Toxische Ignoranz
Reform der Europäischen Richtlinien
für den Umgang mit gefährlichen Chemikalien
Tagung am Zentrum für interdisziplinäre Forschung
22. und 23. April 1999
Toxische Ignoranz ! mit dieser doppeldeutigen Bezeichnung wird auf ein bedrohliches Phänomen hingewiesen: Die Behörden wissen überraschend wenig über die Gesundheits- und Umweltgefahren der auf dem Markt befindlichen Gefahrstoffe, und der Mechanismus der Regulierung dieser Stoffe belohnt diejenigen Firmen, die die Risiken der Stoffe gar nicht erst untersuchen oder Daten darüber zurückhalten. Das haben Untersuchungen ergeben, für Europa ebenso wie für die USA.
In Europa gibt es etwa 4000 besonders problematische Chemikalien mit einem jährlichen Produktionsvolumen von über 1000 Tonnen. Für 2000 dieser Stoffe fehlen die wichtigsten Basisdaten; nur für 300 Stoffe liegen die Basisdaten vor. Der Apparat der nationalen und EG-Stellen, der für jeden Stoff eine umfangreiche Risikobewertung erarbeitet, hat in den letzten 5 Jahren gerade einmal 20 Stoffe durchgeschleust, das sind jährlich 4 Stoffe. Nur für insgesamt ca. 10 Stoffe wurden Regulierungsmaßnahmen vorgeschlagen, in keinem Fall ist darüber bisher entschieden. Geht der Trott so weiter, werden die 4000 Chemikalien vielleicht im Jahre 3000 (!) abgearbeitet sein.
Der Grund für die ineffiziente Arbeit der Behörden liegt in Strukturfehlern der Chemikalienkontrolle. Ein Beispiel: Die Beweislastverteilung ist verkehrt. Die Behörden müssen nachweisen, daß der Stoff gefährlich ist; nicht muß der Produzent oder Importeur nachweisen, daß der Stoff ungefährlich ist. Die Behörden laufen den Daten hinterher, die Industrie verzögert häufig die notwendigen Tests oder hält Daten zurück. Ein anderes Beispiel: Die Prüfverfahren sind überperfektioniert. Wenn bekannt ist, daß der Stoff am einem Endpunkt seines Lebenszyklus, z.B. im Wasser, zu Umweltschäden führt, reicht das noch nicht, es müssen erst alle anderen Endpunkte untersucht werden, bevor die Behörden eingreifen.
Unwissen über Gefahrstoffe ist aber gefährliches Unwissen.
Bei den Experten, aber zunehmend auch im politischen Raum wächst die Einsicht, daß eine grundlegende Reform überfällig ist. Das deutsche Umweltministerium will die gegenwärtige deutsche Präsidentschaft in der Europäischen Union für eine Initiative nutzen. Wohin könnte die Reise gehen?
Die USA haben mit dem Toxic Release Inventory ein Konzept vorexerziert, das in seinem Ansatz möglicherweise auf Europa übertragbar ist. Dabei geht es um die Verpflichtung der Unternehmen, die Allgemeinheit genau über die Art und Menge der von ihnen vermarkteten Stoffe zu informieren. Das Konzept setzt auf das Handlungspotential der Öffentlichkeit, d.h. der Verbraucher und der Bürger. Der drohende Verlust an Firmenprestige und Kaufbereitschaft der Konsumenten müßte die Firmen zwingen, die erforderlichen Daten zu beschaffen und vorzulegen. Die amerikanischen Erfahrungen zeigen, daß viele Unternehmen noch weitergehen und überhaupt auf die Produktion von Stoffen verzichten, bei denen anzunehmen ist, daß eine Vorlage der Datensätze zu einer Vermarktungsbeschränkung führen würde. Die Erzeugung der Daten ist nämlich recht teuer, und dieser Aufwand lohnt nicht, wenn man mit einem Stoffverbot rechnen muß.
Die komplexen Probleme der Regulierung der Produktion giftiger Chemikalien in Europa sind Gegenstand einer internationalen Tagung, die am 22. und 23. April am Zentrum für interdisziplinäre Forschung stattfindet. Sie soll ein neutrales Forum darstellen, in dem Wissenschaftler und Praktiker ihre Erfahrungen in diesem hochbrisanten Feld austauschen. Es werden mehrere Vertreter des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Bonn) sowie von Umweltbehörden anderer europäischer Länder anwesend sein. Der wissenschaftliche Input kommt vor allem von Projekten, die am Umweltbundesamt (Berlin), an der Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht der Universität Bremen und im Rahmen der Forschungsgruppe "Rationales Umweltpolitik - rationales Umweltrecht" am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld durchgeführt werden.
Die Tagungssprache ist Englisch.
Wir laden ein zu einem
Pressegespräch
am Freitag, den 23. April 1999, um 17.45 Uhr am Zentrum für interdisziplinäre Forschung.
Dort erhalten Sie weitere Unterlagen.
Weitere Informationen: Prof. Dr. Gerd Winter, Universität Bremen/Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld
Privat: 0421/703112
Dienstlich: 0421/218-2840 (Fax -7490) oder 0521/106-2760 (Fax 6024)
Criteria of this press release:
Biology, Environment / ecology, Oceanology / climate
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Scientific conferences
German
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