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04.11.2010 15:04

Neurotechnologischer Meilenstein: Erblindete Menschen können mit Netzhautimplantat Buchstaben lesen

Dr. Nadja Gugeler Pressestelle
NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen

    In einer an der Universitätsaugenklinik Tübingen durchgeführten Studie mit elf Patienten konnte zum ersten mal gezeigt werden, dass ein unter die Netzhaut eingepflanzter, lichtempfindlicher Chip bei erblindeten Menschen Sehleistungen wiederherstellen kann, die bis hin zur Erkennung von Buchstaben und Wörtern reichen. Für den langzeitsicheren Betrieb des Chips entwickelte das Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut (NMI) in Reutlingen eine neuartige Verkapselung. Die Ergebnisse der Studie wurden am Mittwoch, 3. November 2010 in "Proceedings of the Royal Society B" mit großem Medienecho veröffentlicht.

    Zentraler Bestandteil des von der Retina Implant AG, Reutlingen, gefertigten Implantats ist ein drei mal drei Millimeter großer mikroelektronischer Chip mit 1500 lichtempfindlichen Photodioden und Verstärkern, die Lichtinformationen in elektrische Impulse umwandeln und diese über ein Raster von Mikroelektroden an die Netzhaut weiterleiten.

    Dass ein elektrisch aktiver Mikrochip unter der Netzhaut stabil und sicher funktioniert, ist keinesfalls selbstverständlich. Die verwendeten Materialien sind nicht nur für den Menschen verträglich, sondern schützen auch den Chip mit seiner empfindlichen Elektronik in der ungewohnten biologischen Umgebung. Mit einem am NMI entwickelten Prozess wird auf den Chip eine nur wenige tausendstel Millimeter dicke, für Gewebeflüssigkeit undurchdringlichen Polymerschicht aufgebracht. Die mikrotechnische Herausforderung bestand jedoch nicht nur in der Langzeitstabilität des Materials, sondern in der Durchführung von 1500 elektrischen Mikrokontakten durch die ansonsten geschlossene Schutzschicht – von den Leiterbahnen der elektrischen Schaltungen im Chip zu den auf die ebenfalls vom NMI auf die Schicht aufgebrachten Mikroelektroden, die den elektrischen Kontakt zur Netzhaut vermitteln.

    Diese Verkapselung eines implantierbaren, elektronischen Mikrochips mit 1500 Stimulationselektroden auf seiner Oberfläche ist bislang einzigartig. Üblicherweise werden z.B. bei Herzschrittmacher und Cochlea-Implantaten die elektronischen Bauteile in einem Metallgehäuse mit Kabeldurchführungen untergebracht, um sie vor Feuchtigkeit und Korrosion zu schützen.

    Das in der klinischen Studie verwendete Implantat ist das Ergebnis der langjährigen Zusammenarbeit der Universitätsaugenkliniken Tübingen und Regensburg, dem Institut für Mikroelektronik in Stuttgart (IMS), dem NMI sowie den Firmen Retina Implant AG und der ebenfalls in Reutlingen ansässigen Multi Channel Systems MCS GmbH. MCS lieferte die externe Ansteuerelektronik für den vom IMS entwickelten und gefertigten Chip. Das NMI ist seit 15 Jahren an der Entwicklung des subretinalen Netzhautchips beteiligt. Neben den technischen Entwicklungen von Mikroelektroden für die sichere Langzeitstimulation, biostabilen Schutzschichten und flexiblen Mikroleiterbahnen wurden von Anfang an biophysikalische Untersuchungen zur elektrischen Netzhautstimulation durchgeführt. So wurden als Vorgaben für die Auslegung des Chips die geeigneten Reizstärken zur Netzhauterregung und sinnvolle Abstände der 1500 Stimulationselektroden ermittelt.

    Originalpublikation

    Titel: Subretinal electronic chips allow blind patients to read letters and combine them to words
    Journal, Artikelnr.: Proceedings of the Royal Society B, doi: 10.1098/rspb.2010.1747

    Autoren: Eberhart Zrenner 1,*, Karl Ulrich Bartz-Schmidt 1, Heval Benav 1, Dorothea Besch 1, Anna Bruckmann1, Veit-Peter Gabel 2, Florian Gekeler 1, Udo Greppmaier 3, Alex Harscher 3, Steffen Kibbel 3, Johannes Koch 1, Akos Kusnyerik 1,4, Tobias Peters 5, Katarina Stingl 1, Helmut Sachs 6, Alfred Stett 7, Peter Szurman 1, Barbara Wilhelm 5 and Robert Wilke 1

    Beteiligte Partner:
    1 Centre for Ophthalmology, University of Tübingen, Schleichstr. 12, 72076 Tübingen, Germany
    2 Eye Clinic, University of Regensburg, Franz-Josef-Strauss-Allee 11, 93053 Regensburg, Germany
    3 Retina Implant AG, Gerhard-Kindler-Str. 8, 72770 Reutlingen, Germany
    4 Department of Ophthalmology, Semmelweis University, Tomo u. 25-29, 1083 Budapest, Hungary
    5 Steinbeis Transfer Centre Eyetrial at the Centre for Ophthalmology, Schleichstr. 12-16, 72076 Tübingen, Germany
    6 Klinikum Friedrichstadt, Friedrichstr. 41, 01067 Dresden, Germany
    7 NMI Natural and Medical Sciences Institute at the University of Tübingen, Markwiesenstr. 55, 72770 Reutlingen, Germany


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Elektrotechnik, Informationstechnik, Medizin, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse, Kooperationen
    Deutsch


     

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