Drei Fragen an den Augsburger Wirtschaftsinformatiker und Mobile-Business-Pionier PD Dr. Key Pousttchi aus Anlass der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Jaron Lanier
Augsburg - Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2014 geht an den amerikanischen Informatiker, Musiker und Schriftsteller Jaron Lanier. Er gilt als früher Pionier der "Virtual Reality", seit er Anfang der 1980er Jahre im Atari-Forschungslabor an Spielen gearbeitet hat, die über einen Datenhandschuh gesteuert wurden und später mit seinem Unternehmen VPL Research für die NASA arbeitete und auch den ersten kommerziell verfügbaren Datenhandschuh entwickelte. Insbesondere in den Büchern "You are not a gadget" (2010) und "Who owns the future?" (2013) entwirft der Visionär Lanier häufig dunkle Zukunftsszenarien, wie Technologie sich auf die Menschheit auswirken könnte. Wieviel Angst vor der digitalen und virtuellen Zukunft müssen wir haben? Drei Fragen hierzu an einen, der die digitale Zukunft erforscht: PD Dr. Key Pousttchi, Leiter der Forschungsgruppe wi-mobile an der Universität Augsburg.
Wenn man die Bücher von Jaron Lanier liest, kann es einem Angst und Bange werden. Wieviel Realität steckt in Szenarien, in denen durch IT-Einsatz Massenarbeitslosigkeit bis zur oberen Mittelschicht – etwa von Herzchirurgen, die durch Nanoroboter in der Blutbahn des Patienten ersetzt werden – vorhergesagt wird oder Menschen verdursten, weil sie sich kein teures Trinkwasser mehr leisten können, und ihnen als Alternative günstige Unterhaltungsdienste während des Sterbens angeboten werden?
Pousttchi: Lassen Sie mich vorab sagen: Ich freue mich sehr über die mutige und unkonventionelle Entscheidung, den Preis an Jaron Lanier zu geben. Er selbst bezeichnet sein Werk als "non-narrative science fiction" und seine Zukunftsszenarien sind natürlich zugespitzt. Gleichzeitig muss man aber in Rechnung stellen, dass hier ein Autor schreibt, der nicht nur die Technologie sehr gut kennt, sondern auch seit vielen Jahren intensiv über ihre Folgen nachdenkt. So fantastisch, grotesk und auch beängstigend seine Visionen manchmal anmuten mögen: Er denkt nur die existierende Technologie und ihre Folgen in Wirtschaft und Gesellschaft konsequent einige Jahrzehnte weiter. Das macht die wesentliche Qualität seines Werkes aus: Seine Szenarien sind eben gerade nicht aus der Luft gegriffen.
Wie weit sind wir auf dem Weg dahin?
Pousttchi: Ich hoffe, dass wir gar nicht auf dem Weg zu solchen Szenarien sind. Auch Jaron Lanier hofft das. Er lässt uns in eine Zukunft schauen, die uns nicht gefällt, damit wir erkennen, dass wir so nicht weitermachen sollten. So unklar seine Zukunftsvisionen für die Zeit in 50 Jahren erscheinen mögen, so klar wird die Sache, wenn Sie vom anderen Ende aus schauen. Machen wir es mal eine Nummer kleiner und werfen einen Blick in mein Forschungsgebiet, insbesondere auf Smartphones und Big Data. Als Wirtschaftsinformatiker bin ich ja mit meiner Prognose auf 5 bis 20 Jahre schon sehr mutig, aber wenn Sie mit der Analyse tief genug ansetzen, können Sie die Puzzleteile relativ gut zusammensetzen:
Wenn Sie sich fragen, was Ihr Smartphone heute schon alles über Sie weiß und was mit diesen Daten möglich wäre, haben Sie eine gute Prognose für 2020. Wenn Sie dann noch die sich durch diese Daten ändernden Machtverhältnisse in den Wertschöpfungsnetzen und Industrien einbeziehen, sind Sie im Jahr 2025 bis 2030, dann sehen wir auch erhebliche Auswirkungen auf die Volkswirtschaften. Wir nennen das zusammengefasst den "Megatrend Mobile". Wenn Sie das dann nochmal 20–30 Jahre weiterdenken, sind Sie in gerader Linie bei den Szenarien von Jaron Lanier.
