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17.09.2003 13:55

Erster deutscher Jugendgesundheitssurvey liegt vor

Dr. Gerhard Trott Medien und News
Universität Bielefeld

    Forschungsteam im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation befragt 23.000 Schülerinnen und Schüler in Deutschland nach ihrer gesundheitlichen Lage

    Immer mehr Schülerinnen und Schüler in Deutschland empfinden ihren Lebensalltag als anstrengend und stehen unter hohem Entwicklungsdruck. Sie reagieren darauf mit psychosomatischen, emotionalen Störungen und körperlichen Beeinträchtigungen. Jeder fünfte Jugendliche leidet heute unter kinder- und jugendpsychiatrisch relevanten Auffälligkeiten wie Verhaltens-, Aufmerksamkeits- oder emotionalen Problemen. Mädchen sind hier häufiger betroffen als Jungen. Ebenso viele Jugendlichen leiden zudem unter wiederholten psychosomatischen Beschwerden (wie z.B. Kopf- und Bauchschmerzen oder Einschlafstörungen). Das zeigt der erste deutsche Jugendgesundheitssurvey, der jetzt im Fachverlag Juventa, Weinheim, veröffentlicht wurde.

    Der allgemeine Gesundheitszustand und die körperliche Befindlichkeit wird von den Jugendlichen nach wie vor als relativ gut eingeschätzt. Immerhin 11% aber leiden unter chronischen Erkrankungen (Krebs, Herz-Kreislaufstörungen, Rheuma, Diabetes usw.) und Behinderungen. Allergische Erkrankungen haben nach den Ergebnissen in den letzten Jahren weiter zugenommen. Zählt man auch Heuschnupfen, Stauballergie und Allergien gegen Tierhaare und Federn hinzu, dann sind über ein Drittel aller Jugendlichen betroffen. Jeweils 7% leiden unter den schweren Erkrankungen Asthma und Neurodermitis. Weitere 7% der Jugendlichen sind übergewichtig.

    Der Hintergrund der sich verschlechternden Gesundheitssituation von Jugendlichen wird nach Auffassung des Wissenschaftlerteams unter der Leitung von Professor Dr. Klaus Hurrelmann von der Universität Bielefeld in den zunehmenden Belastungen durch schulische Anforderungen, im Zusammenhang mit den verunsichernden Ergebnissen der internationalen Vergleichsstudie PISA, gesehen.

    Dem deutschen Team gehören auch Professor Dr. Andreas Klocke (Frankfurt), Prof. Dr.Wolfgang Melzer (Dresden) und Dr. Ulrike Ravens-Sieberer (Berlin) an. Die Weltgesundheitsorganisation mit ihrem Regionalbüro Europa in Kopenhagen fördert seit vielen Jahren diese vergleichende Studie zum Gesundheits- und Krankheitsstatus von Jugendlichen. Seit acht Jahren gehört Deutschland zum Verbund "Health Behaviour in School-aged Children (HBSC)", dem inzwischen 35 Länder Europas und Nordamerikas sowie Israel angehören. Die Befragungen finden in allen 35 Ländern nach dem gleichen Mustern und mit einem identischen Erhebungsinstrumentarium statt.

    In Deutschland waren insgesamt 23.000 Schülerinnen und Schüler aus den Bundesländern Nordrhein Westfalen, Hessen, Sachsen und Berlin in die Befragung einbezogen. Die Daten bauen auf einer repräsentativen Zufallsstichprobe auf, die strukturtypisch für das ganze Bundesgebiet ist. Die Jugendlichen wurden nach ihrem gesundheitlichen Verhalten und der Einschätzung ihres Gesundheitszustandes gefragt. Zusätzlich wurden soziale Indikatoren aus den Bereichen Familie, Schule, Freundschaft und Freizeit einbezogen. Es waren mehrere hundert Schulklassen mit Schülerinnen und Schülern im Alter von 10 bis 17 Jahren beteiligt.

