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Event


07/10/2006 - 07/12/2006 | Berlin-Mitte

Konferenz: "Das Nachleben der Toten im Erbe" am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin

Eine Veranstaltung des Forschungsprojekts "Erbe, Erbschaft, Vererbung. Überlieferungskonzepte zwischen Natur und Kultur im historischen Wandel"

Teilnehmer u.a.: Thomas Carlson, Robert Harrison, Ulrike Langbein, Kristin Marek, Claudia Wiesemann

Das Forschungsprojekt "Erbe, Erbschaft, Vererbung. Überlieferungskonzepte zwischen Natur und Kultur im historischen Wandel" untersucht 'Erbe' als ein die kulturellen, materiellen, rechtlichen, sozialen und biologischen Dimensionen der Überlieferung bündelndes Konzept, das in historisch jeweils spezifischer Weise den Umgang der Lebenden mit den Toten artikuliert und organisiert. Im Zusammenhang dieses Projekts soll die Arbeitstagung die Frage klären, inwiefern das Konzept des Todes und der Status der Toten die Vorstellung von Erbe beeinflusst.

Für das Erbe ist der Tod konstitutiv und damit die Grenze zwischen Leben und Nichtleben - während das Erbe zugleich das Nachleben der Toten reguliert: als Überschreitung einer starren Grenze zwischen Toten und Lebenden. Dabei ist Nachleben nicht nur eine 'Fortexistenz' der Toten, sondern ist i.S. Warburgs als Transformation, als Nichtvergehen der Vergangenheit und als deren Fortwirkung in unvorhersehbare Richtungen zu verstehen. Dennoch ist die Grenze zwischen Tod und Leben ein Faktum, das in seiner kulturellen und historischen Dimension zu erforschen ist.
Für eine Erforschung der wechselnden Funktionen des Todes stellt die Hypothese einer Zäsur zwischen Vormoderne und Moderne eine zentrale Annahme dar: Während vormoderne Gesellschaften von einer sowohl die Lebenden als auch die Toten umfassenden 'Gemeinschaft der Gläubigen' geprägt gewesen seien, durch die auch Erbe-Konzeptionen religiös vermessen und in den Rahmen der Memorialkultur eingepasst worden seien, finde in der Moderne ein Austausch allein unter Lebenden statt. Allerdings sind in der Forschung sehr unterschiedliche Vorschläge für eine Datierung der Umbrüche im Verhältnis zwischen Toten und Lebenden gemacht worden, die die Arbeitstagung erörtern möchte. Einer dieser Vorschläge setzt diese Datierung um 500 mit der Durchsetzung des Christentums in Europa an, die zur Folge gehabt habe, dass die Herschreibung des Individuums aus den verstorbenen Vorfahren nicht mehr prämiert werde. Aber auch für die Zeit um 1500 wird behauptet, dass etwa in theologischer Hinsicht - im Zuge der Reformation - sowie in hygienischer bzw. städtebaulicher Hinsicht - Friedhofsverlegungen aus den Stadtmauern heraus - eine Ausgrenzung der Toten vollzogen worden sei. Eine weitere Zäsur wird für die Zeit um 1800 gesetzt, wenn im Zusammenhang der Verzeitlichung, Modernisierung und Futurisierung des Lebens die Toten ihren Status als Rechtssubjekt verlieren, als geschichtsphilosophische Bezugsgrößen verabschiedet werden und als Inbegriff des Abgelebten (auch in der politischen Rhetorik) erscheinen. Im Zuge dessen werden um 1800 die Erbekonzeptionen - insbesondere im Zusammenhang mit der Etablierung der Biologie und der Formulierung 'bürgerlicher' Rechtsvorstellungen - naturalisiert und futurisiert, und der Wille des Toten sowie die Regulierung seines Gedenkens verlieren gegenüber der Sorge um den künftigen Umgang mit dem materiellen Erbe wesentlich an Bedeutung, auch wenn erbrechtliche Bestimmungen über die Toten definiert werden.
Die Vielzahl der vorgeschlagenen Umbrüche fordert nicht zuletzt die geläufige Vorstellung von der vormodernen Memoria als ein alle Lebensbereiche erfassendes, 'totales soziales Phänomen' heraus. Und dennoch ist für das 18. Jahrhundert ein grundlegender Wandel anzusetzen: Erst jetzt wird menschliche Gemeinschaft allein eine Gemeinschaft der Lebenden, die ihren Toten keinen sozialen Status mehr zubilligt. Allerdings ist um 1800 eine "Dialektik der Aufklärung" zu konstatieren: Die Bannung der Toten schließt ihre Aufwertung (als unheimlicher Wiedergänger, als musealisiertes und damit kulturell aufgewertetes Objekt) ein. Doch je stärker die Toten und ihre letzten Worte ermächtigt werden, umso mehr müssen die Toten tot sein und bleiben. Anders herum formuliert: Wenn den Toten ein Nachleben abgesprochen wird, dann kehren sie als angsterregende Gespenster zurück. In diesem Sinne lassen sich Konzept und Praktiken des Erbes - gerade auch in modernen Gesellschaften - als Totenbannung und als Totenkult verstehen. Es gilt also auch nach den historischen und kulturellen Veränderungen von Phänomenen des Wiedergängertums sowie der Vorstellung eines Zwischenreichs zwischen Leben und Tod zu fragen.

