Ob Hitlers "Mein Kampf", Röhms "Die Geschichte eines Hochverräters" oder Goebbels' "Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern": Bisher in der literaturwissenschaftlichen Forschung vernachlässigt, untersuchen Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum in einem neuen Projekt erstmals systematisch das "autobiografische Narrativ" und die ideologische Struktur der Schriften von Hauptfunktionären der NSDAP. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Projekt für eine Laufzeit von drei Jahren mit rund 250.000 Euro.
Bochum, 21.07.2009
Nr. 231
Vom "Ich-Erzähler" zur NS-Weltanschauung
DFG fördert neues Forschungsprojekt der RUB-Genozidforschung
Autobiografisches Narrativ im Nationalsozialismus
Ob Hitlers "Mein Kampf", Röhms "Die Geschichte eines Hochverräters" oder Goebbels' "Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern": Die biografischen und autobiografischen Texte von Hauptfunktionären der NSDAP vor allem in den 1920er-Jahren entwickeln aus der Geschichte des Erzählers nach und nach die Geschichte der "Bewegung" und gehen schließlich in der nationalsozialistischen Weltanschauung auf. Bisher in der literaturwissenschaftlichen Forschung vernachlässigt, untersuchen Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum in einem neuen Projekt erstmals systematisch das "autobiografische Narrativ" und die ideologische Struktur der Schriften. Forscher des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung (IDG) kooperieren dabei mit Prof. Dr. Manfred Schneider vom Germanistischen Institut der RUB. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt für eine Laufzeit von drei Jahren mit rund 250.000 Euro.
Unbeachtetes Medium
Ziel des Projekts ist, herauszufinden, inwieweit die politischen Akteure mit der absichtsvollen Wahl des Mediums Biografie ein neues politisches Wirkungsfeld erschlossen bzw. begründet haben. "Überraschenderweise sind die Texte bisher kaum ernsthaft in die wissenschaftliche Analyse einbezogen worden. Ihr damaliges Wirkungspotential wird unterschätzt", so Prof. Dr. Mihran Dabag, Direktor des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung an der RUB. "Als so genannte Schmäh- und Propagandaschriften haben die Literaturwissenschaften sie eher vernachlässigt." Auch der "Quellenwert" der Werke wurde bislang als "überaus gering" eingestuft, da sie zwar insbesondere nach 1933 in hohen Auflagen publiziert, jedoch kaum gelesen worden seien.
Der Erzähler als "Seher"
Dabei übernehmen die (auto-)biografischen Texte eine besondere Funktion in der Entstehungsphase des Nationalsozialismus. So inszeniert Joseph Goebbels in seinem "Michael"-Roman, vor allem aber Adolf Hitler in "Mein Kampf" den (Ich-)Erzähler als "visionäres Ich" und als "Seher". Darüber hinaus wird durch dieses Verfahren die Position des Autors, der mit dem Erzähler implizit (Michael-Roman) oder explizit (Mein Kampf) identisch gesetzt ist, als ideologischer und politischer Führer konstituiert und legitimiert. Die Autoren entwickeln dabei die nationalsozialistische "Weltanschauung", zugleich schildern sie die Entstehung und Geschichte der nationalsozialistischen "Bewegung".
Sprachlich-rhetorische Mobilisierung
Das Projekt ist gezielt auf die Perspektive der vom IDG verfolgten strukturvergleichenden Genozidforschungen ausgerichtet: Die Wissenschaftler fragen nach den zentralen vorbereitenden und legitimierenden Funktionen in der Entscheidungsplanung und Durchführung des Völkermordes an den Juden. Das Forschungsprojekt leistet damit einen Beitrag, die Frage zu beantworten, wie die NS-Funktionäre ihren Anspruch auf ideologische und politische Führerschaft erfolgreich formulieren konnten. Somit bereichert das Forschungsprojekt mit einem neuen Ansatz die bisherige Genozidforschung. Im Blickpunkt steht die kaum beachtete Bedeutung der sprachlich-rhetorischen Dimension für die politische Mobilisierung sowie für die Motivierung politischer Gewalt. Dies könnte ein "Schlüssel für den Eintritt in die NS-Weltanschauung" sein, so die Bochumer Forscher.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Mihran Dabag, Institut für Diaspora- und Genozidforschung an der Ruhr-Universität Bochum, Tel. 0234/32-29702, E-Mail: idg@ruhr-uni-bochum.de
Internet: http://www.rub.de/idg
Redaktion: Jens Wylkop
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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