Von der Veränderung, die die derzeit aktuellen Technologien in Wirtschaft und Gesellschaft bewirken werden, haben wir bei Smartphones bisher etwa 10 Prozent gesehen, bei Drohnen, 3D-Druck und Augmented/Virtual Reality noch weniger. Zu wenige Menschen machen sich wirklich systematisch und tiefgehend Gedanken, wohin der Weg führt, wenn wir das System so lassen wie es ist. Das mit einem langen Zeithorizont zu tun und uns alle vor Fehlentwicklungen zu warnen, ist das große Verdienst des Visionärs Jaron Lanier. Das mit einem kurzen bis mittleren Zeithorizont zu tun und Lösungsvorschläge für eine positive Zukunft zu machen, ist eine der großen Herausforderungen für die Wirtschaftsinformatik als Wissenschaft.
Bei seiner Laudatio anlässlich der Preisverleihung ließ Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, es an klaren Worten nicht mangeln. Er sprach davon, dass unsere Daten nicht nur in die Hände einiger Weniger gehörten, dass die Sammlung und Kontrolle all unserer Daten "systemwidrig" sei und dass Standards denkbar seien, bei denen die Europäer mitbestimmen, um Dinge wie Vergütung, Privatsphäre und auch den Schutz derjenigen, die ihre Daten nicht offenlegen wollten, anders zu regeln als bisher. Wie realistisch ist das?
Pousttchi: Lassen Sie es mich mal mit der Mischung zweier Sprichworte versuchen: "Gut gebrüllt, Löwe – allein mir fehlt der Glaube". In seiner Analyse einiger der aktuellen Probleme hat der Präsident des Europäischen Parlaments durchaus Recht. Was aber fehlt, und naturgemäß auch in der Analyse des Amerikaners Lanier fehlt, ist eine kritische Betrachtung der Rolle Europas.
Denn im Moment gibt es nicht viele Gründe, warum irgendjemand in der Welt auf die Befindlichkeiten einiger Europäer Rücksicht nehmen sollte. Sehen wir einmal davon ab, dass sich sowohl die Nationalstaaten als auch die Europäische Union selbst sehr eifrig und wohlwollend in verschiedenen Bereichen am Spiel der Datensammelei und
-weitergabe beteiligen. Sehen wir weiterhin davon ab, dass es hierzu in den einzelnen Staaten der Europäischen Union durchaus unterschiedliche Meinungen gibt – die Briten sehen das beispielsweise mehrheitlich ganz anders.
Dann gibt es immer noch ein sehr hässliches Hindernis auf dem Weg zur Mitbestimmung: Europa ist gerade dabei, sich aus diesem Bereich der Hochtechnologie zu verabschieden. Wenn wir etwa die Firmen aufzählen, die so querschnittliche Endkundendaten besitzen, dass sie Big-Data-Analysen auf der obersten Ebene fahren können, landen wir bei fünf: Apple, Google, Facebook, eBay/PayPal und Amazon (abgekürzt: AGFEA). Welches davon war noch gleich das europäische Unternehmen?
Nun kann man sagen: Europa wird jetzt die Verbraucherzentrale der Welt. Aber das ist eine Verliererstrategie. Schon weil die EU in einigen Jahren auf eine digitale Krise zusteuert, die das Ausmaß der Finanzkrise weit in den Schatten stellen und Europa Millionen von Arbeitslosen bescheren wird, beginnend bei Handel, Banken und Versicherungen.
Die Probleme der Digitalisierung lösen Sie nicht durch ein bisschen europäische Regulierung, einen Ethikrat oder den Ruf nach den Gerichten wie im Fall "Uber". Das lösen Sie nur, wenn Europa jetzt ohne jede Verzögerung seine Kräfte bündelt, um im digitalen Raum nicht abgehängt zu werden. Nur wer mitspielt, wird auch ernstgenommen und kann mitbestimmen. Ich freue mich darauf, zu sehen, was Martin Schulz diesbezüglich unternimmt. Und auch auf die Agenda des neuen EU-Digitalkommissars Günther Oettinger bin ich sehr gespannt!
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Zur Person: Der Wirtschaftsinformatiker PD Dr. Key Pousttchi gründete 2001 die Forschungsgruppe wi-mobile. Der Augsburger Mobile-Business-Pionier forscht seit mehr als 12 Jahren in diesem Bereich und ist international einer der führenden Forscher. Sein neues Buch "Megatrend Mobile - wie Smartphones uns und unsere Welt wirklich verändern werden" erscheint 2015.
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Pressekontakt:
PD Dr. Key Pousttchi
Forschungsgruppe wi-mobile
Universität Augsburg
86135 Augsburg
Telefon +49 (177) 6319508
key.pousttchi@wi-mobile.de
Die Forschungsgruppe wi-mobile im Web:
http://www.wi-mobile.de
PD Dr. Key Pousttchi
Foto: Klaus Satzinger-Viel
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Deutsch
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