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22.05.1998 00:00

Was darf der Mensch dem Tier antun?

Brigitte Nussbaum Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Westfaelische Wilhelms-Universität Münster

    Münsteraner Philosoph zu Forschung an Tieren

    Tierversuche sind in den letzten Jahren verstärkt in die Diskussion geraten. Der Münsteraner Philo soph Johann S. Ach hat sich im Rahmen seiner Promotion an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit den ethischen Grundlagen von Tierversuchen beschäftigt. Das Ergebnis seiner Forschung wird in der neuesten Ausgabe der "muz - Münsters Universitätszeitung" vorgestellt.

    Schafe, die Proteine herstellen, Tiere, die dank Genmanipulation schneller wachsen, Mäuse, denen ein menschliches Ohr wächst - das sind einige der schlagzeilenträchtigen Beispiele über Genversuche mit Tieren. Im beginnenden Zeitalter der Gentechnik drängen sich einige Fragen auf. Können wir bald solch ein Wesen herstellen? Und: Wollen wir das? Dürfen wir das? Oder auch: Können wir das wollen? Und ganz schnell ist man bei der Frage angelangt: Wie sollen wir das entscheiden? Welchen Entscheidungskriterien haben wir, aus welchen ethischen Grundüberzeugungen oder Moralkonzeptionen können wir solche Kriterien ableiten? Wie plausibel sind die Grundüberzeugungen?

    Johann Ach beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit den ethischen Problemen unseres Umgangs mit Tieren und mit unserem Unbehagen, das sich nie ganz verdrängen läßt. In seiner Dissertation hat er Tierversuche in der biomedizinischen Forschung unter die Lupe genommen, weil die ethischen Probleme hier besonders deutlich erkennbar sind. Denn was man den Tieren Schlimmes antut, dient oft der Lebensrettung und -verlängerung oder der Verbesserung der Lebensqualität, und das sind anerkannt hehre Ziele menschlichen Handelns. Wo sich tierliche und menschliche Lebensinteressen unmittelbar gegenüberstehen, liegt eine Art Testfall für die menschliche Fähigkeit zur Unparteilichkeit vor.

    Als Beispiel für aktuelle Tierversuche führt Ach die Forschungen auf dem Gebiet sogenannter transgener Tiere an. Er nennt sie "Tranimals" - das Kürzel entstand bei der Suche nach einem Dateinamen. Durch das Einschleusen fremder Gene will man erreichen, daß diese Tiere Eigenschaften ausbilden, die sie vorher nicht hatten, oder daß sie etwas tun, was sie vorher nicht getan haben. So produziert das 1990 "hergestellte" Schaf Tracy auf grund der Genmanipulation mit seiner Milch ein Protein namens AAT. Das Fehlen dieses Proteins beim Menschen führt zu starkem Gewebeabbau, besonders in der Lunge. Weitere kleinere Erfolge zeigen, daß solches Gene Farming, wo Tiere gleichsam als "Bioreaktoren" genutzt werden, technisch möglich ist. Andere Experimente zielen darauf ab, Tiere zu erzeugen, die ihr Futter besser verwerten und schneller wachsen. Auch laktosefreie Milch, die dann auch Menschen mit einer Laktose-Unverträglichkeit trinken können, ist angestrebt.

    Die ganz großen Hoffnungen haben sich noch nicht erfüllt, und vorerst sind die Ziele der Genforscher eher bescheiden. Die sprichwörtliche eierlegende Wollmilchsau steht bisher nicht auf dem Forschungsplan. Doch gibt es die sogenannte Krebsmaus, der ein menschliches Gen eingepflanzt wurde, um bei ihr Krebs gezielt auszulösen. Diese Mäuse dienen nun als Modell, an dem man die Krankheit studieren kann. Die Frage, ob Ergebnisse auf den Menschen übertragen werden können, ist umstritten. Der Streit, ob Tierversuche medizinisch sinnvoll und moralisch vertretbar sind, ist häufig mit starken Emotionen aufgeladen.

    Was die Bewertung der Experimente mit transgenen Tieren betrifft, muß auch nach Produktsicherheit sowie ökologischen und sozialen Risiken gefragt werden. "Trotz all dieser wichtigen Fragen", lenkt Johann Ach den Blick jedoch wieder auf das eigentliche Thema, das ihn als Philosoph hier interessiert, "darf die entscheidende Frage nicht in den Hintergrund treten. Die Frage nämlich, ob wir in der geschilderten Weise mit Tieren überhaupt umgehen dürfen. Wir müssen, mit anderen Worten, die Frage nach dem moralischen Status von nicht-menschlichen Tieren stellen." In der philosophischen Diskussion weitgehend durchgesetzt hat sich ein begriffliches Raster, das zwischen vier Moralkonzeptionen unterscheidet: Anthropozentrische Modelle schreiben nur dem Menschen, pathozentrische Modelle dem schmerzempfindungsfähigen Teil der Natur, biozentrische der ganzen belebten Natur und holistische Modelle darüber hinaus auch der unbelebten Natur einen moralischen Status zu. Zur Bewertung anthropozentrischer Modelle weist Ach darauf hin, daß aus der offenkundigen Tatsache, daß auf der Erde nur der Mensch moralische Werte erkennen oder erfinden kann, keineswegs folgt, daß nur ihm ein moralischer Status zustehe.

    Ach schlägt eine interessenorientierte Moralkonzeption vor, deren Kern er das "Prinzip des moralischen Individualismus" nennt. Es lautet: "Jedes einzelne Wesen ist nach Maßgabe seiner Interessen gleich zu berücksichtigen." Da die Zeit der Letztbegründungen in der Ethik unwiderruflich vorbei zu sein scheint, sollte man jetzt nicht fragen, ob diese Konzeption wahr oder falsch ist, sondern nur, ob sie plausibel ist. Hierzu prüft man, ob sie stimmig, widerspruchsfrei und einfach ist und möglichst wenige Vor aussetzungen braucht. Außerdem sollte sie zu unserer Intuition passen, problemaufschließende Kraft haben und bei der Entscheidung helfen, wie man sich verhalten soll.

    "Nur bei einem empfindungsfähigen Wesen hat die Forderung nach einer Berücksichtigung seiner Interessen einen verständlichen Sinn", sagt Johann Ach. Deshalb sei Empfindungsfähigkeit das, worauf es ankommt. Da Mensch und Tier diese besäßen - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß -, müßten die Interessen beider vorurteilslos gegeneinander abgewogen werden. Für das Problem der Tierversuche beispielsweise leitet er daraus die Forderung ab, nur solche Experimente zuzulassen, die hohe wissenschaftliche Qualität haben, von Risikostudien begleitet werden, voraussichtlich wichtige Erkenntnisse liefern und zugleich den Tieren wenig Leiden zufügen. Im Endeffekt seien nur noch Experimente gerechtfertigt, die man auch an Menschen mit vergleichbaren Fähigkeiten und Eigenschaften durchführen würde - immer unter Berücksichtigung des Konzeptes der Menschenwürde.

    Auch eine ganz persönliche Konsequenz hat Ach aus seinen moraltheoretischen Forschungen gezogen: Er ist inzwischen Vegetarier geworden.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin, Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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