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08.06.2004 15:30

Europawahlen für junge Deutsche trotz Europa-Verbundenheit kein Top-Thema

Dr. Kristin Beck Corporate Communications
International University Bremen (ab Frühjahr 2007: Jacobs University Bremen)

    Sozialwissenschaftler der International University Bremen (IUB) analysierten im Rahmen der internationalen Studie "Jugend und europäische Identität" die Gründe für die voraussichtlich geringe Wahlbeteiligung junger Menschen bei den kommenden Europawahlen.

    Am 13. Juni findet die größte Wahl der europäischen Geschichte statt: Das neu zu wählende Europäische Parlament vergrößert sich um 106 Abgeordnete und wird als gesetzgebendes und allgemeines Kontrollorgan sowie in EU-Haushaltsfragen erweiterte Kompetenzen wahrnehmen. Seine Bedeutung wird nicht zuletzt durch die Verabschiedung einer Europäischen Verfassung gestärkt werden. Allein in Deutschland werden 99 Parlamentarier von 63 Millionen wahlberechtigten Personen bestimmt.

    Trotz der zunehmenden Bedeutung des EU-Parlaments rechnen der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Boehnke und sein Mitarbeiter Dipl.-Soz. Daniel Fuss von der IUB für die anstehenden Wahlen mit einer unterdurchschnittlichen Beteiligung der deutschen Jungwähler. Neben einer geringen Wahlbeteiligung junger Menschen bei der letzten Europawahl 1999 deuten hierauf auch die jüngsten Auswertungen der Studie "Youth and European Identity" hin, für die die beiden Wissenschaftler bereits im Sommer 2002 repräsentative Befragungen in Bielefeld und Chemnitz durchführten.

    Das 2001 von der Europäischen Kommission mit dreijähriger Laufzeit in Auftrag gegebene Projekt wird von Forscherteams aus sechs Ländern (Deutschland, Großbritannien, Österreich, Spanien, Tschechien und der Slowakei) in zehn europäischen Städten durchgeführt und geht der Frage nach, inwieweit junge Erwachsene eine spezifisch europäische Identität empfinden und welche Bedeutung sie dem EU-Einigungsprozess zumessen.

    Hier 5 wichtige Ergebnisse zu den Gründen des weitreichenden EU-Wahl-Desinteresses deutscher Jugendlicher (Einzelheiten zu Untersuchungsbedingungen s. u.):

    1. Wahlintention bei Europawahlen deutlich geringer als bei Wahlen zu nationalen Parlamenten

    An den letzten Europawahlen 1999 hat sich nur jeder Dritte der 18- bis 25-jährigen Deutschen beteiligt. Zwar behauptet die Mehrheit der befragten Jugendlichen, sich an kommenden Europawahlen beteiligen zu wollen; im Vergleich zu den nationalen Wahlen ist diese Bereitschaft jedoch eher gering. Ungefähr jeder vierte Befragte, der bei der Bundestagswahl noch seine Stimme abgeben würde, verweigert die Teilnahme an Europawahlen. Auch im internationalen Vergleich schneiden die beiden deutschen Städte unterdurchschnittlich ab; nur in Madrid, Edinburgh und Manchester fällt die Wahlbereitschaft unter jungen Erwachsenen noch geringer aus (vergl. Abb. A).

    2. Eine starke europäische Identität ist für EU-Wahlbereitschaft nur bedingt relevant

    Obwohl sich die befragten Deutschen durch eine starke Europa-Identität auszeichnen - fast zwei Drittel von ihnen bezeichnen sich explizit als Europäer; ungefähr jeder Zweite fühlt sich stark oder sehr stark mit Europa verbunden - liegt die Bereitschaft zur Teilnahme an Europawahlen unter Jugendlichen mit hoher Europa-Identifikation nur 12 %-Punkte höher, als unter den übrigen Jugendlichen.

    3. Generelles politisches Interesse und Politikverdrossenheit haben starken Einfluss auf EU-Wahlbereitschaft

    Eine aktive Kommunikation über Politik erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Wahlteilnahme: Ungefähr die Hälfte der jungen Deutschen spricht öfters mit Freunden oder der Familie über politische Themen im Allgemeinen. Von diesen Personen kündigen mehr als 70 % ihre Teilnahme an den Europawahlen an. Dagegen sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Wahlbeteiligung deutlich, je eher eine Person glaubt, dass: (a) es egal ist, welche Partei gerade regiert, (b) man keinen Einfluss darauf hat, was die Regierung tut und (c) es wenig Sinn macht, sich an Wahlen zu beteiligen. Eine solche Auffassung äußern etwa 30% der Befragten. Von diesen beabsichtigen nur 35 %, zur Europawahl zu gehen.

