Aktueller IAT-Report untersucht die Übertragbarkeit des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf die deutsche Fleischbranche - IAT: wenn Tarife nicht binden, hilft gegen Lohndumping nur ein gesetzlicher Mindestlohn
Seit der EU-Osterweiterung vor einem Jahr werden auf deutschen Schlachthöfen verstärkt osteuropäische Billig-Arbeitskräfte zu Niedrigstlöhnen eingesetzt. Ein Lohndumping in der deutschen Fleischbranche kann jedoch nicht mit tariflichen oder allgemeinverbindlichen Mindestlöhnen verhindert werden. Zu diesem Schluss kommt der aktuelle Report des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) "Von der Baustelle auf den Schlachthof", der die Übertragbarkeit des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf die deutsche Fleischbranche untersucht.
Um Niedrigstlöhne auf deutschen Schlachthöfen zu vermeiden, sieht die Bundesregierung die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) vor, das bereits heute in der Baubranche den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte zu Dumping-Löhnen verhindert. Während allerdings in der deutschen Bauwirtschaft die Tarifparteien eng kooperieren und sich auf einen Mindestlohn verständigen konnten, scheint angesichts der zersplitterten Tariflandschaft in der Fleischbranche ein bundesweit geltender Mindestlohn-Tarifvertrag derzeit utopisch, stellen die IAT-Wissenschaftler Lars Czommer und Georg Worthmann fest.
Seit Mai 2004 lässt sich bei deutschen Schlachtbetrieben verstärkt beobachten, dass die Stammbelegschaft auf ein Minimum reduziert wird und große Teile der Tierschlachtung und zerlegung über billigere Arbeitskräfte aus Osteuropa zu Dumpinglöhnen von ca. 3 bis 5 Euro abgewickelt werden. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) beziffert die Zahl der Arbeitsplätze, die aufgrund der "neuen Dienstleistungsfreiheit" im gesamten Bundesgebiet mittlerweile verloren gegangen sind, auf über 26.000.
Die Vergabe von Subaufträgen an Entsendeunternehmen ist für die deutschen Auftraggeber, die beauftragten ausländischen Unternehmen und teilweise auch für die entsandten Arbeitskräfte attraktiv: Deutsche Unternehmen sehen im Einsatz von Entsendeunternehmen die Chance, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und Gewinne zu maximieren. Zudem können die Unternehmen damit flexibel auf z.B. saisonale Produktionsschwankungen reagieren. Für Unternehmen aus den neuen EU-Beitrittsländern bietet die Dienstleistungserbringung in Deutschland die Möglichkeit, neue Märkte zu erschließen und sich dort als Dienstleister zu etablieren. Auch für die entsandten Arbeitskräfte ist der Einsatz in Deutschland attraktiv, da Stundenlöhne in Höhe von 3 bis 5 Euro ausreichen, um den Lebensunterhalt im Heimatland zu sichern. Häufig zieht es osteuropäische Arbeitskräfte nach Deutschland, um der Arbeitslosigkeit zu Hause zu entgehen. Dabei werden auch schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen wie lange Arbeitszeiten, Unterbringung in Massenunterkünften u.a. in Kauf genommen.
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz eröffnet grundsätzlich die Möglichkeit, tarifliche Mindestarbeitsbedingungen für alle Arbeitskräfte in einer Branche - einheimische wie ausländische - allgemein verbindlich festzuschreiben, womit auch nicht tarifgebundene Unternehmen erfasst werden. Voraussetzung ist allerdings, dass es entsprechende tarifliche Vereinbarungen gibt. Genau dies trifft aber auf die Fleischbranche in Deutschland nicht zu. Anders als in der Bauindustrie sind nur wenige Beschäftigte gewerkschaftlich organisiert und es gibt lediglich einige Haus- oder Konzerntarifverträge mit einzelnen Unternehmen. Auch weitere rechtliche Voraussetzungen für einen allgemeinverbindlichen Mindestlohntarifvertrag sind in der Fleischbranche nicht erfüllt. Eine Ausdehnung des AEntG wird somit das Lohndumping auf deutschen Schlachthöfen nicht verhindern können, stellen die IAT-Wissenschaftler fest. Um gezielt gegen Lohndumping vorgehen zu können, scheint die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes notwendig zu sein.
Die Fleischbranche ist ein prominentes Beispiel dafür, dass die Tarifbindung in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (auf 70 % in West- und auf 54 % in Ostdeutschland) und zudem auch tarifliche Vereinbarungen keineswegs vor Niedrigstlöhnen schützen: Es gibt zahlreiche Branchen, in denen tarifliche Stundenlöhne um die 6 Euro brutto gezahlt werden. Einen wirksamen Schutz vor Dumpinglöhnen bieten vor diesem Hintergrund nur gesetzliche Mindestlöhne. Ein Blick über die Grenzen verdeutlicht, dass bei einem Großteil der EU-Partnerstaaten gesetzliche Mindestlöhne existieren: 18 der 25 Mitgliedsstaaten der EU haben bereits gesetzliche Mindestlöhne eingeführt. Und auch in den designierten Mitgliedsländern Rumänien und Bulgarien sowie beim Beitrittskandidaten Türkei bestehen bereits heute gesetzlich festgeschriebene Mindestlöhne.
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http://iat-info.iatge.de/iat-report/2005/report2005-03.html - der aktuelle IAT-Report 2005-03
Criteria of this press release:
Economics / business administration, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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