idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
20.05.2014 10:55

Klebrige Stäbchen im Sperma als HIV-Verstärker: Erstmals Amyloidfibrillen im Sperma nachgewiesen

Annika Bingmann Pressestelle
Universität Ulm

    Ulmer AIDS-Forschern ist es erstmals gelungen, Amyloidfibrillen in menschlichen Spermaproben tatsächlich nachzuweisen. Diese stäbchenartigen Eiweißbruchstücke begünstigen die sexuelle Übertragung des AIDS-Erregers offenbar erheblich. Wenn es gelingt, das Zusammenspiel von Fibrillen und Virenpartikeln zu stören, könnte die Übertragungsrate von HIV verringert werden. Ein entsprechender Fachbeitrag von Wissenschaftlern um die Ulmer Professoren Jan Münch und Frank Kirchhoff sowie Dr. Shariq Usmani ist nun in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.

    Rund 35,3 Millionen Menschen weltweit lebten laut UNAIDS 2012 mit dem Humanen Immundefizienz Virus (HIV) und etwa genauso viele HIV-Infizierte sind bereits an AIDS gestorben. Möglicherweise haben Eiweißbruchstücke, die stäbchenartige Amyloidfibrillen im menschlichen Sperma ausbilden, wesentlich zur Verbreitung der Immunschwächekrankheit über Sexualkontakte beigetragen. Die Ulmer Professoren Frank Kirchhoff und Jan Münch haben die als Semen-Enhancer of Virus Infection (SEVI) bezeichneten Fibrillen vor rund sieben Jahren nicht nur entdeckt, sondern auch ihre Funktion als HIV-Verstärker nachgewiesen: Die klebrigen Stäbchen binden Partikel des AIDS-Erregers und erleichtern ihre Anheftung an Zielzellen. Diese Erkenntnisse hatten die Virologen eher zufällig anhand künstlich hergestellter Peptide aus Samenflüssigkeit erlangt – eigentlich suchten sie nach HIV-Hemmstoffen. Dank einer aufwändigen Methode konnten sie nun erstmals Amyloidfibrillen in natürlichem menschlichen Sperma von gesunden und HIV-infizierten Personen nachweisen. Im entsprechenden Fachbeitrag in Nature Communications schreiben sie: „Wenn es gelingt, die Interaktion von Fibrillen und Virenpartikeln zu stoppen, könnte die sexuelle Übertragung des AIDS-Erregers unterbunden werden.“ Schließlich seien in Gegenwart von SEVI nur einige wenige Erreger nötig, um eine Zelle zu infizieren. Ohne die Fibrillen seien es 1000-fach mehr Virenpartikel.

    „Bisher wurden nahezu alle Fibrillen im menschlichen Körper mit Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, Diabetes oder systemischen Amyloidosen in Verbindung gebracht. Jetzt konnten wir zeigen, dass derartige Stäbchen sowohl in Spermaproben von gesunden Personen als auch von HIV-Infizierten Männern vorkommen“, sagen Professor Jan Münch und Dr. Shariq Usmani vom Ulmer Institut für Molekulare Virologie. Der Nachweis der HIV-Verstärker war jedoch herausfordernd und langwierig: Bekannte Methoden aus der Alzheimerforschung konnten nicht übernommen werden, da die Eiweißbruchstücke keineswegs im Gewebe vorliegen, sondern frei in der Samenflüssigkeit schwimmen. Es brauchte also ein interdisziplinäres Team aus Virologen, Biochemikern, Reproduktionsmedizinern und Spezialisten für Mikroskopie, um den Klebestäbchen auf die Spur zu kommen. Mit einer Kombination aus Elektronen-, Rasterkraft und Fluoreszenzmikroskopie gelang schließlich der Nachweis in allen untersuchten Spermaproben von gesunden oder HIV-infizierten Spendern. Erstautor Dr. Shariq Usmani steuerte sein Wissen zu Amyloid-spezifischen Fluoreszenzfarbstoffen bei, mit denen die Stäbchen angefärbt werden konnten. Die physiologische Funktion der Fibrillen und ihre genaue Zusammensetzung sind jedoch noch nicht geklärt. „Sie könnten eine Rolle bei der Reproduktion spielen und zum Beispiel die Bewegung von Spermien steuern“, vermutet Jan Münch. Ein genaueres Verständnis sei auch für die mögliche Entwicklung eines Mikrobizids wichtig, das die schädliche Wirkung der Fibrillen unterbinden und so das Risiko einer sexuellen Übertragung reduzieren könnte. Ein solches Präparat hilft vielleicht eines Tages Frauen in Entwicklungsländern, sich gegen Infektionen zu schützen.

    Womöglich spielen die in Ulm entdeckten Klebestäbchen im Sperma auch eine Rolle bei anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Die aktuelle Studie gibt also Antworten und wirft gleichzeitig Fragen auf. Die Anzahl der Amyloidfibrillen in den Spermaproben weicht beispielsweise stark voneinander ab. Sind also Männer mit vielen „Stäbchen“ besonders effektive Überträger von HIV?
    In weiteren Versuchen wollen die renommierten AIDS-Forscher aus Ulm gemeinsam mit Doktoranden der Internationalen Graduiertenschule für Molekulare Medizin neue Methoden zur Quantifizierung der Fibrillen entwickeln sowie ihre Struktur und Funktion klären. Unterstützt werden sie dabei von Kollegen vor Ort – auch vom Ulmer Zentrum für Peptidpharmazeutika (UPEP) – und in aller Welt. Die aktuelle Studie wurde von der Volkswagen-Stiftung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert – unter anderem mit Mitteln aus Frank Kirchhoffs Leibniz-Preis. Zudem ist Erstautor Shariq Usmani Mitglied der DFG-Nachwuchsakademie OFFSPring. Die verwendeten Proben stammten aus Ulm und aus den Vereinigten Staaten.

    Usmani, S. M. et al. Direct visualization of HIV-enhancing endogenous amyloid fibrils in human semen. Nat. Commun. 5:3508. doi: 10.1038/ncomms4508 (2014).

    Weitere Informationen:
    Prof. Dr. Jan Münch: Tel. 0731/ 50065151/2
    Dr. Shariq Usmani (englisch): Tel.: 0731/ 50065170


    Weitere Informationen:

    http://www.nature.com/ncomms/2014/140401/ncomms4508/full/ncomms4508.html


    Bilder

    Die Ideengeber der Nature-Studie (v.l.): Dr. Shariq Usmani, Prof. Jan Münch und Prof. Frank Kirchhoff
    Die Ideengeber der Nature-Studie (v.l.): Dr. Shariq Usmani, Prof. Jan Münch und Prof. Frank Kirchhof ...
    Foto: Eberhardt/Uni Ulm
    None

    Mikroskopische Aufnahme von Samenflüssigkeit mit Amyloidfibrillen (rot) und Virus (grün)
    Mikroskopische Aufnahme von Samenflüssigkeit mit Amyloidfibrillen (rot) und Virus (grün)
    Abbildung: Usmani
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Chemie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Die Ideengeber der Nature-Studie (v.l.): Dr. Shariq Usmani, Prof. Jan Münch und Prof. Frank Kirchhoff


    Zum Download

    x

    Mikroskopische Aufnahme von Samenflüssigkeit mit Amyloidfibrillen (rot) und Virus (grün)


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).