    4. Generelles "staatsbürgerliches Pflichtgefühl" als Ursache für Wahlbereitschaft

    Auf der anderen Seite sieht knapp die Hälfte (48 %) der Befragten in der Teilnahme an politischen Wahlen eine "moralische Verpflichtung". In dieser Gruppe ist die Wahlbereitschaft überdurchschnittlich (78 %) hoch, unabhängig davon, ob es sich um Stadtrats-, Landtags-, Bundestags- oder Europawahlen handelt.

    5. Fehlendes Wissen, Desinteresse und mangelnde Relevanz als Ursache für geringe Wahlintension

    Bei der Analyse der persönlichen Interviews wird deutlich, was junge Menschen vor allem von einer Teilnahme an Europawahlen abhält: fehlende Informationen über die Wahl an sich, über die zur Wahl stehenden Kandidaten, die Positionen der Parteien sowie die Aufgaben des Europäischen Parlaments. Die weit verbreitete Unkenntnis wiederum steht in enger Beziehung zu einem geringen Interesse an der Politik der EU. Diese wird im Vergleich zur nationalen Politik häufig als zu weit weg, zu abstrakt, zu wenig transparent und kaum relevant für das eigene Leben charakterisiert. Entsprechend sind die Wahlen zum deutschen Bundestag sowie lokale und regionale Wahlen in den Augen der Jugendlichen wichtiger.

    Bei den vorgestellten Ergebnissen handelt es sich nur um einen Ausschnitt der bisher durchgeführten Analysen. Für die jungen Erwachsenen in Bielefeld und Chemnitz zeichnet sich jedoch ein Bild ab, demzufolge die hohe Identifikation mit Europa nur in Ausnahmefällen mit den politischen Institution der EU oder des Europäischen Parlaments verknüpft ist. Vielmehr begründet sich diese Identifikation vor allem auf die pragmatischen Vorteile des Reisens und der internationalen Mobilität einerseits sowie den Status als EU-Bürger andererseits.

    Ergänzende Informationen zur Studie "Youth and European Identity":

    Für die Studie wurden im Sommer 2002 in allen Teststädten jeweils 400 zufällig ausgewählte Personen im Alter von 18 bis 25 Jahren befragt. Für die Erhebung ausgewählt wurden Städte, die unterschiedliche Regionstypen repräsentieren: Chemnitz und Bielefeld für Deutschland, Edinburgh und Manchester für Großbritannien, Bregenz und Wien für Österreich, Bilbao und Madrid für Spanien; die beiden neuen EU-Beitrittsländer Tschechien und Slowakei sind durch Prag und Bratislava vertreten. Zur Vertiefung der Umfrage-Ergebnisse wurden im Frühjahr 2003 pro Teststadt jeweils 25 ausgewählte Befragungsteilnehmer in persönlichen Tiefeninterviews noch einmal gezielt zu ihren Einstellungen zu Europa befragt.

    Fragen beantworten:

    Dipl.-Soz. Daniel Fuß
    International University Bremen
    Tel.: 0421-200 3403
    E-Mail: d.fuss@iu-bremen.de
    IUB-Webpage: www.iu-bremen.de/directory/faculty/27370

    Prof. Dr. Klaus Boehnke
    Professor of Social Science Methodology
    International University Bremen
    Tel.: 0421-200 3401
    E-Mail: k.boehnke@iu-bremen.de
    IUB-Webpage: www.iu-bremen.de/directory/faculty/01522

    Mehr zur Studie "Jugend und europäische Identität" (Youth and European Identity) im Internet:

    http://www.sociology.ed.ac.uk/youth/
    http://idw-online.de/public/pmid-67634/zeige_pm.html


    Weitere Informationen:

    http://www.sociology.ed.ac.uk/youth/
    http://idw-online.de/public/pmid-67634/zeige_pm.html


    Bilder

    Bereitschaft junger Europäer zur Teilnahme an europäischen und nationalen Parlamentswahlen
    Bereitschaft junger Europäer zur Teilnahme an europäischen und nationalen Parlamentswahlen

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Pädagogik / Bildung, Politik, Psychologie, Recht
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Bereitschaft junger Europäer zur Teilnahme an europäischen und nationalen Parlamentswahlen


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