idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
08.06.2010 10:25

Bewegte Alpen: Neue Erkenntnisse zur Geologie zwischen Innsbruck und Wiener Becken

Veronika Schallhart Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsmanagement
Universität Wien

    Seit kurzem gibt es den ersten handfesten geologischen Beweis, dass die Ostalpen immer noch in Bewegung sind. Die 400 Kilometer lange Störungszone − die sogenannte SEMP-Störung − zwischen Innsbruck und dem Wiener Becken ist tektonisch nach wie vor aktiv. Ausgangspunkt für diese bedeutsame Erkenntnis waren ein paar − für den Laien völlig unscheinbare − Kratzer im Kalksinter einer steirischen Höhle. Bernhard Grasemann und Kurt Decker vom Department für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien sowie Lukas Plan vom Naturhistorischen Museum haben zusammen mit Kollegen aus Innsbruck und Bern in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift "Geology" dazu publiziert.

    Eine der großen Bewegungslinien der Alpen – die SEMP-Störung (Salzach-Ennstal-Mariazell-Puchberg-Störung) – ist nach wie vor aktiv. Dabei handelt es sich um eine 400 Kilometer lange Störungszone von Innsbruck bis zum Wiener Becken. "Ich entdeckte vor ein paar Jahren in einer Höhle am Hochschwab in der Steiermark zufällig 25 Zentimeter lange Kratzer im Sinter", schildert der Geologe Lukas Plan, ehemaliger Dissertant von Bernhard Grasemann, die Ausgangssituation.

    Um eine Erklärung für die zerkratzte Höhlenwand zu finden, führte Plan zusammen mit Kollegen vom Department für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien sowie den Universitäten Innsbruck und Bern eine Reihe von Messungen und Untersuchungen durch. Die Ergebnisse der jahrelangen, logistisch sehr aufwändigen Forschungsarbeit wurden vor kurzem in der Fachzeitschrift "Geology" publiziert: Sie liefern den ersten geologischen Feldbeweis für neotektonische Aktivität in den Ostalpen und belegen, dass es in Österreich nach wie vor zu größeren Erdbeben kommen kann.

    Erdbeben vor tausenden Jahren

    "Unsere Beobachtungen haben ergeben, dass sich der gesamte Höhlengang um 25 Zentimeter bewegt haben muss", so Lukas Plan. Heruntergefallene Blöcke und Tropfsteine wurden durch die Bewegung der Störung mitgeschleift und haben auf diese Weise die Kratzer bewirkt. Aufgrund wiederholter Sinterablagerungen auf diesen Kratzern konnten die Forscher anhand geochronologischer Methoden den Zeitpunkt der tektonischen Bewegung eingrenzen. "Im Zeitraum zwischen 118.000 und 9.000 Jahren vor heute wurde die Höhle von einer tektonischen Störung, einer sogenannten Blattverschiebung zerschert", erklärt Bernhard Grasemann, Leiter des Departments für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien: "Höchstwahrscheinlich war es ein Erdbeben der Stärke sechs, das zu dem Versatz von 25 Zentimetern geführt hat", fährt Lukas Plan fort. Ob es wirklich ein Erdbeben, ein langsames Schieben oder sogar eine Summe von Erdbeben war, werden die Geologen nun weiter untersuchen.

    Eiszeit hat Erdbebenspuren in den Alpen verwischt

    "Der Fund ist vor allem deshalb so interessant, weil es in Österreich keine direkten Zeugen für aktive Störungen an der Erdoberfläche gibt", betont Grasemann. Die letzte Eiszeit vor rund 115.000 bis 10.000 Jahren hat den Alpenkörper durch eine mächtige Eisbedeckung überformt und somit alle möglichen Spuren verwischt. Die Eiszeit ist auch der Grund, warum das Zeitintervall, in dem die tektonische Störung angesiedelt wird, so groß ist: "In der 1.900 Meter hoch gelegenen Höhle war zu jener Zeit alles gefroren, weshalb sich auch kein Sinter ablagern konnte. Andernfalls könnten wir die Bewegung auf wenige 100 Jahre einengen", erklärt Lukas Plan.

    Nach Osten wandernd

    Vor 25 Millionen Jahren begann ein keilförmiger Block südlich dieser Störung Richtung Osten zu wandern. "Da die Störung in der Höhle parallel zu der SEMP-Störung liegt, können wir einerseits belegen, dass unsere Störung Teil der SEMP-Störung ist, und andererseits, dass hier immer noch tektonische Aktivität herrscht", sagt Plan. GPS-Messungen bestätigen dies: Der Keil – dessen Nordbegrenzung die SEMP-Störung darstellt – bewegt sich um 1,6 Millimeter pro Jahr Richtung Osten.

    Geologische Dimensionen

    "Unter den Begriff 'aktive Tektonik' fallen alle Bewegungen oder Deformationen von Gestein, die die Menschheit direkt beeinflussen", definieren die beiden Geologen. Da oftmals tausende Jahre vergehen, bis sich solche Störungen wiederholen bzw. eine Störung Spannung aufbaut, die sich durch ein Erdbeben wieder entlädt, geht man dabei bis zu zwei Millionen Jahre zurück. "Die Störung am Hochschwab war also – geologisch gesehen – erst gestern", betont Grasemann abschließend.

    Publikation:
    Geology: Lukas Plan, Bernhard Grasemann, Christoph Spötl, Kurt Decker, Ronny Boch, Jan Kramers: Neotectonic extrusion of the Eastern Alps: Constraints from U/Th dating of tectonically damaged speleothems.

    Kontakt:
    Univ.-Prof. Mag. Dr. Bernhard Grasemann
    Leiter des Departments für Geodynamik und Sedimentologie
    Universität Wien
    1090 Wien, Althanstraße 14
    T +43-1-4277-534 72
    bernhard.grasemann@univie.ac.at
    http://geologie.univie.ac.at

    Rückfragehinweis
    Mag. Veronika Schallhart
    Öffentlichkeitsarbeit
    Universität Wien
    1010 Wien, Dr.-Karl-Lueger-Ring 1
    T +43-1-4277-175 30
    M +43-664-602 77-175 30
    veronika.schallhart@univie.ac.at


    Weitere Informationen:

    http://geology.gsapubs.org/content/38/6/483.abstract - Publikation "Geology"


    Bilder

    Bernhard Grasemann vor einer zerbrochenen Sinterplatte in der Hirschgrubenhöhle, Steiermark.
    Bernhard Grasemann vor einer zerbrochenen Sinterplatte in der Hirschgrubenhöhle, Steiermark.
    (Foto: L. Plan)
    None

    Harnischflächen entstehen bei Erdbeben. Die vertikale Striemung lässt die Bewegungsrichtung erkennen.
    Harnischflächen entstehen bei Erdbeben. Die vertikale Striemung lässt die Bewegungsrichtung erkennen ...
    (Foto: L. Plan)
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geowissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Bernhard Grasemann vor einer zerbrochenen Sinterplatte in der Hirschgrubenhöhle, Steiermark.


    Zum Download

    x

    Harnischflächen entstehen bei Erdbeben. Die vertikale Striemung lässt die Bewegungsrichtung erkennen.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).