Das RWI Essen hat heute in einer Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landtags Nordrhein-Westfalen zur Einrichtung einer "Sonderwirtschaftszone Ruhr" Stellung genommen. Das Institut äußerte sich dabei skeptisch, ob beispielsweise die Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone in der vorgeschlagenen Form im Ruhrgebiet tatsächlich Effekte hätte, die den damit verbundenen hohen finanziellen und administrativen Aufwand rechtfertigen würden.
Zusammenfassung der Stellungnahme
1. Sowohl der Entschließungsantrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen als auch der Antrag der Fraktion der FDP weisen auf unbewältigte Probleme des Strukturwandels in der größten altindustriellen Region Westeuropas hin. Das Ruhrgebiet hat in den vergangenen Jahrzehnten einen bemerkenswerten Strukturwandel durchlaufen. Stellenweise sind durchaus beachtliche Ansätze zu seiner wirtschaftlichen Revitalisierung erkennbar. Das Ruhrgebiet präsentiert sich heute wirtschaftlich vielfältiger als je zuvor. Nichtsdestoweniger sind auch weiterhin massive ungelöste strukturelle Probleme nicht zu übersehen. Der unterdurchschnittliche Wachstumsbeitrag des Ruhrgebiets wirkt sich negativ auf die Leistung der nordrhein-westfälischen Wirtschaft insgesamt aus.
2. Der Schlüssel für das Verständnis der gegenwärtigen Strukturprobleme des Ruhrgebiets liegt letztlich im jahrzehntelangen und heute noch andauernden Schrumpfen der Montanindustrie und den mit ihm verbundenen vielfältigen strukturellen Prägungen der Ruhrwirtschaft. Die Steuerungsmöglichkeiten solcher Wandlungsprozesse durch die Politik sind objektiv zwar begrenzt. Das heißt aber nicht, dass die Politik nicht fördernd oder hemmend auf den Strukturwandel Einfluss nehmen könnte und, ob sie dies will oder nicht, faktisch stets auch nimmt.
3. Die Politik hat in den vergangenen Jahrzehnten, wie der Entschließungsantrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu Recht betont, auf vielfältige Weise versucht, den Strukturwandel im Ruhrgebiet zu unterstützen. Sie hat dabei selbst einen schwierigen und widerspruchsvollen Lernprozess durchlaufen, der noch andauert. Unbestreitbaren Erfolgen auf einigen Gebieten stehen Versäumnisse und Defizite auf anderen gegenüber. Zu lange wurden (und werden auch weiterhin) z.B. Illusionen bezüglich der Unentbehrlichkeit einer im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähigen Kohleförderung genährt. Die starke Konsensorientierung der Strukturpolitik trug zwar vermutlich zur Stärkung des "Wir-Gefühls" in der Bevölkerung bei, hat aber den Strukturwandel abgebremst.
4. Die Effizienz der Förderpolitiken von EU, Bund, Land und Kommunen ist umstritten. Da die meisten Maßnahmen nicht mittels anspruchsvollerer wissenschaftlicher Methoden evaluiert wurden, sind vergleichende Urteile über die Wirkungen der initiierten Maßnahmen nur sehr bedingt möglich. Bleibende positive Effekte sind aber z.B. mit hoher Wahrscheinlichkeit der (noch andauernden) ökologischen Sanierung des Ruhrgebiets, dem Ausbau der Bildungsinfrastruktur (insbesondere Hochschulen) und den mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) verbundenen raumplanerischen und kulturellen Akzentsetzungen beizumessen.
5. Der Vorschlag der FDP-Fraktion, eine "Sonderwirtschaftszone Ruhr" einzurichten, in der Deregulierungsmaßnahmen auf einem genau abgegrenzten räumlichen Terrain zeitlich befristet zu erproben wären, macht zu Recht auf die große Bedeutung marktwirtschaftlicher Reformen aufmerksam, trägt ein innovatives Element in die wirtschaftspolitische Diskussion und ist daher zu begrüßen. Unabhängig davon, ob der konkrete Vorschlag umgesetzt wird, befruchtet er insbesondere die Diskussion um neue Ansätze bei der weiteren Revitalisierung des Ruhrgebiets.
