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01/19/1998 00:00

Eiszeit im Computer

Johannes Bernreuter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

    Ein Durchbruch in der Klimaforschung ist einem Team am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gelungen. Weltweit erstmals konnte mit einem Klimamodell eine realistische Computersimulation des Klimas der letzten Eiszeit durchgeführt werden.

    Die Forscher nutzten ein in Potsdam entwickeltes neues Modell. Das damit berechnete Klima stimmt gut mit dem Bild der Eiszeit überein, das in den letzten Jahrzehnten aus verschiedenen Datenquellen gewonnen wurde. Damit konnte die Richtigkeit eines Klimamodells für ein Klima bestätigt werden, das erheblich vom heutigen abweicht. "Dies ist ein entscheidender Test für die Glaubwürdigkeit von Klimamodellen, auf die sich auch die Klimaabschätzungen für das nächste Jahrhundert stützen", bewertet der Leiter der Forschergruppe, Professor Martin Claußen, das Ergebnis. Die Eiszeitsimulation wurde in der jüngsten Ausgabe des britischen Wissenschaftsjournals Nature (Vol. 391, S. 350-356) veröffentlicht.

    Der Höhepunkt der letzten Eiszeit liegt rund 21.000 Jahre zurück. Damals lagen kilometerdicke Eismassen über Nordamerika und Nordeuropa. Die Eisdecke reichte bis nach Berlin hinunter; südlich davon erstreckte sich bis nach Frankreich hinein eine trockene, polare Steppe. Grund für die periodisch wiederkehrenden Eiszeiten sind kleine Schwankungen in der Erdbahn und damit Änderungen in der Sonneneinstrahlung. Wie allerdings die allmählichen und subtilen Veränderungen in der Verteilung der Sonnenwärme zu solch drastischen und rasch einsetzenden Vereisungsperioden führen konnten, ist ein nach wie vor ungelöstes Rätsel der Natur.

    Ein wichtiger Schritt zur Entschlüsselung ist jetzt dem Potsdamer Forscherteam gelungen. Mit ihrem Modell konnten sie zeigen, daß Änderungen der Meeresströme wesentlich zur Abkühlung des Klimas in der Eiszeit insbesondere in Europa beitrugen. Die gesamte Nordhalbkugel war ihren Rechnungen zufolge im Mittel um etwa 8,7 Grad kälter als heute, wobei
    eine mittlere Abkühlung um drei Grad allein durch die Verlagerung der Nordatlantikströme verursacht wurde. Einige Gebiete kühlten aufgrund der veränderten Strömung sogar um mehr als zwanzig Grad ab.

    Diese Verlagerung vollzog sich im Modell genau so, wie es bereits Geologen aus Sedimentbohrkernen für die Eiszeit rekonstruiert haben. "Die große Bedeutung der Meeresströme für das Klima wurde eindrucksvoll bestätigt", sagt Stefan Rahmstorf, federführender Autor der Veröffentlichung. Viele Klimaforscher befürchten, daß es im kommenden Jahrhundert durch die menschlichen Eingriffe in das Klimasystem wieder zur weiträumigen Verlagerung von Meeresströmen kommen könnte, mit Auswirkungen insbesondere auf Nordeuropa.

    Das Besondere an dem Modell ist, daß es die Strömungen in Ozean und Atmosphäre gemeinsam berechnet, und nicht - wie bislang - entweder nur die atmosphärische oder nur die ozeanische Zirkulation. Erst dadurch kann sich ein Klimagleichgewicht wirklich frei einstellen. Zwar gab es auch zuvor bereits gekoppelte Ozean-Atmosphären-Modelle, mit denen im Prinzip eine solche Eiszeitsimulation möglich wäre. Allerdings benötigen diese Modelle einen so großen Rechenaufwand, daß man selbst mit den schnellsten Supercomputern nur einige hundert Jahre simulieren kann - wegen der Trägheit der Ozeane zu wenig, um ein so stark vom heutigen Klima verschiedenes Klimagleichgewicht zu erreichen.

    In dem Potsdamer Modell wird nicht mehr das Wetter, also jedes einzelne Hoch- oder Tiefdruckgebiet, berechnet, sondern gleich die mittleren Klimaeigenschaften, zum Beispiel die mittlere Niederschlagsmenge eines Monats. Damit sind nun problemlos Simulationen von vielen tausend Jahren möglich. Zunächst nutzten die Forscher ihr neues Modell, um den heutigen Klimazustand (allerdings ohne die Eingriffe des Menschen) zu simulieren. Dies gelang mit guter Genauigkeit, ohne daß zu den in anderen Modellen erforderlichen Korrekturen bei der Kopplung von Atmosphäre und Ozean gegriffen werden mußte.

