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22.02.2008 10:16

Lernen als lebenslange Aufgabe - Welche Bedeutung kommt den Neurowissenschaften zu?

Wolfgang Müller M.A. AWMF Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

    Herr M. drückt auf den Knopf. Er weiß: in dieser Runde gibt es etwas zu gewinnen, und wenn er die Zahl richtig erkennt und jetzt schnell reagiert, bekommt er 50 Cent. Das ist nicht viel, aber egal - es ist nun mal ein Spiel und da möchte er gewinnen. Herr M. liegt während des Spiels in einem Magnetresonanztomografen, trägt Kopfhörer und schaut aufmerksam auf das kleine Monitorbild. Seit einiger Zeit ist er Proband, also freiwilliger Versuchsteilnehmer bei Prof. Emrah Düzel an der Klinik für Neurologie II in Magdeburg. Das ist für den 76Jährigen eine willkommene Abwechslung im Rentneralltag. Herr M. ist stolz darauf, dass er in der gesunden Kontrollgruppe ist, er hat sein Leben lang gearbeitet, war nie schwer krank und auch jetzt im Alter ist er rüstig geblieben. Nur mit dem Gedächtnis hapert es manchmal, da fallen ihm die Namen seiner alten Klassenkameraden plötzlich nicht ein oder er hat beim Einkaufen die Kartoffeln vergessen, aber beim Kopfrechnen, da macht er seinen Enkeln immer noch etwas vor.

    Dr. Björn Schott, ein junger Magdeburger Mediziner, hat Herrn M. und mehr als 40 weitere Probanden und Patienten zu der Studie eingeladen, weil ihn interessiert, ob junge und alte Menschen unterschiedlich lernen. Dabei will er vor allem der Frage auf den Grund gehen, was Junge und Alte beim Lernen motiviert - ist es bereits die Aussicht auf Gewinn oder Erfolg, oder muss sich der Erfolg erst eingestellt haben, um bekräftigend zu wirken?

    Dabei kam Erstaunliches zu Tage: zunächst einmal können die Alten (in dieser Studie Rentner zwischen 62 und 78) ebenso gut lernen wie die Jungen (19-28jährige Studenten), sie brauchen nur etwas länger, um den richtigen Knopf zu drücken. Die Aussicht auf Belohnung wirkt sich allerdings ganz unterschiedlich aus: während die jungen Versuchs-teilnehmer schneller und korrekter antworten, wenn sie einen Gewinn erwarten können, lösen die Senioren die Aufgabe in Spielrunden mit und ohne Aussicht auf Belohnung gleich gut. Heißt das, die Alten freuen sich nicht mehr über Belohnung? Sind sie inert gegenüber Gewinnaussichten oder fällt es ihnen lediglich schwerer, sich auf die bloße Verheißung von Gewinn einzulassen?

    Um diese beiden Möglichkeiten zu unterscheiden, kommt die funktionelle Bildgebung ins Spiel: Was passiert in den Bereichen des Gehirns, die für die Verarbeitung von Belohnungserwartung oder von tatsächlich eingetretener Belohnung zuständig sind? Diese Bereiche liegen im Streifenkörper und im Mittelhirn, wo Dopamin als neurochemischer Botenstoff wirkt. Bei den jungen Probanden sind diese Hirnregionen besonders aktiv, wenn eine Belohnung erwartet werden kann, und dabei ist es ganz egal, ob es sich um einen Geldgewinn, um Süßigkeiten oder einfach nur um ein Lob handelt, und es ist auch egal, ob die Erwartung später tatsächlich erfüllt wird. Bei den alten Probanden ist das ganz anders: die Belohnungszentren des Gehirns werden erst aktiv, wenn der Gewinn wirklich eingetreten ist, und nicht, wenn er in Aussicht gestellt wird.

