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21.09.2012 10:08

Rattenstudie mit genmodifiziertem Mais - Biologenverband sieht schwere Mängel

Dr. Kerstin Elbing Geschäftsstelle Berlin
Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland e.V.

    Eine Studie eines Wissenschaftlerteams um den Franzosen Gilles-Eric Séralini sorgt derzeit in den Medien für Schlagzeilen. Demnach sind bei Ratten, die über einen längeren Zeitraum mit genmodifiziertem Mais und bzw. oder glyphosathaltigem Trinkwasser ernährt wurden, schwere gesundheitliche Schäden aufgetreten.
    Der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin (VBIO e. V.) weist nachdrücklich darauf hin, dass diese Studie erhebliche Mängel aufweist. Die Studie liefert nach Ansicht des VBIO keine neuen Anhaltspunkte, die aktionistische Schlussfolgerungen rechtfertigen.

    Séralini und Kollegen1 berichten in ihrer Studie über erhöhte Todesraten und gesundheitliche Probleme bei Ratten, die über einen längeren Zeitraum mit genmodifiziertem Mais gefüttert wurden. Die Studie weist allerdings mehrere schwere Mängel auf. „Eigentlich erstaunlich, dass dies im Rahmen des Peer Review nicht entdeckt wurde“, so Prof. Diethard Tautz, Vizepräsident des VBIO. „Der Wirbel, den die Veröffentlichung ausgelöst hat, ist in keiner Weise angemessen, Forderungen nach sofortigen Konsequenzen können damit nicht begründet werden“ so Prof. Tautz weiter. Er plädiert dafür, bei der Entscheidung über wichtige gesellschaftspolitische Themen solide wissenschaftliche Grundlagen heranzuziehen.

    Zur Auswahl des Tiermodells
    Die während der Studie aufgetretenen pathologischen Befunde, insbesondere die in den Bildern dargestellten Tumoren, sind für den verwendeten Rattenstamm typisch, da es sich um einen Inzuchtstamm handelt, bei dem im Alter häufig diese Probleme auftreten. In einer groß angelegten Studie mit über 3.000 Tieren dieses Stammes wurde gefunden, dass ca. die Hälfte der Tiere innerhalb von zwei Jahren an einer dieser Krankheiten bzw. Tumoren stirbt2. Gleichzeitig weist diese Studie aber auch darauf hin, dass es in eine sehr große Schwankungsbreite in Bezug auf Sterberaten und Entwicklung von Tumoren im Alter gibt, d.h. für Langzeitversuche war der verwendete Ratten-Stamm nicht geeignet.

    Statistische Mängel
    Generell gilt, dass man bei Untersuchungen mit kleinen Gruppen von nur zehn Tieren sehr schwer statistisch signifikante Effekte nachweisen kann. Beispielsweise berichtet das Team um Seralini, dass 50-80% der behandelten Tiere einer bestimmten Gruppe einen Tumor entwickelt hätten, jedoch nur 30% der Kontrolltiere. Dies erscheint als drastischer Unterschied. Allerdings ist die korrekte Aussage, dass fünf bis acht von zehn Tieren in der Behandlungsgruppe einen Tumor entwickelt haben, aber nur drei von zehn in der Kontrollgruppe. Diese Zahlen können in einem einfachen Chi-Quadrat Test überprüft werden: sie sind nicht signifikant unterschiedlich, das heißt sie liegen im Rahmen normaler statistischer Schwankungsbreiten.

    Die vorgelegten Daten deuten insgesamt darauf hin, dass nichts anderes als statistische Schwankungen in dem Experiment gemessen wurden. Ursächlich ist der Versuchsansatz, der als Kontrollgruppe nur zehn Tiere pro Geschlecht vorsieht, die dann insgesamt neun Gruppen mit jeweils zehn Tieren in verschiedenen Fütterungsversuchen gegenüber gestellt werden. Da es in jedem derartigen Experiment zu statistischen Schwankungen kommt, muss diese Schwankung sowohl für die behandelte Gruppe, wie auch die Kontrollgruppe abgeschätzt werden, das heißt es hätten auch neunzig (9 x 10) Tiere in der Kontrollgruppe mitgeführt werden müssen. Der von den Autoren gewählte Versuchsansatz hätte aus rein statistischen Gründen in jedem Fall zu ähnlichen Unterschieden zwischen der Kontrollgruppe und den behandelten Gruppen geführt, ganz egal welche Behandlungen ausgeführt worden wären.

    Auch die Details der vorgelegten Daten zeigen, dass offenbar nur statistische Schwankungen gemessen wurden. So wird beispielsweise keine Dosisabhängigkeit des Effekts gefunden. Eine der Gruppen, die mit dem höchsten Anteil an genmodifizierten Mais gefüttert wurde, zeigt sogar die höchste Überlebensrate - ein typisches Zeichen für Zufallsabweichungen. Die Autoren versuchen dies damit zu erklären, dass auch in einer anderen Studie für hormon-bedingte Krankheiten keine Dosisabhängigkeit gefunden worden wäre. Allerdings ist auch diese Studie inzwischen als wissenschaftlich nicht haltbar erkannt worden.3

    Diese Position des VBIO wird von der Gesellschaft für Genetik, Gründungsmitglied im VBIO, explizit mit getragen.

    Literatur
    1 Séralini G-E, Clair E, Mesnage R, Gress S, Defarge N. Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize. Food and Chemical Toxicology, online

    2 Chandra M, Riley MGI, Johnson DE. Spontaneous neoplasms in aged sprague-dawley rats. Arch. Toxicology 66: 496-502

    3 Rhomberg LR, Goodman JE. Low-dose effects and nonmonotonic dose-responses of endocrine disrupting chemicals: Has the case been made? Regul. Toxicol. Pharmacol. 2012, 64:130-333

    Weitere Informationen:
    Prof. Dr. Diethard Tautz, Max-Planck Institut für Evolutionsbiologie, Vizepräsident des VBIO Telefon: 04522-763-390; E-mail: tautz@evolbio.mpg.de


    Weitere Informationen:

    http://www.vbio.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Biologie, Chemie
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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