiftung

    Stiftung bewilligt letztmalig drei Projekte in ihrem "Brückenprogramm zwischen Wissenschaft und Praxis in der Transformation des Sozialstaates"

    Dass Wissenschaftler zu wenig von der Praxis verstehen und Praktiker zu wenig von Forschung, ist eine häufig erhobene Klage. Dabei arbeiten viele Menschen in beiden Sphären an ähnlichen Fragen - nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Oft wäre es daher produktiv und bereichernd, zeitweilig die Seiten zu wechseln. Einen solchen Perspektivwechsel zu ermöglichen, war das Ziel des "Brückenprogramms zwischen Wissenschaft und Praxis in der Transformation des Sozialstaates" der VolkswagenStiftung, das im Jahre 2002 ins Leben gerufen wurde. Die Stiftung hat nun zum fünften und letzten Mal drei Personen in das Programm aufgenommen. Sie erhalten jetzt die Gelegenheit, für sechs bis zwölf Monate die jeweils andere Arbeitssphäre kennen zu lernen. Arbeitsgegenstand sind jeweils Probleme der Sozialstaatstransformation in Deutschland und im internationalen Kontext. Bewilligt wurden folgende Projekte:

    1. Mit rund 55.000 Euro fördert die Stiftung den einjährigen Arbeitsaufenthalt von Dr. des. Anneli Rüling beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Berlin. Anneli Rüling arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Göttingen. Ihr Thema: "Modernisierung der familienbezogenen Leistungen in Deutschland - Wissenstransfer und Forschungskoordination im Kompetenzzentrum Familienleistungen".

    2. Mit rund 77.000 Euro gefördert wird der einjährige Arbeitsaufenthalt von Dr. Peter Bartmann am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Peter Bartmann ist im Zentrum Gesundheit, Rehabilitation und Pflege des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) tätig. Sein Thema: "Chancen- und Bedarfsgerechtigkeit in der Krankenversicherung und Krankenhilfe nach der Gesundheits- und Sozialreform 2003/2004".

    3. Mit rund 27.000 Euro fördert die Stiftung den sechsmonatigen Arbeitsaufenthalt von Dr. Reinhard Penz an der Hertie School of Governance in Berlin. Reinhard Penz ist derzeit Referent für Grundsatzfragen der Arbeitsmarktpolitik im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Sein Thema: "Paradigmatischer Politikwechsel - eine Bewertung der arbeitsmarktpolitischen Reformen in Deutschland seit 2002 anhand der normativen Leitidee des aktivierenden Sozialstaates".

    Wir stellen Ihnen die Projekte auf den folgenden Seiten kurz vor.

    1. Familienpolitische Leistungen für morgen
    Die traditionelle Familie ist in Deutschland heutzutage nur ein Modell des Zusammenlebens unter vielen: Die Scheidungsraten steigen weiterhin, die Geburtenraten sinken, und immer mehr Mütter und Väter sind alleinerziehend oder in so genannten Patchwork-Familien einander verbunden - große Herausforderungen für jeden Einzelnen und für die Politik. Zugleich verändern sich auch die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen: Immer mehr Mütter sind berufstätig, die Arbeitsverhältnisse werden unsicherer und "prekärer", die Lebensläufe damit vielfältiger und instabiler. Eine Antwort auf diese Entwicklungen könnte das Leitbild einer "nachhaltigen Familienpolitik" sein; es zielt darauf, über verbesserte Rahmenbedingungen eine Familiengründung zu erleichtern. Hier setzt das "Brückenschlagvorhaben" der Politikwissenschaftlerin Anneli Rüling an: Wie genau kann eine solche Politik aussehen? Welche familienorientierten Leistungen wirken sich wie aus? Welche Anreize sollten daher auf welche Art und Weise gesetzt werden?

    Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Mitarbeiter des Kompetenzzentrums Familienleistungen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das im Jahre 2006 eingerichtet wurde - und das Zielort des Seitenwechsels Anneli Rülings ist. Sie wird die ministerielle Arbeitsgruppe bei der Koordination der Forschung, beim Wissenstransfer und der Erarbeitung politischer Handlungsempfehlungen unterstützen. Um die familienpolitischen Leistungen - wie zuletzt zum Beispiel das Elterngeld - bewerten zu können, will sie im Kompetenzzentrum bereits vorhandene Wirkungsstudien systematisch auswerten und sozialpolitische Querschnittsanalysen durchführen. Anneli Rüling möchte insbesondere auch international vergleichen und unter Zusammenführung der Erkenntnisse Schlussfolgerungen für die politische Praxis entwickeln. Vorbilder in Europa gibt es bereits: Einige Länder wie etwa Schweden haben inzwischen äußerst fortschrittliche Pfade in der Familienpolitik eingeschlagen. Ihr Augenmerk gilt dabei auch der Kommunikation der Reformvorschläge: So plant die Nachwuchsforscherin, Tagungen und Workshops zum Thema auf den Weg zu bringen und Pressegespräche zu organisieren.

    --- Arbeitsbeginn von Anneli Rüling ist der 1. November 2007.

    Kontakt
    Dr. des. Anneli Rüling
    E-Mail: anneli.rueling@sowitra.de

    2. Wie gut sind chronisch Kranke gesundheitlich versorgt?
    Wer gesetzlich krankenversichert ist, kennt das: Bei Medikamenten und anderen Leistungen muss seit 2003 zugezahlt werden - ein Ergebnis der umfangreichen Gesundheits- und Sozialreformen der vergangenen Jahre. Rezeptfreie Arzneien und Brillengläser sind seither komplett selbst zu finanzieren. Also heißt es für viele: sparen oder anderweitig Vorsorge treffen. Auch Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe müssen nun in begrenztem Umfang zuzahlen. Diese Änderungen stehen politisch unter dem Leitbegriff der "aktivierenden Leistungen"; sie zielen darauf, dem Einzelnen mehr Eigenverantwortung zu übertragen. In gesunden Lebensphasen kann und soll demnach für den Krankheitsfall gespart werden. Doch: Wie wirkt sich diese Entwicklung aus auf Menschen mit chronischen Erkrankungen, die besonders starke existenzielle Belastungen für den Betroffenen und seine Familie darstellen? Hier setzt das Forschungsinteresse Dr. Peter Bartmanns an, das er aus seiner Arbeit im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Deutschland mitbringt. In der Sozial- und Schuldnerberatung, Pflege, Suchthilfe oder Rehabilitation stellt die Situation chronisch Kranker immer wieder eine große Herausforderung dar.

    Bartmann möchte seinen "Seitenwechsel" dazu nutzen, die Auswirkungen der jüngsten Reformen im Gesundheitswesen auf schwer chronisch kranke Menschen mit niedrigem Einkommen näher zu erforschen. Dies dürfte eine beträchtliche Zahl an Menschen in Deutschland betreffen. Zum einen haben chronisch Kranke - neben den sich aus den Behandlungskosten ergebenden finanziellen Belastungen - oft ein größeres Risiko, erwerbslos oder sogar erwerbsunfähig zu werden. Zum anderen sind ärmere Menschen häufiger und schwerer von Krankheiten betroffen als wohlhabendere Mitbürger. Um mehr über ihre Lage zu erfahren und um vor allem einschätzen zu können, welche Regelungen sinnvoll sind, wird Peter Bartmann am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung die Zusammenhänge von Armuts- und Krankheitsrisiken untersuchen. Auch Modelle anderer EU-Mitgliedsstaaten will der Theologe und Gesundheitsökonom dabei berücksichtigen - und seine Erkenntnisse bei einer abschließenden Tagung mit Wissenschaftlern und Praktikern zur Diskussion stellen.

    --- Arbeitsbeginn von Peter Bartmann ist der 1. Oktober 2007.