6. Internationale Erfahrungen entwickelter Marktwirtschaften mit Sonderwirtschaftszonen (SWZ) unterschiedlichsten Zuschnitts fallen sehr gemischt aus. So gibt es keine Beispiele erfolgreicher rahmenorientierter SWZ - d.h. von SWZ, die überwiegend auf eine Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen abstellen -, die sich ohne weiteres auf das Ruhrgebiet übertragen ließen. Auch rahmenorientierte SWZ verzichten in der Regel nicht auf fühlbare finanzielle Anreizmechanismen. SWZ werden für Investoren umso attraktiver, je höher die damit verbundenen offenen oder getarnten Subventionen sind. Steuerlichen Anreizen und anderen finanziellen Hilfen sind indessen im vorliegenden Fall durch das EU-Beihilferecht enge Grenzen gesetzt. Nicht zu vernachlässigen sind zudem potenzielle Effekte auf die den SWZ angrenzenden Regionen, die nach unserem Kenntnisstand trotz ihrer potenziell hohen Bedeutung noch nicht hinreichend analysiert worden sind.
7. Voraussetzung für die Realisierung einer "SWZ Ruhr" im Sinne des Antrags wäre, dass die Kommunen des RVR das Projekt geschlossen - unter Verzicht auf eigene Projekte wie z.B. "Newpark" - mittragen und auch die Bundesregierung mitwirkt, die bei vielen der Maßnahmen angesichts der Kompetenzverteilung von Bund und Ländern der eigentliche Adressat wäre. Die Tatsache, dass die Idee der Einführung rahmenorientierter SWZ erst unlängst für die neuen Bundesländer im expertengestützten und parteienübergreifenden Konsens ad acta gelegt worden ist, weist auf grundsätzliche Konstruktions- und Realisierungsprobleme solcher Sonderzonen hin.
8. Das im Vorschlag der FDP-Fraktion geschnürte Maßnahmenpaket enthält viele Ansätze, die im Zuge einer Vertiefung der Reformpolitik über das Ruhrgebiet und NRW hinaus von Interesse sind. Wir bezweifeln jedoch, dass das Paket in der vorliegenden Form genug "kritische Masse" einbringt, um den Aufwand des Versuchs einer "SWZ Ruhr" zu rechtfertigen. Zwar lassen sich Wachstums- und Beschäftigungseffekte eines solchen Experiments nicht ex ante wissenschaftlich quantifizieren. Insgesamt scheint uns allerdings eine gewisse Skepsis bezüglich zu hoher Erwartungen angebracht.
9. Die Idee der Einrichtung einer größeren Sonderwirtschaftszone im Ruhrgebiet wäre aus unserer Sicht dann eher diskutabel, wenn das Konzept auf ordnungspolitischem Gebiet (insbes. Arbeitsmarktderegulierung) entschieden mutiger ausfiel, handfeste finanzielle Anreize für Investoren (Subventionsproblematik!) damit verbunden wären und gleichzeitige mehrere SWZ in West- und Ostdeutschland eingerichtet würden. Dies setzte aber natürlich eine entsprechende Initiative der Bundesregierung voraus, müsste sich harmonisch in die marktwirtschaftliche Reformpolitik einordnen und bedürfte der - nur schwer vorstellbaren - Zustimmung der Europäischen Union. Solchen SWZ-Projekten weit vorzuziehen wäre allerdings eine an die Agenda 2010 anknüpfende, rasche und weit über diese hinausreichende Vertiefung der Reformpolitik im Bund.
Ihre Ansprechpartner dazu:
Dr. Bernhard Lageman, Tel.: (0201) 81 49-270
Sabine Weiler (Pressestelle), Tel.: (0201) 81 49-213
http://www.rwi-essen.de - Pressemitteilung und Langfassung der Stellungnahme als pdf-Datei
Criteria of this press release:
Economics / business administration, Law, Politics, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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