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31.07.2001 12:01

Ein Augsburger Blick auf Europa

Klaus P. Prem Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Augsburg

    Thyssen-Stiftung unterstützt Edition einer um 1600 entstandenen Chronik mit außergewöhnlichem Quellenwert -

    Mit Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung, die ihm auf zwei Jahre Mittel für eine wissenschaftliche Mitarbeiterstelle bewilligt hat, hat Prof. Dr. Wolfgang E. J. Weber am Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg die Edition und Bearbeitung der Chronik des Augsburgers Georg Kölderer (1550?-1607) in Angriff genommen. In dem auf zwei Jahre angelegten Projekt sollen sechs der ursprünglich acht existierenden Manuskriptbände des Handelsangestellten Kölderer herausgegeben werden, die ca. 2.400 Seiten im Folioformat umfassen und sich in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg befinden. Die Edition wird die Doktorarbeit von Benedikt Mauer ergänzen, die in Kürze unter dem Titel '"Gemain Geschray" und "teglich reden". Georg Kölderer - ein Augsburger Chronist des konfessionellen Zeitalters' in den "Studien zur Geschichte des Bayerischen Schwaben" (Reihe 1, Bd. 29) erscheinen wird.

    Die Chronik Kölderers ist aus mehreren Gründen eine außerordentlich wichtige Quelle zur Erforschung des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Ihr Autor entstammte einer Handwerkerfamilie - sein Vater war Sattlermeister -, arbeitete jedoch als Handelsdiener bzw. -schreiber bei dem großen Augsburger Handelshaus Weiß. Hier erfuhr er im Rahmen der Korrespondenz zahlreiche Neuigkeiten aus dem In- und Ausland, zudem hatte er Zugang zu den sogenannten "Fugger-Zeitungen". Flugschriften und -blätter komplettierten seine Nachrichtensammlung ebenso wie Bücher. Neben diesen Informationsträgern war jedoch das gesprochene Wort von größter Bedeutung. Über seine Schulbildung ist nichts bekannt. Lateinkenntnisse sind nicht festzustellen. Mehrmals entschuldigte er sich beim Leser, wenn er "miß schreibe". Kölderer ließ sich von zahlreichen, häufig nur unzulänglich identifizierbaren Bekannten über den neuesten Stand der Dinge in Augsburg informieren. Informationskanäle aus dem administrativen Raum standen ihm ebenso zur Verfügung wie solche aus dem kirchlichen Bereich. Kölderers berufliche Situation führte jedoch dazu, dass er auch weit über den städtischen Tellerrand hinausblicken konnte. War Augsburg als Lebensmittelpunkt von zentraler Bedeutung für ihn, so spielte das Reich als chronikalisches Thema die zweitwichtigste Rolle. Politische Veränderungen, dynastische Querelen, bewaffnete Auseinandersetzungen und auch hier die sich aus den konfessionellen Gegensätzen ergebenden Konflikte waren ihm eine Fixierung ebenso wert wie Kometenerscheinungen und Wundergeburten in Prag oder der Steiermark.

    PÄPSTE, TÜRKISCHE SULTANE UND NACHRICHTEN AUS PERU UND JAPAN

    Besonders bemerkenswert sind zudem die Bilder, die Kölderer sich vom Kaiser und den Reichsinstitutionen machte, welche Aufgaben, Pflichten und Rechte er ihnen beimaß, wie er etwa ihre Legitimität definierte. Die europäische Staatenwelt kam ebenso in den Blick. Päpste und türkische Sultane, italienische Fürsten und spanische Könige fanden genauso den Weg in Kölderers Chronik wie Thronstreitigkeiten in Polen und die Auseinandersetzungen Maria Stuarts und Elisabeths I. Die geographisch exotischsten Nachrichten stammten aus Peru und Japan. Diese Notizen und Einschätzungen werden ergänzt durch kulturhistorisch besonders interessante Kommentare zu Körper-, Krankheits- und Todeserfahrungen, dem Hexenglauben und der Wunderwahrnehmung, auch der Traumschilderung.

    AUßERORDENTLICHER INTERDISZIPLINÄRER QUELLENWERT

    Die Chronik Kölderers nimmt in der Quellengruppe der Chroniken somit einen besonders hohen Rang ein. Sie entstand nicht nur an einer Nahtstelle europäischer, insbesondere süd- und mitteleuropäischer Kommunikation und verfügte über innovative Nachrichtenvermittlungsformen (u. a. die erwähnten "Fugger-Zeitungen"), sondern zeichnet sich auch durch eine überdurchschnittliche Breite der Wahrnehmung und Erfassung vielfältigster Themen aus, was u. a. mit der epochalen Verdichtung des historischen Wandels ihrer Entstehungszeit zu tun hat. Alle diese Charakteristika begründen einen außerordentlichen interdisziplinären Quellenwert. Neben der Geschichtswissenschaft und der allgemeinen Kulturforschung werden auch die Kommunikationswissenschaft, die Volkskunde, die Kunstgeschichte, Rechtsgeschichte, Kirchengeschichte und die Philosophie von der Edition dieser Chronik profitieren.

    KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN:

    Prof. Dr. Wolfgang E. J. Weber
    Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg
    86135 Augsburg
    Telefon: 0821/598-5842 oder 5840, Telefax -5850
    e-mail: wolfgang.weber@iek.uni-augsburg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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