Nr. 27, 16. April 1998
Vor 125 Jahren starb Justus Liebig
Schon wer morgens verschlafen in den Spiegel schaut, hat mit Justus Liebig zu tun, denn er erfand ein Verfahren zum Versilbern von Spiegeln und ersparte damit unzähligen Arbeitern die Vergiftung mit Quecksilber, mit dem bis dahin Spiegel angefertigt worden waren. Zu seinen Erfindungen gehören Backpulver, der nach ihm benannte Fleischextrakt, Fleischinfusum - mit dem man Schwerkranke ernähren konnte, lange bevor die Infusionstechnik entwickelt wurde -, rostfreie Eisenlegierungen, Chloroform als Narkotikum, Chloralhydrat als Schlafmittel, Pyrogallol als fotochemischer Entwickler und vieles andere mehr. Vor allem aber hat Justus Liebig den Mineraldünger theoretisch begründet und praktisch durchgesetzt. Als er am 18. April 1873 in München starb, gab es etwa eine Milliarde Menschen auf der Welt. Daß heute die sechsfache Zahl von Menschen lebt und ernährt werden kann, ist vor allem ihm zu verdanken.
"Meine Anstellung in Gießen war den meisten Professoren ein Greuel, da man sie darüber nicht gefragt hatte, denen aber, welche entweder Töchter zu verheiraten hatten, oder die Wissenschaft zu befördern suchten, nichts weniger als unangenehm," berichtet Justus Liebig in einem Brief vom 23. September 1824 über seine ersten Monate in der Stadt an der Lahn. Keine Universität läßt sich gerne von ihrer übergeordneten Behörde einen Professor aufzwingen, und so waren die Professoren der Hessischen Landesuniversität in Gießen keineswegs begeistert, als ihr Großherzog in Darmstadt ihnen einen 21jährigen als neuen Chemiker bescherte - zumal der Chemie-Unterricht in Gießen gesichert war. "Er wird ein Professor sein, der unserem Vaterland Ehre macht," hatte Alexander von Humboldt in seinem Empfehlungsschreiben an den Großherzog prophezeit. Und das hat er dann in einem Maße gemacht, daß die Universität bei ihrer Wiedereröffnung 1957 schließlich für ihren Namen den des Gründers gegen Justus Liebig austauschte.
Als Liebig 1803 in Darmstadt geboren wurde, war die Chemie im wesentlichen eine französische Wissenschaft; daneben gab es noch eine skandinavische und eine englische Chemie. Erst Liebig hat durch seinen "experimentellen Unterricht" die moderne Chemie in Deutschland begründet. Noch heute kann in dem ehemaligen Wachhaus einer Kaserne das Labor bewundert werden, das er in Gießen einrichtete und das mit seinen Abzügen und Glasgeräten schon sehr modern wirkt. Liebig war schon als Chemiker weltberühmt, als er 1840 das Buch herausgab, das unter seinem Kurztitel "Agrikulturchemie" bekannt geworden ist. In ihm beschrieb er, wie die Fruchtbarkeit des Ackerbodens nur erhalten werden kann, wenn die mit der Ernte entzogenen mineralischen Nährstoffe wieder ersetzt werden. Die "Agrikulturchemie" wurde zunächst sehr positiv aufgenommen und erlebte sechs Auflagen, doch 1845 endete der erste Großversuch mit Mineraldünger in einem Mißerfolg - mitten in den Hungersnöten der vierziger Jahre. Die Stimmung schlug um, Liebig wurde mit Hohn überschüttet und stand praktisch alleine gegen die gesamte Fachwelt. Auf einem Versuchsfeld bei Gießen entdeckte Liebig schließlich den Denkfehler. Einerseits hatte er die den Pflanzen verfügbare Stickstoffmenge überschätzt, andererseits hatte er das teuere Kalium in eine schwerlösliche Form überführt, um zu vermeiden, daß es ausgewaschen wurde. Ihm war nicht klar gewesen, daß Kalium in dieser Form auch für die Pflanzenwurzeln nicht verfügbar ist. 1856 waren die ersten Mineralstoffe fertig für den Dünge-Einsatz, 1862 erschien endlich die siebte Auflage der "Agrikulturchemie", von der es nicht untertrieben ist zu behaupten, sie habe die Welternährung revolutioniert. Ohne Mineraldünger könnte die Erde nur etwa 1,5 Milliarden Menschen ausreichend ernähren. Der Rest lebt dank der Einsichten Liebigs. Heute wird Liebig gelegentlich vorgeworfen, er sei mit seinen Mineraldüngern schuld an der leergeräumten Agrarlandschaft mit ihren Monokulturen. Doch Liebig ist in diesem Punkt moderner, als seine Gegner zur Kenntnis nehmen. Ihm war klar, daß die Lagerstätten an mineralischen Düngestoffen erschöpflich sind. In einer wenig beachteten Schrift hat er darauf hingewiesen, daß Nährstoffkreisläufe mit organischen Düngern wie Gülle und Mist wieder geschlossen werden müssen, wenn das Prinzip des Düngens auf Dauer funktionieren soll.
