Märtyrer tröstete sich im Angesicht des Todes mit der antiken Philosophie
Womit tröstet sich ein zum Tode Verurteilter? Am Beispiel des spätantiken Philosophen Boethius untersuchen die Bochumer Philologen Prof. Dr. Nicola Kaminski und Prof. Dr. Reinhold Glei in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Franz Lebsanft aus Bonn die Frage, welche Rolle das Christentum für den „letzten Römer“ und seine Rezeption spielte. Sie stellen fest: Boethius war zwar Christ, suchte jedoch seinen Trost nicht in der christlichen Heilsbotschaft, sondern in den abstrakten Lehren der Philosophie. Sein Heiland war Sokrates, nicht Christus, und seine Apostel waren nicht Petrus und Paulus, sondern Platon und Aristoteles.
Trotzdem wurde er als christlicher Märtyrer verehrt. Den vielfältigen Transformationen des christianisierten Boethius gehen 15 Wissenschaftler aus dem In- und Ausland in einem von den drei Philologen herausgegebenen Sammelband nach.
Im Herzen und Denken ein antiker Mensch
Boethius, geboren um 480 n.Chr., war bereits ein anerkannter Gelehrter, als König Theoderich ihn als ranghöchsten Beamten an seinen Hof berief. Doch der politische Quereinsteiger war den Gefahren dieses Haifischbeckens nicht gewachsen und wurde bald Opfer einer Palastintrige: Der Konspiration mit dem oströmischen Kaiser verdächtigt, fiel er bei Theoderich in Ungnade, wurde aller seiner Ämter enthoben, inhaftiert und in Abwesenheit zum Tode verurteilt. In der Zeit vor seiner Hinrichtung (524 n.Chr.) verfasste er die Consolatio Philosophiae („Trost der Philosophie“). „Aber dieses Werk ist nicht, wie man erwarten könnte, das Tagebuch eines erschütternden persönlichen Schicksals, sondern eine fast nüchterne Bestandsaufnahme dessen, was die antike Philosophie im Angesicht des Todes an Trostgründen aufbietet“, hat Prof. Glei festgestellt. Boethius war zwar nominell Christ und hat sogar einige trockene Traktate über dogmatische Fragen verfasst, im Herzen und im Denken aber war er ein antiker Mensch geblieben, dem in der Todesstunde nicht die christliche Heilsbotschaft, sondern nur die abstrakte Lehre der Philosophie Trost zu spenden vermochte.
Trostschrift ohne christlichen Inhalt wird so wichtig wie die Bibel
Dennoch wurde Boethius im Mittelalter als christlicher Märtyrer verehrt, weil er ein Opfer des ‚Häretikers’ Theoderich war. Dieser hing dem arianischen Glauben an, wonach Christus nur gottähnlich, aber nicht gottgleich ist. Dass die Trostschrift nichts Christliches enthielt, wurde dabei geflissentlich ignoriert – immerhin widersprach sie ja auch nicht ausdrücklich dem Christentum. Daher galt die Consolatio nicht als Teil des heidnischen Erbes, dessen Überlieferung infrage gestellt wurde, sondern als genuin christlicher Text, der fast ebenso bedeutend wurde wie die Bibel: Es gibt im Mittelalter über 400 Handschriften, zahlreiche Kommentare und Übersetzungen in die Volkssprachen. In der Frühen Neuzeit wurde das Werk dann vielfach gedruckt, grammatisch erklärt und sogar im Streit der Konfessionen eingesetzt.
Titelaufnahme
Boethius Christianus? Transformationen der Consolatio Philosophiae in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Reinhold F. Glei, Nicola Kaminski und Franz Lebsanft. Berlin: Walter de Gruyter, 2010.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Reinhold Glei, Seminar für Klassische Philologie, Ruhr-Universität Bochum, reinhold.glei@rub.de
Redaktion: Meike Drießen
Der „Kranke“ (d.h. an Depression leidende) Boethius und die „Ärztin“ Philosophie, die ihn von seine ...
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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