Gelehrsamkeit war nie ein unumstrittenes Ideal akademischer Existenz, wie beispielsweise schon die Einsprüche in Descartes’ Discours de la méthode zeigen. Was die heutige Verfasstheit der Wissenschaften betrifft, ist Gelehrsamkeit um 1900 in ganz verschiedene Bereiche diffundiert. Mit dem Auszug der Mathematik, der Natur- und Technikwissenschaften aus der Philosophischen (bzw. aus der Medizinischen) Fakultät, der einherging mit einer Szientifizierung auch der Geisteswissenschaften, erhielten Expertentum und fachliche Spezialisierung eine Bedeutung, die ihnen im Jahrhundert der ‚Höheren Kritik‘ (Erhard Schüttpelz) so noch nicht unbedingt zukam. Ob es indes zutreffend ist, aus diesen Entwicklungen eine Verfallsgeschichte zu konstruieren, muss dahingestellt bleiben.
Weiterführend mag es hingegen sein, das Verhältnis von Kennerschaft und Expertentum zu untersuchen, die nach einer Beobachtung Ernst Osterkamps im Zuge der disziplinären Konsolidierung der Kunst- bzw. Literaturwissenschaft auseinandertreten. In den sich in der Folge entwickelnden akademischen Fächern spielt Gelehrsamkeit eine zentrale Rolle vor allem als Ideal in den Geisteswissenschaften, die in diesem Workshop im Zentrum des Interesses stehen.
Auf dem Workshop fragen wir danach, ob Gelehrsamkeit gegenwärtig tatsächlich so obsolet ist, wie sie geworden zu sein scheint. Zunehmende Spezialisierungen der Forschung, aber auch in die Hermetik führende Wege gesteigerter Szientifität lassen nicht nur mit Blick auf Geltungspotentiale von Wissenschaft, sondern auch unter Adäquatheitsgesichtspunkten Defizite erkennen: Holistische Betrachtungen jedenfalls versprechen – übrigens nicht nur in den Geisteswissenschaften –, das ‚ganze Bild‘ zu geben. Fraglich erscheint jedoch, ob, und wenn ja, welche Form der Gelehrsamkeit Voraussetzung für das erkenntnisträchtige Zusammenwirken einzelner Wissenschaftler*innen ist, das dem aus der Ökonomie entnommenen Modell der Arbeitsteilung folgt. Darüber hinaus lassen sich auf den Feldern der Ethnologie, der historischen Anthropologie, aber auch einer weit verstandenen Soziologie Wiedergänger der Gelehrsamkeit entdecken, die das Ideal einer über Einzeldisziplinen hinausgehenden Gelehrsamkeit methodisch kontrolliert und theoretisch reflektiert in Praxis umzusetzen versprechen. Schließlich sind die Felder kultureller Produktivität auszumessen, die in engerem Anschluss an akademische Disziplinen Residuen von Gelehrsamkeit bilden: Zu denken ist hierbei insbesondere an erzählende Literatur, und dabei insbesondere an Genres wie die ‚theory novel‘, die in hohem Maße auf Kenntnis ihrer (gelehrten) Referenzen setzen.
Der Workshop soll historische, praxeologische und philologische Perspektiven verbinden und dabei sowohl nach der Figur der und des Gelehrten fragen, sowie nach den Institutionen, die diese Figuren hervorgebracht haben und eventuelle heute noch hervorbringen können. Uns interessieren Schreibweisen, in denen derzeit Gelehrsamkeit zum Ausdruck kommt oder nur formal performt wird. Der Status von Gelehrsamkeit changiert heute in Auseinandersetzungen über die Zukunft der Geisteswissenschaften zwischen ihrem Status als Idealfiktion oder als Feindbild.
Diesem spannungsvollen Verhältnis stellen wir uns in der Diskussion acht Beiträgen. Diese Beiträge in einer Länge von ca. 10 Seiten werden eine Woche vor dem Termin präzirkuliert und vor Ort nur mittels kurzer Impulse von fünf Minuten eingeführt und einer/einem anderen Teilnehmenden kommentiert.
Organisation
Hanna Engelmeier, KWI
Maximilian Benz, Universität Tübingen
Information on participating / attending:
Anmeldung & Teilnahme
Eine Teilnahme ist nach Voranmeldung bei hanna.engelmeier@kwi-nrw.de möglich, Anmeldeschluss ist der 12.01.2026.
Date:
01/22/2026 - 01/23/2026
Registration deadline:
01/12/2026
Event venue:
Gartensaal, Kulturwissenschaftliches Institut Essen (KWI), Goethestraße 31
45128 Essen
Nordrhein-Westfalen
Germany
Target group:
Scientists and scholars
Email address:
Relevance:
transregional, national
Subject areas:
Cultural sciences, Language / literature, Philosophy / ethics, Social studies
Types of events:
Seminar / workshop / discussion
Entry:
07/30/2025
Sender/author:
Anna Abbenhaus
Department:
Pressestelle
Event is free:
yes
Language of the text:
German
URL of this event: http://idw-online.de/en/event79752
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