Tanz der Moleküle, chemisch choreographiert
Der Aufbau neuer genetischer Abschnitte gleicht auf der molekularen Ebene einem Paartanz, bei dem sich zwei Partner die Hände reichen: Ein Partner befindet sich in einer bereits existierenden Kette von Buchstaben, der andere schließt ihn in die Arme. In der Natur wird dieser Vorgang von einer komplizierten Enzym-Maschinerie gesteuert – ob es auch ohne sie geht, versuchen Chemiker seit Jahren herauszufinden. Andreas Kaiser, Sebastian Spies und Prof. Clemens Richert vom Institut für Organische Chemie der Universität Stuttgart haben nun Bedingungen gefunden, die eine spontane Paarbildung zu lassen und berichten darüber in der aktuellen Ausgabe der führenden Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“ *). Das Verfahren könnte neuartige diagnostische Tests in der Genforschung ermöglichen.
Wissenschaftlich gesprochen lagern sich bei dem Paartanz Moleküle, deren Gestalt komplementär ist, durch schwache Wechselwirkungen zusammen, so dass ein enger Kontakt entsteht. Dieses Prinzip der „molekularen Erkennung" wird auch von der Natur genutzt: Millionfach lagern sich die Buchstaben des genetischen Alphabets an eine existierende Buchstabensequenz (ein Gen) an und bilden einen Tochterstrang. So werden Gene dupliziert, bevor sich Zellen teilen, und jede Tochterzelle erhält eine komplette Kopie der genetischen Information. In der Zelle sorgt eine komplizierte Enzym-Maschinerie dafür, dass alle Reaktionen schnell genug ablaufen und dass sich immer die passenden Buchstaben an die existierende Vorlage (Templatstrang) anlagern, also die Basenpaarungs-Regeln der DNA-Forscher James Watson und Francis Crick befolgt werden.
Seit Jahren versuchen Chemiker herauszufinden, ob die Paarbildung zwischen den Einzelbuchstaben und der Vorlage auch ohne die enzymatische Maschinerie spontan, allein aufgrund der Struktur der Bausteine ablaufen kann. Bisher war es möglich, kurze DNA-Abschnitte rein chemisch aufzubauen. Die Bedingungen für diese Synthesen sind aber so streng, dass eine Paarbildung unterdrückt wird.
Die Gruppe um Prof. Richert von der Universität Stuttgart fand nun Bedingungen, die die Paarbildung zulassen und deren chemische Reaktionsfreudigkeit dennoch ausreicht, um einen Kettenaufbau zu erlauben. Sie zeigten, dass so genannte „Schutzgruppen" an der reaktiven Stelle der Einzelbuchstaben eine Freilegung der Reaktivität zu einem gewünschten Zeitpunkt ermöglichen. Erst wenn ein bestimmtes Reagenz zugegeben wird, kommt es zur Verknüpfung. Diese Bedingungen sind so „mild“, dass die spontane Paarbildung nicht gestört wird. Die Stuttgarter Chemiker konnten so bis zu zehn rein chemische Einbauschritte verfolgen und darüber hinaus zeigen, dass das Wachstum der Tochtersequenz nicht nur an einem Ende sondern sogar gleichzeitig an beiden Enden erfolgen kann. Dies lässt die Natur mit ihrer ausgeklügelten enzymatischen Maschinerie nicht zu.
Das neue Verfahren, das Charakteristika bekannter chemischer Syntheseverfahren mit biologisch inspirierten Schritten vereint, könnte es in Zukunft ermöglichen, die Sequenz von krankmachenden Genen leichter auszulesen. Auch für den spontanen Aufbau von kleinsten Formteilen könnte die Methodik interessant werden. Man spricht hier von DNA-Nanostrukturierung. Zunächst aber plant die Stuttgarter Gruppe Versuche, bei denen die Abfolge mehrerer spontaner „molekularer Tänze" wie in einem Film aufgezeichnet werden können.
*Online-Vorabpublikation: Andreas Kaiser, Sebastian Spies, Tanja Lommel, Clemens Richert: Template-Directed Synthesis in 3′- and 5′-Direction with Reversible Termination, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ange.201203859/abstract
Weitere Informationen bei Prof. Clemens Richert, Institut für Organische Chemie, Tel. 0711/685-64311, e-mail: <lehrstuhl-2 (at) oc.uni-stuttgart.de>
Tanz der Moleküle
Universität Stuttgart
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Chemie, Medizin
überregional
Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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