Zwischenruf zur Kontroverse um Stefan Rahmstorfs Kritik an der medialen Wiederholung falscher Tatsachen zum Klimawandel
Nach Medienberichten über die Rolle der Klimaforschung in der Öffentlichkeit und insbesondere über den Wissenschaftler Prof. Dr. Stefan Rahmstorf sehen sich Forscherkollegen zu einem Zwischenruf veranlasst. Unter den Autoren des Textes finden sich namhafte Wissenschaftler aus Leibniz-Instituten wie dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, PIK, und dem Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, IfM-GEOMAR.
In letzter Zeit haben sich wiederholt Kritiker der etablierten Klimawissenschaft in deutschen Medien und Sachbüchern mit Aussagen zu Wort gemeldet, die falsch, bzw. längst überholt sind und dennoch von Redaktionen und Lektoren ungeprüft veröffentlicht wurden. Darauf hat der Klimaforscher und Professor für Physik der Ozeane, Stefan Rahmstorf, in der Zeitschrift Universitas und (gekürzt) am 31. August 2007 in der FAZ mit einem detailreichen Artikel hingewiesen.
Mehrere der von Rahmstorf erwähnten Autoren nutzten daraufhin die Gelegenheit zu einer Replik in der FAZ vom 5. September 2007. Anstatt sich jedoch mit den konkreten Vorwürfen Rahmstorfs in der Sache auseinanderzusetzen, geschah dies in der Form eines persönlichen Angriffs auf ihn ("Dschihad", "fanatische Verfolgung Andersdenkender"). Doch damit nicht genug: SPIEGEL-online stilisierte am 12. September die Kontroverse zu einem Kampf um die Person hoch (Titel "Die rabiaten Methoden des Klimaforschers Rahmstorf"). Schließlich veröffentlichte die WELT am 9. Oktober einen Essay von Jan-Philipp Hein, der Rahmstorf als "Deutschlands lautesten Klimaforscher" bezeichnet.
Die Debatte hat damit endgültig das eigentliche Thema - die sachlich falschen und irreführenden Aussagen der "Skeptiker" - aus den Augen verloren, und die Angriffe auf die Person Rahmstorfs haben den Rahmen des Erträglichen verlassen. Wir möchten die Diskussion deshalb mit diesem Zwischenruf wieder auf die Frage nach dem Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen in populären Medien zurückholen. Aus Sicht der Klima- und Klimafolgenforschung muss dazu folgendes klargestellt werden:
Erstens, der dominierende menschliche Anteil an den Ursachen des Klimawandels wird von keinem seriösen Experten in Zweifel gezogen. Dieser Konsens in der Wissenschaft besteht schon länger und wird immer wieder überprüft. Er beruht übrigens nicht, wie manchmal vermutet wird, auf einer Art "Mehrheitsentscheidung", sondern auf seit langem bekannten physikalischen Zusammenhängen. Trotz zahlreicher Versuche konnte auch bisher niemand ein plausibles Gegenmodell vorlegen.
Zweitens, in einer offenen Gesellschaft ist es von größter Bedeutung, dass die Bewertung aller wissenschaftlichen Fakten öffentlich geschieht und dass dabei jede Meinung zu Wort kommt, sei sie auch noch so abstrus - hier herrscht ja auch kein Mangel, wie die Kolumnen und Bücher der von Rahmstorf benannten Autoren belegen. Im Gegensatz zur Grundlagenerforschung ist dies eine politische Debatte - und ebenso notwendig. Dass man dabei je nach Überzeugung zu unterschiedlichen Bewertungen und Forderungen an die Politik kommt, ist selbstverständlich.
Drittens aber gehört es nach unserer Überzeugung zur journalistischen Sorgfalt (und zur Verantwortung von Sachbuchautoren gegenüber ihren Lesern), dass einmal als sachlich falsch entlarvte Aussagen nicht unendlich oft unverändert wiederholt werden. Geschieht dies dennoch, dann muss der Eindruck entstehen, dass den Autoren mehr an Irreführung als an Aufklärung gelegen ist.
Das Fehlen eben dieser Sorgfalt und Verantwortung gegenüber dem Leser war der eigentliche Gegenstand von Rahmstorfs Artikel und sein Vorwurf wurde bisher auch nicht entkräftet. Stattdessen wurde versucht, die Kritik von Rahmstorf an den Skeptikern und an den Medien, die deren Behauptungen ungeprüft wiedergeben, als "Kreuzzug" zu brandmarken.
