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24.10.2008 15:06

Studie: Gewalt immer noch Mittel der Erziehung

Jürgen Andrae Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fachhochschule Dortmund

    Harte Strafen bringen wenig. Mit Gesprächen, Wiedergutmachungs- und Arbeitsauflagen reagieren Pädagogen, wenn sich Jugendliche in Heimen und betreuten Wohngruppen daneben benehmen. Irritierend: Über die Hälfte der pädagogischen Fachkräfte glaubt, dass körperliche Gewalt als Strafe dort noch vorkommt, so eine Studie der FH Dortmund.

    Verbale Aggressionen, Verstöße gegen Gruppenregeln und die mutwillige Zerstörung von Sachen lassen sich junge Leute dort am häufigsten zuschulden kommen. Die Auswirkungen von Strafen sind unterschiedlich und können auch negative Reaktionen wie weitere Aggressionen auslösen.

    Dies sind Ergebnisse einer empirischen Studie am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften, bei der es um das Thema Strafen in der Stationären Erziehungshilfe ging. Unter Leitung von Prof. Dr. Richard Günder und Prof. Dr. Eckart Reidegeld waren 1280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Einrichtungen der Stationären Erziehungshilfe in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu ihrem Umgang mit Strafen befragt worden. Die Rücklaufquote war mit 43 Prozent erstaunlich hoch.

    Strafen - in der Fachsprache wird meist der Begriff "Reaktionen auf uner-wünschtes Verhalten" benutzt - sind ein heikles Thema in der Praxis der Er-ziehungshilfe. Die heutige Heimerziehung habe selbstverständlich nichts mehr mit dem Kasernenhofton und der Prügelstrafe der 50er Jahre zu tun, so Prof. Dr. Eckart Reidegeld: "Strafe ist vielmehr eher verpönt bzw. wird sehr kritisch hinterfragt".

    Etwa zwei Drittel der im Rahmen der Studie Befragten waren der Auffassung, dass die pädagogischen Fachkräfte oftmals überfordert seien. Zwar meint die übergroße Mehrheit (92 %), dass sie persönlich mit der Strafpraxis gut zurechtkomme. Jedoch fühlen sich 78 % der pädagogischen Kräfte im Zusammenhang mit Strafen gelegentlich alleingelassen, ohnmächtig und hilflos.

    Fast die Hälfte der Kinder und Jugendlichen reagiert auf Sanktionen entweder gar nicht oder wiederum mit negativem Verhalten. Haben Strafen dann überhaupt einen Sinn? "Wir gehen als Pädagogen nicht davon aus, dass man in einer straffreien Gesellschaft leben kann", so Prof. Dr. Richard Günder. Aber man müsse sich viele Gedanken darum machen, welche der Sanktionen positive Auswirkungen haben. Es gehe schließlich darum, den Kindern und Jugendlichen zu einer Einsicht zu verhelfen. Günders Fazit: "Strafe muss sein, aber sie muss sehr gut reflektiert sein".

    Die Ergebnisse der Studie "Reaktionen auf unerwünschtes Verhalten in der Stationären Erziehungshilfe" waren Diskussionsgrundlage der Fachtagung "Strafe muss sein!?" in Dortmund am 21. Oktober.

    Resümee des Forschungsprojektes "Reaktionen auf unerwünschtes Verhalten in der Stationären Erziehungshilfe"

    - Häufigste Formen des Fehlverhaltens: verbale Aggressionen (78 %), Ver-stoß gegen Gruppenregeln (67 %), Zerstörung von Sachen (53 %), Gewalt untereinander (35 %), Schulverweigerung (32 %), Alkohol- oder Drogenmissbrauch (26 %), Diebstahl (25 %), Gewalt gegen Mitarbeiter (4 %).
    -
    - Die häufigsten Strafen: Reflexionsgespräch /Gruppengespräch (89 %), Wiedergutmachung (84 %), Arbeitsauflagen (57 %), Verstärkerprogramme (51 %), Ausschluss von Aktivitäten (45 %), Hausarrest/Ausgehverbot (44 %), Fernsehverbot (42 %) Teilnahme an bestimmten Gruppen (35 %), Täter-Opfer-Ausgleich (34 %), Taschengeldentzug (29 %) etc.

    - "Taschengeldentzug" (mit 29 % relativ beliebt) ist als Sanktion problematisch, weil dies rechtlich unzulässig ist. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass dies bei den Mitarbeitern nicht hinreichend bekannt ist.

    - Die Antworten auf die Frage, wie oft nach Meinung der Pädagogen heute noch körperliche Strafen angewandt würden, waren überraschend: 2,4 Prozent meinten, dies komme häufig vor. 51 % glaubten, dass Körperstrafen selten seien, nur 45 % meinten, es gebe sie gar nicht mehr.

    - Reaktionen der Jugendlichen auf Strafen: einsichtig (55 %), mit positiver Verhaltensänderung (51 %), aggressiv (41 %), enttäuscht (29 %), traurig (27 %), mit Rückzug (25 %), gar nicht (10 %).

    - Strafen können demnach positive, aber auch negative Auswirkungen haben. Fast die Hälfte (45 %) der Bestraften reagiert selten oder nie einsichtig. Bedenklich ist auch, dass 41 % der Befragten der Meinung sind, dass die Bestraften mit weiteren Aggressionen auf Sanktionen reagierten.

    - Führt der Ruf nach Strafen zu einem Umdenken in der pädagogischen Praxis? 25 % der Befragten meinen ja, 28 % können dies nach eigener Aussage nicht beurteilen, 45 % sind sicher, dass die politische Diskussion keinen Einfluss auf die pädagogische Praxis haben werde. (Die Erhebung liegt zeitlich vor der öffentlichen Diskussion über Erziehungscamps und Strafstrategien im Kontext der Landtagswahl in Hessen.)


    Bilder

    Muss Strafe sein?
    Muss Strafe sein?
    Bild: sasha-fotolia.com
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    Prof. Dr. Richard Günder
    Prof. Dr. Richard Günder
    Bild: Kreinberg
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Muss Strafe sein?


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    Prof. Dr. Richard Günder


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