Das cineastische Kulturerbe wird bislang meist auf Film gespeichert und in riesigen Rollen gelagert. Doch mit der zunehmenden Digitalisierung von Kino und Fernsehen sind auch neue Archivierungskonzepte gefragt. Fraunhofer-Forscher arbeiten gemeinsam mit Partnern in dem EU-Projekt EDCINE an einem standardisierten Format für die digitale Filmarchivierung. Erste Ergebnisse stellen die Wissenschaftler auf der International Broadcast Convention IBC in Amsterdam vor (12. bis 16. September).
Filmarchive bergen manche Schätze. Erst vor wenigen Wochen entdeckten Experten in Buenos Aires Filmrollen mit verschollenen Szenen aus Fritz Langs Stummfilmklassiker "Metropolis". 80 Jahre nach der Uraufführung kann nun die Originalfassung des verstümmelten Science-Fiction-Films weitestgehend wiederhergestellt werden. Sie ist etwa 25 Minuten länger als die gekürzte deutsche und amerikanische Version.
Auch heute werden Kinostreifen in der Regel immer noch auf 35mm Filmmaterial gebannt und in riesigen Filmrollen archiviert. Filminteressierte, Historiker oder Fernsehredakteure können jedoch nur begrenzt die gelagerten Schätze einsehen. Denn es gibt nur von wenigen Filmen Zugriffskopien, die von den Nutzern des Archivs angefordert werden können. Der Grund: Die Herstellung der Kopien ist aufwändig. Auch das Finden der gesuchten Rollen ist nicht ganz einfach. Meist existieren nur Begleitzettel, auf denen der Inhalt vermerkt ist. Doch die lösen sich über Jahre und Jahrzehnte oft von den Rollen ab. "Um das in den Archiven vorhandene Material besser nutzen zu können, ist eine Digitalisierung der Filme erstrebenswert", meint Dr. Siegfried Fößel vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS. "Zudem werden in Zukunft immer mehr Kinofilme digital aufgenommen. Das macht den Umstieg auf ein digitales Archiv nötig."
Doch wie lassen sich Filme digital archivieren? In dem EU-Projekt EDCINE (Enhanced Digital Cinema) arbeiten Forscher des IIS gemeinsam mit europäischen Filmarchiven an dieser Fragestellung. "Bei der Digitalisierung von Filmmaterial und der digitalen Produktion von Kinofilmen fallen enorme Datenmengen an, die leicht einen Umfang von mehreren Terabyte erreichen. Um dieser Datenmenge Herr zu werden und gleichzeitig eine möglichst hochwertige Langzeitarchivierung und den einfachen Zugriff zu realisieren, kommt in der vorgesehenen Architektur ein zweistufiges Modell zum Einsatz", erläutert Fößel den Ansatz der Wissenschaftler.
Zunächst werden die unkomprimierten Daten, wie sie am Ende des Postproduktionsprozesses entstehen, verlustfrei komprimiert und gespeichert. So bleiben die sehr hohe Auflösung, die Farbtiefe und die Dynamik der Bilder erhalten. Dieses "Master Archive Package" ist mit dem Filmoriginal in herkömmlichen Filmarchiven vergleichbar und wird auf Magnetbändern oder anderen digitalen Datenträgern gespeichert. Es lässt sich später zum Beispiel für die digitale Restaurierung von Filmen verwenden. Aber lassen sich die gespeicherten Daten auch noch in 50 Jahren nutzen? "Für die Langzeitarchivierung kommt nur der Einsatz von etablierten und offenen Standards in Frage, die gut dokumentiert sind. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch zukünftige Generationen noch in der Lage sind, das archivierte digitale Material zu lesen und zu interpretieren", betont Fößel.
Die enorme Datenmenge des "Master Archive Package" ist für den normalen Archivnutzer jedoch nicht handhabbar. Deshalb wird in einem automatischen Konvertierungsvorgang das "Intermediate Access Package" erzeugt. Dieses Format enthält ebenfalls alle Filmbilder als Einzelbilder. Das Archiv erhält die Kopie in der gewünschten Auflösung und Farbtiefe. Die Bilder werden im Gegensatz zum Master-Package mit einem verlustbehafteten Verfahren komprimiert, um die Datenmenge zu reduzieren.
"Aus dem "Intermediate Access Package" lassen sich automatisiert oder manuell Metadaten - eine Art Steckbrief des Filmes - extrahieren und in einer Datenbank speichern", sagt Fößel. Der Nutzer kann online zum Beispiel nach Filmen eines bestimmten Regisseurs suchen und sich sogar eine kurze Vorschau ansehen. Hat der Nutzer den gewünschten Film gefunden, bestellt er einfach den ganzen Streifen oder auch nur Ausschnitte in dem für seine Anwendung am besten geeigneten Format. Für die Wiedergabe im digitalen Kino kann das zum Beispiel ein "Digital Cinema Package" (DCP) sein, H.264-Dateien für den Einsatz im Heimkino oder MPEG-2-Dateien für die Ausstrahlung oder die Weiterverarbeitung im Fernsehen. Ein automatischer Konvertierungsprozess erzeugt für die Verteilung des Materials ein "Dissemination Package" und stellt die Dateien zum Download oder Streaming bereit. Auf diese Art und Weise können aus derselben Datenbasis Lichtspielhäuser, Fernsehsender oder Privatanwender bedient werden. "Die digitale Archivierung hat einen weiteren großen Vorteil: Von den Masterdaten können - anders als von einem Film - beliebig oft Zugriffskopien in höchster Qualität erstellt werden, ohne dass das Originalmaterial Schaden nimmt", erklärt Fößel.
Das Projekt EDCINE und aktuelle Forschungsergebnisse aus den Bereichen Digitales Kino, Broadcast und Audiotechnologien stellen Wissenschaftler am Fraunhofer Gemeinschaftsstand in Halle 8, Stand C81 vor.
Journalisten können sich über das Thema "Digital Cinema" auf der IBC detailliert informieren: Fraunhofer lädt Interessenten am 14. und 15. September ab 16:30 Uhr zu Fachgesprächen auf den Stand ein.
Weitere Informationen unter www.dcinema.fraunhofer.de
Ansprechpartnerin:
Angela Raguse
09131 776 5-105
angela.raguse@iis.fraunhofer.de
Fraunhofer-Institut für
Integrierte Schaltungen IIS
Am Wolfsmantel 33
91058 Erlangen
www.iis.fraunhofer.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Informationstechnik, Kunst / Design, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Musik / Theater
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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