Trotz atomarer Abrüstungsinitiativen hält der Trend zur konventionellen Hochrüstung weltweit an
Im Jahresbericht 2008 / 2009 begrüßen Experten des BICC (Internationales Konversionszentrum Bonn) die neuen Abrüstungsinitiativen im atomaren Bereich. Dennoch belegen die Zahlen der Friedensforscher, dass der Trend zur Hochrüstung im konventionellen Bereich ungebrochen ist. Auch in der Bundesrepublik haben Verteidigungsetat und Rüstungsexporte ein hohes Niveau. Als Besorgnis erregend bezeichnen die BICC-Experten, dass die Schere zwischen Militärausgaben und Aufwendungen für die Entwicklungszusammenarbeit sich dabei immer weiter öffnet.
"Präsident Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt weist in die richtige Richtung. Doch auch die ständig steigenden globalen Militärausgaben gehören dringend auf die abrüstungspolitische Agenda", fordert Peter J. Croll, Direktor des BICC.
Der BICC-Jahresbericht belegt: Auch 2007, dem letzten Jahr für das umfassende Daten vorliegen, setzte sich der seit Mitte der 1990er Jahr anhaltende Anstieg der weltweiten Militärausgaben weiter fort. Die Ausgaben beliefen sich für dieses Jahr auf insgesamt 1.339 Milliarden US-Dollar, was real (also inflationsbereinigt) eine Zunahme um sechs Prozent gegenüber 2006 und um 45 Prozent seit 1998 bedeutet.
"Die Militärausgaben der USA bleiben im internationalen Bereich einsame Spitze", erläutert Croll. "Die Zahlen verheißen keinen 'Change' in der US-Politik, sondern ganz im Gegenteil." Mit fast 580 Milliarden US-Dollar machte der US-Anteil knapp 45 Prozent der gesamten weltweiten Militärausgaben 2007 aus. Der Grundetat des Pentagon für 2009 ist - inflationsbereinigt - der größte seit Ende des Zweiten Weltkrieges und damit höher als zu jedem Zeitpunkt des Kalten Krieges. Der Haushaltsentwurf der Obama-Regierung für 2010 sieht erneut eine reale Steigerung um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr vor.
Absolut gesehen folgten den USA in der Rangordnung China (140 Milliarden US-Dollar), Russland (78,8 Milliarden US-Dollar), Indien (72,2 Milliarden US-Dollar) und das Vereinigte Königreich (54,7 Milliarden US-Dollar) als Länder mit dem höchsten Ressourceneinsatz für die Streitkräfte. Hohe Zuwachsraten verzeichnen auch Schwellenländer im asiatischen Raum wie etwa Indonesien und Malaysia.
Deutsche Rüstungsausgaben und -exporte erreichen neuen Höchststand
"Der Verteidigungsetat der Bundesrepublik legt seit 2006 kontinuierlich zu", analysiert Marc von Boemcken, Projektleiter Rüstungsdaten. Nach einer Steigerung um 1,7 Milliarden Euro von 2008 auf 2009 hat er nun mit rund 31,2 Milliarden Euro einen neuen Höchststand erreicht. Ein großer Teil der deutschen Militärausgaben, nämlich 5,3 Milliarden Euro, ist für die Beschaffung neuer Waffensysteme vorgesehen. Damit haben die Investitionen für den Erwerb neuer Waffen um 25 Prozent gegenüber 2007 zugenommen. Nach der im Oktober 2008 vom Bundestag beschlossenen Verstärkung der deutschen Truppen in Afghanistan von 3.500 auf 4.500 Mann ist davon auszugehen, dass auch die Ausgaben für Auslandseinsätze der Bundeswehr, die sich 2007 auf 911 Millionen Euro beliefen, in den kommenden Jahren weiter ansteigen werden.
