München, 4. Mai 2011 – „Organspende oder nicht. Diese Entscheidung sollte niemand seinen Angehörigen überlassen“: Mit klaren Worten sprach sich der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Frank-Walter Steinmeier, auf dem 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) dafür aus, die Organspende gesetzlich neu zu regeln. 12.000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. Täglich versterben mindestens drei, weil sie dieses nicht rechtzeitig erhalten. „Hier muss der Gesetzgeber endlich aktiv werden“, forderten die Chirurgen heute bei der Diskussion mit Frank-Walter Steinmeier.
Beispiele aus europäischen Ländern wie Österreich zeigen, dass insbesondere durch die so genannte „Widerspruchslösung“ erheblich mehr Organtransplantationen möglich sind. „In Deutschland warten Patienten sechs Jahre auf eine neue Niere, in Österreich sechs Monate“, erzählt Professor Dr. med. Jürgen Klempnauer, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie müssen oft lebenslang zur Dialyse. Das schränkt ihre Lebensqualität erheblich ein. Für Menschen, die auf ein Herz, eine Lunge oder Leber warten, sind diese Zeiten häufig zu lang. Sie versterben, bevor sie das lebensrettende Organ erhalten. Dieser Missstand hat mit den in Deutschland geltenden Regeln zur Organspende zu tun: Hierzulande müssen sich potenzielle Spender aktiv dafür entscheiden, dass nach ihrem Tod Organe entnommen und für eine Transplantation genutzt werden dürfen.
Obwohl fast 75 Prozent der Deutschen bei Umfragen einer Organspende zustimmen würden, besitzen nur 12 Prozent einen Organspendeausweis. Bei einer so genannten Widerspruchslösung, wie sie in Österreich gilt, muss jeder Bürger aktiv widersprechen, wenn er seine Organe nach dem Tod nicht spenden möchte. Bei acht Millionen Einwohnern gibt es im Nachbarland nur 2000 Widersprüche pro Jahr. Entsprechend gut ist die Versorgungslage mit Spenderorganen.
Frank-Walter Steinmeier plädierte für einen Mittelweg zwischen der heute geltenden Zustimmungslösung und der Widerspruchslösung – er sprach sich für eine „Entscheidungslösung“ aus: Diese sieht vor, dass jeder Bundesbürger mindestens einmal im Leben bestimmt, ob er nach seinem Tod seine Organe einem anderen Menschen zur Verfügung stellen möchte oder nicht. Diese Regelung würde nicht nur potenziellen Organempfängern nutzen, sondern auch die Angehörigen von einer komplizierten Entscheidung entlasten. Denn sie sind es, die heute ja oder nein sagen müssen, wenn der Verstorbene als potenzieller Spender in Frage kommt und kein Organspendeausweis vorliegt. „Sie sind in dieser Situation meist vor allem mit ihrer Trauer beschäftigt und sollten nicht solch schwierige Entscheidungen treffen müssen“, mahnt Steinmeier.
Die Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie waren sich einig darin, dass sich die gesetzlichen Regelungen ändern müssen. „Die medizinischen Möglichkeiten der Organtransplantation sind heute so ausgereift, dass wir vielen Menschen helfen könnten, wenn wir ausreichend Spenderorgane zur Verfügung hätten. Daher wäre für das Wohl unserer Patienten eine Widerspruchslösung die beste Regelung“, erklärt Professor Dr. med. Axel Haverich, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Gleichzeitig mahnte er an, dass im Rahmen der neuen gesetzlichen Regelungen auch die Lebendspende von Organen stärker berücksichtigt werden sollte. Begleitend dazu müssten sich auch die Strukturen in den Kliniken ändern. So zeigt sich beispielsweise, dass die Zahl der Transplantationen steigt, wenn entsprechende Koordinatoren vor Ort tätig sind.
Außerdem forderten die Chirurgen, die Entscheidung des Einzelnen für oder gegen eine Organspende transparent zu dokumentieren – beispielsweise im Führerschein, dem Personalausweis oder auch elektronisch über das Internet.
Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie hat es sich auch zur Aufgabe gemacht, gemeinsam mit Partnern wie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auf das Thema hinzuweisen. So wurde ein Organspendensong auf dem Chirurgen-kongress uraufgeführt. Ein Organ-Spendenlauf durch den Englischen Garten in München soll darüber hinaus die Bevölkerung auf das Problem aufmerksam machen.
Kontakt für Journalisten:
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Christine Schoner
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Kontakt auf dem Kongress in München:
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