Liebig ist auch ein gutes Beispiel für das, was im Deutsch unserer Tage "Technologietransfer" heißt. Natürlich verdankt die Düngemittelindustrie Liebig ihre Existenz. Vor Liebig vergeudeten die Chemiker viel Zeit mit dem Anfertigen von Reagenzien. Er regte Emanuel Merck dazu an, Chemikalien kommerziell zu vertreiben, wovon noch heute die Firma Merck in Darmstadt lebt. In Paris hatte Liebig Glasblasen gelernt, und im Laufe der Zeit erfand er eine Reihe neuer chemischer Geräte - der "Fünfkugelapparat" zur Elementaranalyse wurde geradezu zu einem Wahrzeichen der "Gießener Schule". So regte er auch die erste kommerzielle Herstellung von Laborgläsern an. Liebig war auch an der populärwissenschaftlichen Vermittlung seiner Resultate gelegen, seine "Chemischen Briefe" entwickelten sich zu Bestsellern. "Die Chemie kauderwelscht in Deutsch und Latein - in Liebigs Munde wird sie sprachgewaltig," begeisterte sich Jacob Grimm. 1852 nahm Liebig einen Ruf nach München an, wo er am 18. April 1873 an einer Lungenentzündung starb.
Die Liebig-Schule
Die beste Methode, einen Nobelpreis zu bekommen, ist, bei einem Nobelpreisträger in die Lehre zu gehen. Zu Liebigs Zeit gab es noch keinen Nobelpreis, aber schon der erste Nobelpreis für Chemie ging 1901 an Jacobus vanŽt Hoff, einem Schüler von August Kekulé, der die Benzolstruktur gefunden hatte, und Kekulé war wiederum ein Liebig-Schüler. Von 1824 bis 1852 studierten 300 Pharmazeuten und 431 Chemiker in Gießen, von denen 60 später Professoren wurden.
Wenn man sich allein nur die Nobelpreisträger der "Liebig-Schule" vor Augen hält, kann man etwa Justus Liebigs Einfluß ermessen:
- Jacobus vanŽt Hoff 1901 Theorie der Lösungen
- Emil Fischer 1902 Zucker- und Purinchemie
- Svante Arrhenius 1903
- Ionentheorie Adolf von Baeyer 1905 Synthese des Indigo
- Eduard Buchner 1907 zellfreie Gärung
- Paul Ehrlich 1908 Chemotherapie
- Wilhelm Ostwald 1909 Katalyse
- Otto Wallach 1910 Terpene und Kampfer
- Theodore Richards 1914 Atomgewichtsbestimmung
- Richard Willstätter 1915 Chlorophyll
- Fritz Haber 1918 Ammoniak-Synthese
- Walther Nernst 1920 chemische Thermodynamik
- Otto Meyerhof 1922 Zellatmung
- Richard Zsigmondy 1925 Ultramikroskop
- Heinrich Wieland 1927 Gallensäure und Sterine
- Adolf Windaus 1928 Vitamin
- D Arthur Harden 1929 Enzyme
- Hans von Euler 1929 Enzyme
- Karl Landsteiner 1930 Blutgruppen
- Hans Fischer 1930 Blutfarbstoff
- Otto Warburg 1931 Atmungsfermente
- Friedrich Bergius 1931 Benzin-Synthese
- Irving Langmuir 1932 Oberflächenchemie
- Richard Kuhn 1938 Carotinoide
- Adolf Butenandt 1939 Sexualhormone
- Leopold Ruzicka 1939 vielgliedrige Ringe
- Otto Hahn 1944 Kernspaltung
- Paul Müller 1948 DDT
- William Giauque 1949 Tieftemperaturchemie
- Otto Diels 1950 Dien-Synthese
- Kurt Alder 1950 Dien-Synthese
- Tadeus Reichstein 1951 Corticosteron
- Glenn Seaborg 1951 Transurane
- Hermann Staudinger 1953 Makromolekulare Chemie
- Hans Krebs 1953 Zellstoffwechsel
- Fritz Lipmann 1953 Zellstoffwechsel
- Axel Hugo Theorell 1955 Oxydationsfermente
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Chemie, Geschichte / Archäologie, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
überregional
Es wurden keine Arten angegeben
Deutsch
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