Chemotherapeutika, notwendig bei Krebserkrankungen, vernichten nicht nur Krebszellen, sondern auch gesunde Zellen. Auch Keimzellen, also Ei- und Samenzellen, gehören dazu. Deshalb sehen sich viele junge Frauen nach überstandener Krebserkrankung mit der nächsten Hiobsbotschaft konfrontiert: der Unfruchtbarkeit. Bereits seit langem vermuten Wissenschaftler einen Zusammenhang mit der Chemotherapie – was jedoch genau dabei abläuft, war bislang unbekannt. Das Team um Prof. Volker Dötsch vom Institut für Biophysikalische Chemie der Goethe-Universität ist dem Geheimnis, das diesem Nebeneffekt der Krebsbehandlung zugrunde liegt, einen wesentlichen Schritt näher gekommen.
In der am Freitag erschienenen international renommierten Fachzeitschrift „Cell“ hat er neueste Details seiner Forschung in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern publiziert. Die Frankfurter Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass Frauen deshalb hauptsächlich von Unfruchtbarkeit nach der Chemotherapie betroffen sind, weil ihre Keimzellen einer anderen Qualitätskontrolle unterliegen als männliche Keimzellen.
Denn während die männlichen Keimzellen kontinuierlich in riesiger Anzahl bis ins hohe Alter produziert werden, ist die Anzahl der weiblichen Eizellen begrenzt. Jede Frau verfügt bereits bei der Geburt über einen festgelegten Pool dieser wertvollen Keimzellen. Werden diese Eizellen durch die Krebsbehandlung geschädigt, sterben sie dank einer strikten „weiblichen“ Qualitätskontrolle ab. Entscheidend beteiligt an dieser Qualitätskontrolle ist ein Protein mit dem Namen p63. Es hat eine bemerkenswert große Ähnlichkeit mit einem anderen wichtigen Protein, dem p53. Deshalb spricht man auch von der Proteinfamilie p53. Als „Wächter des Genoms“ bekannt, reguliert p53 Zellteilung und Zelltod in kranken Zellen und hat damit eine Schlüsselrolle bei der Unterdrückung von genetischen Abweichungen, die zu Krebs führen können. Bei mehr als der Hälfte aller menschlichen Tumore ist p53 verändert und dadurch nicht mehr funktionsfähig.
Wie genau die Aktivität von p53 und p63 reguliert wird, welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede bestehen, ist seit langem Gegenstand weltweiter Forschung, an der sich die Naturwissenschaftler der Goethe-Universität intensiv beteiligen. Nach dem gegenwärtig allgemein akzeptierten Modell ist die Konzentration von p53 in gesunden Zellen sehr gering. Treten in einer Zelle jedoch genetische Defekte auf, durch die sie zur Tumorzelle entarten könnte, erhöht sich die Konzentration von p53 und es kommt zur Zusammenlagerung von vier p53-Proteinen zu einem Tetramer. In dieser Tetramerstruktur ist der Tumorsuppressor aktiv und kann je nach Schädigung bewirken, dass die Zelle den entstandenen Schaden repariert oder zellulären Selbstmord betreibt. Überraschenderweise schien – trotz der großen Ähnlichkeit mit dem Tumorsuppressor p53 – der Mechanismus, der die Aktivität des Proteins p63 in Eizellen kontrolliert ein anderer zu sein.
„Wir konnten zeigen, dass zwischen beiden Mechanismen eine enge Verwandtschaft besteht“, erläutert Dötsch die aktuellen Ergebnisse. „Das Protein p63 liegt in gesunden Eizellen in hoher Konzentration als kompaktes inaktives Dimer vor. Treten jedoch in Eizellen DNA Doppelstrangbrüche auf, etwa in Folge radioaktiver Strahlung, wird p63 phosphoryliert. Durch diese Anlagerung von Phosphatgruppen wird die kompakte Struktur des inaktiven Zustandes aufgebrochen, und es kann sich ein zweites offenes Dimer anlagern. Damit entsteht ein aktiver tetramerer Zustand, der auch für das Tumorsuppressor-Protein p53 charakteristisch ist und der den Zelltod der beschädigten Eizellen einleitet.“ Da die Wirkungsweise vieler Chemotherapeutika auf der Erzeugung von Doppelstrangbrüchen in der DNA der Zellen beruht, führen diese Medikamente letztendlich auch zur Aktivierung von p63 in Eizellen und damit zu deren Absterben.
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Als Modellsystem untersucht die Arbeitsgruppe um Volker Dötsch auch Proteine des Fadenwurms, Caenorhabditis elegans. Dieser niedere Organismus aus der Familie der Nematoden hat ein p53-ähnliches Protein, das aber aufgrund der kurzen Lebenszeit des Fadenwurms nicht als Tumorsuppressor wirkt, sondern hauptsächlich der Kontrolle der genetischen Stabilität der Keimzellen dient. Die genetische Kontrolle der Keimzellen ist demnach die ursprüngliche Funktion der gesamten p53-Proteinfamilie und legt die Vermutung nahe, dass p63 das primitivste und älteste Mitglied und damit der Urahn der p53-Familie ist. Interessanterweise hat p63 noch eine weitere Funktion: Es ist essentiell für den Erhalt von Stammzellen in Epithelgeweben wie etwa der Haut. Da Keimzellen und Stammzellen viele Gemeinsamkeiten haben, zeigt sich hiermit ein bemerkenswerter Evolutionsweg von Proteinen in niederen Organismen, die für die genetische Stabilität der Keimzellen zuständig sind, über die Kontrolle von Stammzellen in Organismen mit erneuerbaren Geweben bis hin zur Entstehung eines p53 Tumorsuppressors für alle Körperzellen. Damit kommt der p53 Proteinfamilie eine der größten Bedeutungen für die Entwicklung und die Gesundheit des Menschen zu.
Informationen: Prof. Volker Dötsch, Institut für Biophysikalische Chemie, Campus Riedberg, Tel.: (069) 798-29631, vdoetsch@em.uni-frankfurt.de, Correspondence: DOI 10.1016/j.cell.2011.01.013
Publikation: Deutsch et al., DNA Damage in Oocytes Induces a Switch of the Quality Control Factor TAp63α from Dimer to Tetramer, Cell (2011), doi:10.1016/j.cell.2011.01.013
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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