    Damit war der Weg frei für die Eiszeitsimulation: Hier schrieben die Forscher die vor 21.000 Jahren herrschende Sonneneinstrahlung vor, setzten die bekannten Eismassen auf die Kontinente und erniedrigten den Kohlendioxidgehalt der Luft auf den Eiszeitwert (der aus alten Luftblasen tief im Grönlandeis bekannt ist). Mit diesen Bedingungen ließen sie das Modell 5000 Jahre simulieren, bis sich ein neues Klimagleichgewicht eingestellt hatte.

    Dabei ergab die Simulation aus Potsdam, daß die bodennahe Atmosphäre im globalen, langjährigen Mittel auf dem Höhepunkt der Eiszeit um 6,2 Grad Celsius kälter war als im modernen Klima. Die Nordhalbkugel war dabei etwa 8,7 Grad Celsius kälter als heute, während die Südhalbkugel sich nur um 3,6 Grad abkühlte. Die Ergebnisse stimmen gut mit rekonstruierten Temperaturdaten überein, die man zum Beispiel aus Bohrkernen des Grönlandeises, aus der Verteilung von Pollen von Bäumen und Gräsern oder aus den Jahresringen von tropischen Korallen gewonnen hat.

    Details der Veröffentlichung:
    Ganopolski, A., S. Rahmstorf, V. Petoukhov and M. Claussen: Simulation of modern and glacial climates with a coupled global climate model, in: Nature, Volume 391, pages 350-356, 22 Jan 1998.

    Die Autoren:
    Andrey Ganopolski ist Spezialist für die Computersimulation der Ozeane und des Klimasystems. Bevor er im August 1994 zum PIK kam, arbeitete er am International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA, Wien) und am Computerzentrum der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Er ist der hauptsächliche Entwickler des neuen CLIMBER-Klimamodells und führte die Eiszeitsimulation durch.

    Stefan Rahmstorf ist Experte für die Rolle der Ozeane bei Klimaänderungen. Bevor er im März 1996 zum PIK kam, hat er am Institut für Meereskunde in Kiel und am New Zealand Oceanographic Institute gearbeitet. Die Planung und Durchführung der Eiszeitsimulation geht auf seine Initiative zurück; an der Auswertung war er maßgeblich beteiligt.

    Vladimir Petukhov ist Experte für die Computersimulation der Atmosphäre und des Klimas. Er ist Gastprofessor am PIK und hauptberuflich am Obukhov Institut für Atmosphärische Physik in Moskau angestellt. Von 1992 bis 1994 arbeitete er am IIASA. Er war maßgeblich bei der Entwicklung des Atmosphärenmoduls von CLIMBER beteiligt und trug zur Analyse der Ergebnisse der Eiszeitsimulation bei.

    Martin Claußen ist Professor für theoretische Klimatologie an der Freien Universität Berlin, Leiter der Abteilung Klimaforschung am PIK und Leiter der CLIMBER-Gruppe. Hauptsächlich widmet er sich der Modellierung des Klimas sowie der Wechselwirkung zwischen Biosphäre und Klima. Er hat an der Auswertung der Eiszeitsimulation mitgewirkt.

    Ansprechpartner:
    Dr. Stefan Rahmstorf
    Tel. 03 31/288-26 88
    Fax 03 31/288-26 95
    E-mail: Rahmstorf@pik-potsdam.de

    Prof. Dr. Martin Claußen
    Tel. 03 31/288-25 22
    Fax 03 31/288-26 00
    E-mail: Claussen@pik-potsdam.de

    Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung e.V.
    Abteilung Klima-System

    Die Reproduktion der Grafik ist gegen Belegexemplar möglich. Um eine Druckvorlage für diese Grafik zu erhalten, wenden Sie sich bitte an Andrey Ganopolski (E-mail: ganopolski@pik-potsdam.de).


    Images

    Die Grafik zeigt die Abkühlung der bodennahen Luftschicht auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit relativ zu den heutigen Temperaturen. In einigen Gebieten der Nordhalbkugel war es damals bis zu dreißig Grad kälter als heute.
    Die Grafik zeigt die Abkühlung der bodennahen Luftschicht auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit rela ...

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    Criteria of this press release:
    Biology, Environment / ecology, Geosciences, Information technology, Mathematics, Oceanology / climate, Physics / astronomy
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Die Grafik zeigt die Abkühlung der bodennahen Luftschicht auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit relativ zu den heutigen Temperaturen. In einigen Gebieten der Nordhalbkugel war es damals bis zu dreißig Grad kälter als heute.


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