Frankfurt am Main, 11. Juni 2008. Solidarität ist das Thema der 5. Veranstaltung der gemeinsamen Ringvorlesung, die die Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen und die Frankfurt School of Finance & Management in diesem Sommersemester unter dem Motto "Wirtschaft und Ethik - zwei ungleiche Schwestern?" veranstalten. Veranstaltungsort ist die Hochschule Sankt Georgen. Jeweils ein Wissenschaftler der beteiligten Hochschulen wird am nächsten Mittwoch sprechen:
o Professor Dr. Bernhard Emunds, Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen und Leiter des dortigen Oswald von Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik
o Professor Dr. Bernd Lahno, Professor für Philosophie und Quantitative Methoden an der Frankfurt School of Finance & Management
Solidarität - Veranstaltung der Reihe "Wirtschaft und Ethik - zwei ungleiche Schwestern?"
Mittwoch, 18. Juni 2008, 19 Uhr
Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen
Offenbacher Landstraße 224, 60599 Frankfurt am Main
Die Veranstaltungen sind öffentlich und eine Teilnahme daran ist kostenfrei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Ich würde mich freuen, wenn Sie auf diesen Termin hinweisen könnten und lade auch interessierte Medienvertreter herzlich ein. Beide Professoren stehen für Interviews zur Verfügung.
Bernhard Emunds: Solidarität
In der Tradition der katholischen Sozialethik steht der Begriff "Solidarität" erstens für eine Aussage über den Menschen, mit der das Menschenbild des Wirtschaftsliberalismus in Frage gestellt wird: Kein Mensch ist der einzige "Schmied seines Glücks"; keiner ist ein isoliertes Individuum, das aus sich selbst heraus bestimmte Fähigkeiten entwickelt hat und nun kalkuliert, ob es vorteilhaft ist, sich auf den Kooperationszusammenhang der Gesellschaft einzulassen. Menschen sind das, was sie sind, immer im Austausch mit anderen: in Kooperation und Kommunikation mit anderen Menschen. Aktuell erodiert bei den Bessergestellten die Bereitschaft, die gesellschaftlich auferlegten Lasten - für das Funktionieren des Gemeinwesens und für ausreichend gute Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten der Benachteiligten - zu übernehmen. Diese Erosion und die damit verbundene politische Demontage von sozialstaatlichen Institutionen haben etwas damit zu tun, dass das isoliert-individualistische Menschenbild des Wirtschaftsliberalismus das Selbstverständnis vieler Bürgerinnen und Bürger unserer Gesellschaft prägt. Der Begriff "Solidarität" steht in der katholischen Sozialethik zweitens für einen besonderen Typus von Verpflichtungen. Diesen kann man sich vielleicht am besten so verdeutlichen: Als Menschen schulden wir uns wechselseitig, uns als Gleiche zu behandeln: als Menschen mit gleicher Würde und mit gleichen, unverlierbaren Rechten. Neben diesen ethischen Menschheitsverpflichtungen gibt es aber auch ethische Verpflichtungen, die darauf zurückgehen, dass wir Mitglieder einer partikularen Gruppe, insbesondere gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger einer Gesellschaft sind: Als Mitglieder dieser Gemeinschaft - als Bürgerinnen und Bürger dieser Gesellschaft - gestehen wir uns wechselseitig bestimmte Rechte zu und auferlegen uns damit zugleich auch entsprechenden Pflichten. Diese Pflichten, die in einer bejahten Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Gesellschaft gründen, nennen wir solidarische Pflichten: Als Mitglieder einer bestimmten Gruppe, als Bürger oder Bürgerin einer bestimmten Gesellschaft sind wir verpflichtet, die mit unserer Mitgliedschaft verbundenen Lasten für das Funktionieren des Gemeinwesens zu tragen. Die Übernahme dieser Lasten ist keine Frage der Freiwilligkeit! Wir sind ethisch dazu verpflichtet und können - zumindest im Falle unserer Mitgliedschaft in der Gesellschaft - auch rechtlich dazu gezwungen werden. Die Funktionsfähigkeit vieler staatlicher - auch sozialstaatlicher - Institutionen beruht darauf, dass wir unseren solidarischen Verpflichtungen nachkommen.
Bernd Lahno: Solidarität
Der Begriff Solidarität steht sowohl für eine bestimmte Art des Handelns - der solidarisch Handelnde unterstützt andere, auch wenn das für ihn selbst in einem gewissen Maße nachteilig ist - als auch für eine ganz bestimmte Einstellung. Im Kern ist Solidarität eine Einstellung: Das solidarische Individuum sieht sich selbst als Teil der Gruppe und versteht seine Handlungen als Beitrag zur gemeinsamen Äußerung der Gruppe.
Solidarität hat instrumentellen wie intrinsischen Wert. Moralisch ist Solidarität dann wertvoll, wenn die Handlungen der Gruppe und die Beziehungen innerhalb der Gruppe moralisch vertretbar sind. Solidarität ist in solchen Fällen eine Tugend.
Solidarisches Handeln kann Pflicht sein. Es ist jedoch zweifelhaft, ob eine solidarische Einstellung auch Pflicht sein kann, denn man kann seine Einstellungen nicht frei wählen und Sollen setzt Können voraus.
Aus der Sicht des klassischen ökonomischen Verhaltensmodells ist eine solidarische Einstellung kaum zu verstehen. Das illustriert das berühmte Gefangenendilemma. Die klassische Hobbessche Lösung des Problems sozialer Kooperation führt solidarisches Handeln auf den Staat zurück, der durch direkte Kontrolle dafür sorgt, dass solidarisches Handeln individuell vorteilhaft ist. Wer daran glaubt, dass Menschen zu solidarischer Einstellung fähig sind, sollte mit einer solchen Lösung eher vorsichtig sein!
Christian Schuster
Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen
Telefon 069 6061 323
Telefax 069 6061 330
E-Mail: cschuster@sankt-georgen.de
Angelika Werner
Frankfurt School of Finance & Management
Telefon 069 154 008 708
Telefax: 069 154 008 4708
E-Mail: a.werner@frankfurt-school.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Philosophie / Ethik, Religion, Wirtschaft
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Studium und Lehre
Deutsch
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