    Kontakt
    Dr. Peter Bartmann
    E-Mail: peterbartmann@arcor.de

    3. Richtungswechsel bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit
    Wurde in früheren Jahren die Arbeitslosigkeit oftmals nur verwaltet, haben mit den arbeitsmarktpolitischen Reformen der rot-grünen Koalition durchgreifende Veränderungen stattgefunden: Aktivierung statt Alimentierung heißt die Leitidee. So wurde nicht nur das Arbeitsamt zur Arbeitsagentur, auch die Sozialleistungen selbst wurden neu strukturiert. Das wohl bekannteste Beispiel: Hartz IV. Die Politik legte Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammen und schuf eine zentrale Anlaufstelle, um eine wirkungsvollere Betreuung zu ermöglichen. Es wird nicht mehr nur gefördert, sondern nach der Idee eines "aktivierenden Sozialstaats" gleichermaßen gefordert. Die Betroffenen werden zu mehr Eigeninitiative angeregt und es werden mehr Anreize geschaffen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

    Doch: Treffen diese Reformen sowohl in der Gesellschaft als auch bei den Mitarbeitern der Arbeitsverwaltung auf Akzeptanz? Schließlich wäre das eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sie langfristig und nachhaltig wirken. Und welche Ergebnisse lassen sich seit der Einführung der neuen Arbeitsmarktpolitik bereits feststellen? Sind die Chancen auf Erwerbstätigkeit und gesellschaftliche Teilhabe für die Betroffenen tatsächlich gestiegen? Diesen und anderen Fragen möchte Dr. Reinhard Penz - er begleitet zurzeit im Bundesministerium die Evaluierung der Hartz-Reformen - während seines Forschungsaufenthaltes nachgehen. Die Hertie School of Governance in Berlin ist dabei für Reinhard Penz der ideale Ort, um die praktischen Erfahrungen aus seiner Tätigkeit im Ministerium in Forschungsprozesse einzubringen. Dort kann er im Zuge seines Vorhabens die bisherige Arbeit wissenschaftlich untermauern.

    Sein grundlegendes Ziel ist es, Widersprüche und Steuerungsprobleme der Reformen aufzudecken. Seiner Ansicht nach resultieren diese nicht aus einer falschen Grundidee der Arbeitsmarktreformen. Es seien vielmehr die Betroffenen und die Arbeits- und Kommunalverwaltungen selbst, in deren Denkweisen und Routinen die Reformen noch nicht griffen. Die bestgemeinten Reformen blieben daher ohne Wirkung, wenn sie nicht entsprechend umgesetzt würden - der institutionellen Reform müsse ein institutioneller Wandel folgen. Letztlich hänge der Erfolg der Arbeitsmarktreformen auch davon ab, ob sie sich in der Realität der Arbeitsverwaltung durchsetzen könnten, betont Penz. Ziel des sechsmonatigen Forschungsaufenthalts ist es daher auch, erste Vorschläge für langfristig orientierte Ansätze zur Verbesserung der institutionellen Steuerung der Arbeitsverwaltung zu erarbeiten. Diese sollen nicht zuletzt dazu beitragen, dass die Reformen nicht nur im Gesetz stehen, sondern sich auch in den Köpfen der Beteiligten festsetzen und ihre gewünschte Wirkung entfalten.

    --- Arbeitsbeginn von Reinhard Penz ist der 1. Oktober 2007.

    Kontakt
    Dr. Reinhard Penz
    E-Mail: reinhard.penz@t-online.de

    Kontakte
    VolkswagenStiftung

    Brückenprogramm zwischen Wissenschaft und Praxis in der Transformation des Sozialstaates
    Dr. Alfred Schmidt
    Telefon: 0511 8381 237
    E-Mail: schmidt@volkswagenstiftung.de

    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Christian Jung
    Telefon: 0511 8381 380
    E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de

    Der Text der Presseinformation steht im Internet zur Verfügung unter http://www.volkswagenstiftung.de/service/presse.html?datum=20070921.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Medizin, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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