Bochum, 21.08.1996 Nr. 149
Wenn die Muskeln schlapp machen...
Mindestens eines von 20.000 Kindern betroffen
Preis an RUB-Mediziner: Entdeckung gestoerter Genstruktur
Bei einigen werden nur die Muskeln schlapp, andere erleiden schmerzhafte Kraempfe und bei manchen werden Herz und Nieren angegriffen, woran sie sogar sterben koennen. Die Rede ist von der Glycogenose, einer genetischen Erkrankung, die immerhin eines von 20.000 Kindern befaellt. Fuer seine grundlegenden Erkenntnisse, sprich die Entdeckung der genetischen Veraenderungen und die Verbesserung der bislang sehr schwierigen und unsicheren Laboratoriumsdiagnostik dieser tueckischen Stoffwechselerkrankung, sind Prof. Dr. Dr. Manfred W. Kilimann und sein Doktorand cand. med. Michael Wehner (Institut fuer Physiologische Chemie, Medizinische Fakultaet der RUB) jetzt von der Deutschen Gesellschaft fuer Muskelkranke (DGM) mit dem insgesamt 10.000,- DM dotierten ,Rhone-Poulenc-Rorer-Forschungspreis fuer Neuromuskulaere Erkrankungen" ausgezeichnet worden. Prof. Kilimann ist ausserdem in den Wissenschaftlichen Beirat der DGM berufen worden.
Wie Muskel Zucker speichern ...
Glycogen ist eine der pflanzlichen Staerke verwandte Substanz. Im menschlichen und tierischen Koerper ist sie die Speicherform der Glucose (des ,Blutzuckers"). Grosse Mengen von Glucose werden nach der Nahrungsaufnahme (gesteuert durch das Hormon Insulin) in Form von Glycogen in den Zellen gespeichert und zwischen den Mahlzeiten oder bei intensiver Muskelarbeit wieder freigesetzt. Bei einer Glycogenose (Glycogenspeicherkrankheit) liegt ein genetischer Defekt eines der Enzyme vor, die den Stoffwechsel des Glycogens steuern. Glycogen wird hauptsaechlich in Muskeln und Leber gebildet, aber auch im Herzen, der Niere, dem Hirn und vielen anderen Geweben.
... und Zellen Glykogen wie Fremdkoerper einschliessen
Biochemische Vorgaenge im menschlichen Koerper werden durch Eiweissverbindungen, die Enzyme, beschleunigt oder erst ermoeglicht. Am komplizierten Stoffwechsel des Glycogens sind mehrere Enzyme (Biokatalysatoren) beteiligt. Ist das Gen (die Erbinformation) fuer eines dieser Enzyme defekt, so wird das Enzym nur noch mangelhaft oder gar nicht mehr gebildet, und Glycogen haeuft sich in den Koerperzellen an. Die Zelle und der gesamte Organismus sind nun doppelt beeintraechtigt: die Zellen bekommen im Bedarfsfall (Aktivitaet oder Fasten) nicht die benoetigte Glucose, ausserdem haeufen sich viele Glycogenkoernchen in den Zellen an, wirken dort wie eingeschlossene Fremdkoerper und beeintraetigen die Zelle und die Funktion des betroffenen Organs.
Von fuenf Genen und fuenf Krankheitsformen
Ein Viertel aller Glycogenosefaelle beruht auf einem Defekt des Enzyms Phosphorylase-Kinase. Im Laufe der Jahre beobachtete man, dass es verschiedene Formen der sogenannten Phosphorylase-Kinase-Defizienz gibt, die sich hinsichtlich der betroffenen Organe und der Art ihrer Vererbung unterscheiden. Das Phosphorylase-Kinase-Enzym ist aus mehreren Untereinheiten aufgebaut, die sich von fuenf verschiedenen Genen ableiten, welche auf unterschiedlichen Chromosomen sitzen und in unterschiedlichen Koerpergeweben abgelesen (exprimiert) werden. Je nachdem, welches dieser Gene betroffen ist, entsteht ein anderes Erscheinungsbild (Phaenotyp) der Krankheit. Am haeufigsten sind Glycogenosen der Leber durch Phosphorylase-Kinase-Defizienz. Sie machen sich durch eine geschwollene Leber und Symptome eines zu niedrigen Blutzuckerspiegels bemerkbar. Ist die Muskulatur betroffen, so fuehrt dies zu Schmerzen und Kraempfen bei Belastung, Schwaeche und Muskelschwund. Glycogenose des Herzens oder der Niere bewirken besonders schwere Beeintraechtigungen, die in den ersten Lebensmonaten bis -jahren zum Tode fuehren koennen.Von einigen Formen der Krankheit sind nur maennliche Personen betroffen - Frauen sind aber ,UEbertraegerinnen", wie beispielsweise auch bei der Bluterkrankheit oder der Rot-Gruen-Farbensehstoerung - von anderen sind beide Geschlechter gleich stark betroffen.
Bochumer Wissenschaftler entdeckten Mutationen
Waehrend ihrer langjaehrigen Untersuchungen konnten die Bochumer Mediziner erstmals mehrere Gene der Phosphorylase-Kinase-Untereinheiten isolieren (klonieren) und in ihrer Struktur erklaeren. Aufbauend auf der Kenntnis der normalen Genstrukturen wurde dann bei Patienten und erkrankten Tieren nach den Strukturanomalien der Gene gesucht. Inzwischen konnten in vier der fuenf Phosphorylase-Kinase-Gene krankhafte Veraenderungen (Mutationen) identifiziert werden. Die ersten Mutationen, deren Entdeckung mit dem Rhone-Poulenc-Rorer-Preis ausgezeichnet wurde, fand man im Gen der Muskel-Isoform der Untereinheit alpha eines menschlichen Patienten und eines Maeusestamms, die von einer die Muskulatur und nur Maenner treffende Form der Krankheit betroffen waren.
Blutproben aus aller Welt
Da jede einzelne Variante der Phosphorylase-Kinase-Defizienz selten und ihre Diagnose oft unsicher ist, werden die untersuchten Faelle weltweit zusammengetragen. Patientenproben kommen von ,nebenan" (Duesseldorf), aber auch aus OEsterreich, Holland, Frankreich, Norwegen, Schottland, Spanien, Israel, Saudi-Arabien, USA und Japan. Eine fuer Prof. Kilimann und seine Mitarbeiter besonders befriedigende und ermutigende Erfahrung ist das Interesse und die Kooperationsbereitschaft der Patienten, die Blut- und selbst Muskelgewebeproben zur Verfuegung stellen, um zum Verstaendnis ihrer genetischen Krankheit beizutragen.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Dr. Manfred W. Kilimann, Ruhr-Universitaet-Bochum, Institut fuer Physiologische Chemie, Medizinische Fakultaet, 44780 Bochum, Tel.: 0234/700-7927, Fax.: 0234/7094-193.
Criteria of this press release:
Biology, Chemistry, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
Research projects
German
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