    Ist das ein Ausdruck von Lebensweisheit, die Psychologie des Alters? Erwarten ältere Menschen weniger, einfach weil sie schon öfter von unerfüllten Erwartungen enttäuscht wurden? Auf der Suche nach den neurobiologischen Ursachen für das "Altern unserer Erwartungen" fanden Björn Schott und seine Kollegen, dass die funktionelle Kopplung im mesolimbischen System, also die gemeinsame Aktivität von Mittelhirn und Streifenkörper, bedeutsam für die neuronale Belohnungsverarbeitung ist. Wenn Nervenzellen in beiden Hirngebieten gleichzeitig feuern, dann können wir belohnungsverheißende Reize besonders gut verarbeiten. Diese Kopplung ist bei Parkinson-Patienten, die an einer Störung des Dopamin-Systems leiden, stark gestört. Diese Patienten haben neben motorischen Schwierigkeiten auch mit depressiven Verstimmungen und kognitiven Problemen zu kämpfen, vermutlich, weil ihr Belohnungszentrum unter Dopaminmangel nicht richtig arbeitet. Studien aus Schweden und aus den USA haben gezeigt, dass es auch beim normalen Altern zu Veränderungen des Dopamin-Stoffwechsels kommen kann, wenn diese auch deutlich weniger ausgeprägt sind als bei der Parkinsonschen Krankheit. Hinweise dafür, dass solche Veränderungen sich auf Lernleistungen auswirken könnten, fand Schotts Kollege Dr. Nico Bunzeck, ebenfalls aus der Arbeitsgruppe von Prof. Düzel, in einer weiteren Studie. Er zeigte älteren Probanden bekannte und neue Bilder, während sie im Tomografen lagen. Die Reaktion des Hippocampus, einer für Gedächtnisleistung wichtigen Hirnstruktur, auf neue Bilder war abhängig von einer gleichzeitigen Aktivität in Dopamin-produzierenden Zellen des Mittelhirns. Und diese war wiederum deutlich erniedrigt, wenn die Probanden bestimmte subtile MRT-Veränderungen im Mittelhirn aufwiesen, die auf eine verringerte Dopamin-Produktion hindeuten könnten.

    Die gute Nachricht: Auch wenn das Gehirn Altersveränderungen zeigt, ist Lernen in unserer Gesellschaft nicht mehr nur eine Domäne der Jugend - im Gegenteil: Studien aus verschiedenen Arbeitsgruppen zeigen, dass lebenslanges Lernen sogar den Alterungsprozess des Gehirns verlangsamen kann. Gedächtnistraining für Senioren, Studium ab 50 oder Sprach- und Computerkurse für Rentner sind nicht nur ein gigantischer Markt, sie helfen auch mit, das Gehirn jung zu halten. Außerdem spiegeln sie auch zweierlei Einsicht wider: die der Älteren, dass man beständig dazulernen muss, um nicht ins gesellschaftliche Abseits zu geraten, und die der Jüngeren, dass die Gesellschaft von der erfahrenen Sicht der älteren Generation enorm profitieren kann. Umso bedeutsamer ist es aber, die neurobiologischen Spezifika vom Lernen im Alter zu kennen, damit Lehr- und Lernkonzepte nicht an den Möglichkeiten und Bedürfnissen älterer Menschen vorbei entwickelt werden.

    Menschliches Lernen ist seit langem nicht mehr nur eine Domäne der Pädagogik und Psychologie, sondern eine zentrale Frage in den Neurowissenschaften von der Grundlagenforschung bis zur Klinik. Durch den kombinierten Einsatz der modernen Bildgebungsverfahren sind die Prozesse im Gehirn, die dabei ablaufen, plötzlich räumlich und zeitlich auflösbar geworden. Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung im April in Magdeburg werden Wissenschaftler und Ärzte, unter ihnen auch Dr. Schott, darüber berichten.

    Herr M. hat am Ende des Versuchsspiels übrigens 20 Euro gewonnen, genug, um seine beiden Enkel mal wieder auf ein Eis einzuladen und gemeinsam Kopfrechnen zu üben.

    (6.500 Z.)

    Weitere Informationen:
    PD Dr. Constanze Seidenbecher
    Wissenschaftsmanagement
    Leibniz-Institut für Neurobiologie
    Brenneckestr. 6
    39118 Magdeburg
    Tel. 0391-6263-218
    Fax 0391-61 61 60
    Email seidenc@ifn-magdeburg.de
    Web http://www.ifn-magdeburg.de

    Nähere Informationen zum Kongress der DGKN finden Sie unter http://www.conventus.de/dgkn2008.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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