Kein Forscher ist unfehlbar und weder Professorentitel noch angesehene Institute oder Zeitschriften sichern automatisch die Richtigkeit von Forschungsergebnissen. Aber die Wissenschaft hat Mechanismen entwickelt, durch die Irrtümer entdeckt und bei Bedarf widerlegt werden können. Zu diesen gehört, dass alle Daten und Analysen jederzeit vollkommen offen gelegt und der Prüfung durch anerkannte Fachleute unterzogen werden ("peer review"). Keine seriöse Publikation kann ohne solche Prüfung erscheinen und kein seriöses Institut kann ohne sie öffentlich finanziert werden. Beispielsweise sind die astrologischen Untersuchungen, die angeblich nicht nur den Klimawandel, sondern auch den Aufstieg von Diktaturen mit kosmischen Zyklen erklären (wie dies in einer Quelle der Skeptiker dargestellt wird) nicht dem peer review unterzogen worden und daher wissenschaftlich nicht belegbar.
Für uns wird in der schriller werdenden Debatte eine Besorgnis erregende Tendenz in den Medien sichtbar, die besondere Qualität wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zu unterschlagen und sie mit beliebigen Meinungen gleichzustellen. Noch schwerer wiegt für uns, dass ein Wissenschaftler, der diese Vorgehensweise aufdeckt und publik macht, damit rechnen muss, öffentlich gebrandmarkt zu werden.
Stefan Rahmstorfs Beitrag war ein mutiger Versuch, auf die offensichtlichen sachlichen Fehler in der Argumentation einiger "Zweifler" aufmerksam zu machen und die Medien aufzufordern, sorgfältiger als bisher zu recherchieren. Welche Schlüsse Kommentatoren, Kolumnisten und Politikredakteure aus den wissenschaftlichen Fakten ziehen, bleibt ihnen überlassen. Aber die Fakten müssen stimmen.
Unterzeichner: Prof. Dr. Wolfgang Cramer (PIK, Potsdam & CEREGE, Aix-en-Provence), Dr. Edgar Göll (Kairo), Prof. Dr. Gerald Haug (ETH Zürich), Prof. Dr. Peter Hennicke (Wuppertal-Institut, Wuppertal), Dr. Jill Jäger (SERI, Wien), Prof. Dr. Stefan Kröpelin (Univ. Köln), Prof. Dr. Karin Lochte (IFM-Geomar, Kiel), Prof. Dr. Wolfgang Lucht (PIK, Potsdam), Dr. Axel Michaelowa (Perspectives, Zürich), Prof. Dr. Heiko Paeth (Univ. Würzburg), Dr. Hermann E. Ott (Wuppertal-Institut, Berlin), Prof. Dr. Christian Schönwiese (Univ. Frankfurt/Main), Prof. Dr. Wolfgang Seiler (FZK, Karlsruhe), Prof. Dr. Udo-E. Simonis (WZB, Berlin), Prof. Dr. Thomas Stocker (Univ. Bern), Prof. Dr. Martin Visbeck (IFM-Geomar, Kiel), Josef Zens (Forschungsverbund Berlin).
Nachfragen bitte an die Verantwortlichen: Wolfgang Cramer (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung e.V., Telegraphenberg A62, 14412 Potsdam, Tel. 0331-288-2521, E-Mail: Wolfgang.Cramer@pik-potsdam.de), Hermann E. Ott (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH, Wuppertal, Tel. 030-2089-5489, E-Mail: hermann.ott@wupperinst.org) oder Josef Zens (Forschungsverbund Berlin e.V., Rudower Chaussee 17, 12489 Berlin, Tel. 030-6392-3338, E-Mail: zens@fv-berlin.de)
Zur Leibniz-Gemeinschaft gehören 83 außeruniversitäre Forschungsinstitute und Serviceeinrichtungen für die Wissenschaft. Leibniz-Institute bearbeiten gesamtgesellschaftlich relevante Fragestellungen strategisch und themenorientiert. Dabei bedienen sie sich verschiedener Forschungstypen wie Grundlagen-, Groß- und anwendungsorientierter Forschung. Sie legen neben der Forschung großen Wert auf wissenschaftliche Dienstleistungen sowie Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Die Institute beschäftigen rund 13.700 Mitarbeiter, ihr Gesamtetat beträgt etwa 1,1 Milliarden Euro. Sie werden gemeinsam von Bund und Ländern finanziert.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Geowissenschaften, Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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