    Große Sorge bereitet dem Forschungsteam auch der steigende Konsum von Zigaretten und Alkohol. In den neunten Klassen gehören 26% der Jungen und 29% der Mädchen zu den täglichen Rauchern. Unter den 15-jährigen Schülerinnen und Schülern in Deutschland nimmt ein Viertel der Mädchen und mehr als ein Drittel der Jungen regelmäßig Alkohol zu sich, obwohl sie noch unter dem gesetzlichen Mindestalter für den Erwerb alkoholischer Getränke sind. Noch vor vier Jahren lagen die Werte deutlich niedriger. Die Wissenschaftler führen diese Entwicklung auch auf die neuen Mixgetränke zurück, die mit intensiver Werbung am Markt durchgesetzt werden. Die Werbung zielt nach den vorliegenden Untersuchungen vor allem auf jüngere Jugendliche und Mädchen. Unter den 11-jährigen Jungen und Mädchen, die regelmäßig Alkohol trinken, sind inzwischen die Mixgetränke am beliebtesten und haben Bier, Wein und andere Spirituosen zurückgedrängt. Bei den 15-jährigen Mädchen sind ebenfalls die Mixgetränke beliebter als Wein und Spirituosen. "Die süßen Getränke mit moderatem Alkoholgehalt sind eindeutig zu den neuen Verführern zum Alkohol geworden", sagt dazu Professor Hurrelmann. "Sie dienen dazu, geschmackliche Vorbehalte gegenüber Alkohol abzubauen. Die Mixgetränke verschleiern durch ihre Zusammensetzung, nämlich die Kombination von Limonade und Spirituosen, den typischen Alkoholgeschmack. Die meisten Jugendlichen unterschätzen die Wirkungen, die mit dem intensiven Konsum solcher Getränke verbunden sind." Länder wie Frankreich und die Schweiz haben auf diese bedrohliche Entwicklung bereits mit einer Sondersteuer auf Mixgetränke reagiert. Nach Auffassung des HBSC-Wissenschaftlerteams sind solche Überlegungen auch für Deutschland aktuell.

    Während die Jugendlichen mit dem sozialen Klima in ihren Familien überwiegend zufrieden sind, empfinden sie sehr hohe Belastungen durch die Schule. Viele der Jugendlichen fühlen sich überfordert aufgrund der Leistungsanforderungen und machen sich große Sorgen über ihre berufliche Zukunft, die ihnen insbesondere in den weniger wohlhabenden Schichten nicht gerade optimal erscheint. Arbeitsklima und Beziehungsstile in den Schulen haben erheblichen Einfluss auf die psychische Gesundheit der Schülerinnen und Schüler. Kommt es zu dauerhaften Spannungen und Konflikten, steigen die Werte für psychosomatische Beschwerden. Besonders die von den Schülern eingeschätzte Unterrichtsqualität, die Unterstützung durch Mitschüler und die Schulfreude erweisen sich als kritisch. Empfinden die Schülerinnen und Schüler die Atmosphäre in Klassenzimmer und Schule als angespannt und unbefriedigend, dann weichen sie häufig in aggressives Verhalten oder in vermehrten Alkoholkonsum aus. Dieses nach außen gerichtete Bewältigungsverhalten zeigt sich vor allem bei den Jungen.

    Die Analysen des bisher erstmalig in Deutschland vorliegenden Jugendgesundheitssurveys sollen die Grundlage für die Verbesserung von Gesundheitsbildung und Gesundheitserziehung an Schulen und Jugendeinrichtungen in Deutschland bilden. Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die Belastungen, denen sich Jugendliche insbesondere durch den schulischen Erwartungsdruck ausgesetzt sehen, nicht nur zu einem eingeschränkten Leistungsvermögen und zu niedrigen Rangplätzen bei den internationalen Leistungsvergleichen führen, sondern auch zu Defiziten im Bereich der psychischen Gesundheit und einer Zunahme von psychosomatischen Beschwerden.

    Kontakt: Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, Telefon 0521/106 3834, Matthias Richter, Telefon 0521/106 3878.

    Für Belegexemplare wenden Sie sich bitte an den Juventa Verlag:
    Christiane Engel-Haas
    Tel. 06201/9020-18


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Pädagogik / Bildung
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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