Deutschland gehört in Bezug auf den weltweiten Waffenhandel zu den führenden Nationen. Laut dem letzten Rüstungsexportbericht der Bundesregierung belief sich der Gesamtwert der erteilten Ausfuhrgenehmigungen für deutsche Rüstungsgüter 2007 auf 8,7 Milliarden Euro, was einen Anstieg um eine Milliarde Euro gegenüber 2006 bedeutet. Der Wert von genehmigten Rüstungslieferungen in Länder, die mindestens vier der EU-Kriterien für Rüstungsexportkontrolle nicht erfüllen, hat im Jahr 2007 zugenommen, nämlich von 157,70 Millionen (2006) auf 203,4 Millionen (2007). "Zu den problematischsten Empfängerländern gehören hier vor allem Oman, Ägypten und Angola", betont von Boemcken und verweist auch auf bedenkliche Lieferungen nach Pakistan (163,8 Millionen Euro), Singapur (126,3 Millionen Euro), Indien (89,9 Millionen Euro) und Malaysia (80,4 Millionen Euro).
Die Schere zwischen Rüstungs- und Entwicklungsausgaben öffnet sich weiter
Fast 70 Prozent der weltweiten Militärausgaben - also etwa 920 Milliarden US-Dollar - entfielen 2007 auf die 30 Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Dagegen wendeten diese Staaten im gleichen Jahr nur knapp über 100 Milliarden US-Dollar für die Entwicklungs-zusammenarbeit auf. "Das Verhältnis zwischen Investitionen in die Rüstung gegenüber denen in die Entwicklung liegt bei 9 zu 1. Diese Schere, die in den letzten Jahren immer weiter auseinander gegangen ist, ist besorgniserregend", kritisiert Peter J. Croll.
Neue Untersuchungen zur staatlichen Militarisierung
Mit der Bedeutung des Militärs eines Staates im Verhältnis zur Gesellschaft als Ganzes beschäftigt sich der Globale Militarisierungsindex (GMI), den das BICC in seinem Jahresbericht zum ersten Mal vorstellt. Der GMI setzt z.B. Militärausgaben eines Landes ins Verhältnis zu seinem Bruttoinlandsprodukt (BIP) sowie seinen Aufwendungen für die medizinische Versorgung. Er stellt die Gesamtzahl militärischer und paramilitärischer Kräfte eines Landes der Zahl seiner Ärzte gegenüber. Schließlich untersucht er die Menge an schweren Waffen, die den Streitkräften eines Landes zur Verfügung stehen.
"Eine hohe GMI-Einstufung kann auf schwere Unzulänglichkeiten in der Regierungsführung hinweisen", erklärt Marc von Boemcken. Ein Beispiel dafür ist Eritrea, das nach Maßgabe aller Kriterien das am stärksten militarisierte Land der Welt ist und mehr als 20 Prozent seines BIP für die Streitkräfte aufwendet - im Vergleich zu lediglich 3,7 Prozent für die öffentliche Gesundheitsversorgung. "Angesichts der extremen Armut Eritreas, die sich im geringen Niveau der menschlichen Entwicklung widerspiegelt, ist dieses Missverhältnis zwischen Militär- und Sozialausgaben als höchst problematisch anzusehen", betont von Boemcken.
Die Friedensforscher hoffen, dass sich der GMI zum Hilfsmittel für Länderbewertungen für die Entwicklungszusammenarbeit und Außenpolitik ebenso wie für die weitere Forschung auf dem Gebiet der Regierungsführung im Sicherheitsbereich entwickeln wird.
Das BICC (Bonn International Center for Conversion - Internationales Konversionszentrum Bonn) wurde 1994 mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) als gemeinnützige GmbH gegründet. Es gehört zu den fünf führenden Friedens- und Konfliktforschungsinstituten Deutschlands. Auf Grundlage von anwendungsorientierter Forschung leistet es Beratungstätigkeit, gibt politische Empfehlungen und bildet aus.
Weitere Informationen:
Susanne Heinke, Tel.: 0228/911 96-44
http://pr@bicc.de
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Politik
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Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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