Anstelle chronologisch geordneter Erklärungen bzw. Historiographien (Geschichte des Todes) soll nach den Funktionszusammenhängen gefragt werden, in denen die Toten bzw. das Nachleben der Toten stehen. Dafür sind vier Sektionen vorgesehen.

1. Der Ort der Toten im Verwandtschafts- und Sozialsystem
Die Erforschung intergenerationeller Übertragungen erfordert eine Historisierung der Verwandtschaftssysteme, in deren Rahmen sie sich vollziehen. Durch Verwandtschaft lassen sich alle Lebensbereiche organisieren - jedenfalls theoretisch, wenn auch nicht immer faktisch -, deren Funktionstüchtigkeit jede Gesellschaft von einer zur nächsten Generation übertragen muss (Zeugen und Gebären, Initiation und Lehre, Versorgung der Alten und Totensorge usw.). Die Familie ist einer der Schauplätze von Erbprozessen schlechthin. Sie stellt den sozialen und symbolischen Rahmen dar, in dem individuelle Statusidentität durch die Berufung auf Vorfahren gesichert werden soll. Betrachtet man die Geschichte des Erbrechts, so lassen sich immer wieder signifikante Bemühungen um eine Vermittlung von Familien- und Ehegattenerbrecht feststellen. So lässt sich hinsichtlich des Nachlebens etwa nach kulturellen Imaginationen verstorbener Väter fragen, auch im Sinne einer Konkurrenz der Verstorbenen zu den ihnen nachfolgenden zweiten Vätern in Fällen von Wiederverheiratung und Adoption.

2. Totensorge und Sepulkralkultur
Unterschiedliche Praktiken und Rhetoriken des abendländischen Totengedenkens materialisieren sich in Kulturtechniken des Bestattens, der Friedhofsarchitektur, der Beschriftung von Grabsteinen, in spezifischen Bildlogiken und Textgattungen. Dabei werden diese Kulturtechniken immer wieder zur Disposition gestellt, z.B. in der vielfältig motivierten Verlegung von Friedhöfen, die zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert konfessionell, regional und sozial übergreifend diskutiert wird. Dabei werden medizinische und theologische Aspekte von ökonomischen und sozialen überlagert. Auf diese Weise beeinflussen die Formen der Totensorge auch die des Erbes.

3. Totensorge und Geschichte des Leichnams
Das Nachleben der Toten hat auch eine physische Seite, die sich nicht allein in Bezug auf biomedizinische Vererbungstheorien untersuchen lässt. Denn von einem solchen Nachleben kann nicht ohne eine Definition des Todes bzw. des Todeszeitpunkts die Rede sein, wie sie die Aufgabe der Medizin ist, nicht nur auf der Ebene des Wissens, sondern auch der Praxis. Die Geschichte der Toderklärungen, das Problem der Scheintoten, bis hin zur aktuellen Debatte über Hirntod und Organtransplantation: aus all dem konstituiert sich ein medizinisches Feld der Verhandlungen zwischen Lebenden und Toten, das sich sowohl durch bestimmte Rhetoriken als auch durch ökonomische, kulturelle und rechtliche Interventionen und Imaginationen auszeichnet. So ist die Organ-'Spende' - insofern der Tote zum Tausch für sein Organ ein Nachleben im Empfänger des Organs erhält - als eine Ökonomie des Tausches zu untersuchen, die wiederum in Beziehung zur 'Jenseitsökonomie' zwischen Lebenden und Toten der Vormoderne gesetzt werden kann.

4. Memorialkultur und materielle Übertragung
Das Nachleben der Toten im Erbe findet sich z.B. in Erbstücken materialisiert, die durchaus unterschiedlichen Status gewinnen können, etwa als 'Heiligtum' einer Familie, das auch dann seine Macht und sein Eigenleben behält, wenn es abgelehnt oder verworfen wird. Ganz spezifische Medien der erblichen Übertragung sind Testamente, d.h. Schriften, in denen sich der 'letzte Wille', die 'letzten Worte' materialisieren und deren Geltungsanspruch die Grenze des Todes überschreitet. Neben der Sorge um das Seelenheil (bis in die Frühe Neuzeit) regeln sie auch die Übertragung spezifisch gearteter Materialitäten, wenn z.B. Geld mit seiner spezifischen Teilbarkeit, Konvertierbarkeit und seinem Zerstreuungsdrang mit Hilfe des Stiftungswesens zusammengehalten und festgeschrieben werden soll. Ähnliche Fragen werden aufgeworfen, wenn Kulturgüter als 'nationales Erbe' kollektiviert werden.

Information on participating / attending:
Wir bitten um formlose Anmeldung, Kontakt: (Tel) 20192-176 oder -173, (Fax) 20192-154, (Email) erbschaft@zfl.gwz-berlin.de

Date:

07/10/2006 - 07/12/2006

Event venue:

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
Einstein-Saal
Jägerstr. 22/23
10117 Berlin-Mitte
Berlin
Germany

Target group:

Scientists and scholars, Students

Relevance:

international

Subject areas:

Language / literature, Social studies

Types of events:

Entry:

02/15/2006

Sender/author:

Susanne Hetzer

Department:

Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZFL)

Event is free:

yes

Language of the text:

German

URL of this event: http://idw-online.de/en/event16310


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