23. Dezember 1997 Nr. 158
Die kleine Pumpe, die das große Herz am Schlagen hält
Ein gründliches Verständnis der Natrium-Kalium-Pumpe könnte neue Herzmittel ermöglichen
Die Dosis macht das Gift. Dieser Spruch gilt besonders für Herzmittel, wie Digitalis, das für seine geringe "therapeutische Breite" berüchtigt ist. In der richtigen Menge verabreicht, stärkt es die Herzkraft, aber nur wenig mehr, und das Gift des roten Fingerhuts wirkt tödlich. Der Privatdozent Dr. Georgios Scheiner-Bobis vom Institut für Biochemie und Endokrinologie im Fachbereich Veterinärmedizin untersucht die Strukturen, an denen Herzmittel, wie Digitalis, angreifen. Dank seiner Arbeit könnte es eines Tages möglich werden, Medikamente am Reißbrett zu entwerfen, die weniger prekär in der Anwendung sind.
Jede lebende Zelle ist im Vergleich zur Umwelt negativ geladen; sie bildet sozusagen eine Art Batterie. Aufrechterhalten wird die Spannung durch ein Konzentrationsgefälle verschiedener Ionen, das sind elektrisch geladene Atome. Daß die Spannung von Nervenzellen genutzt wird, um elektrische Signale auszutauschen, ist wohl am ehesten bekannt. Aber auch jede andere Zelle greift auf die "eingebaute Batterie" zurück, um ihre Arbeit zu verrichten. Mit Hilfe des elektrochemischen Gefälles werden Nährstoffe aufgenommen und Stoffwechselprodukte wieder abgegeben.
Bisher ist nur ein einziges Enzym bekannt, das die elektrische Spannung aufrechterhält: die Natrium-Kalium-Pumpe. Sie sitzt in der Zellmembran und transportiert jeweils drei positiv geladene Natrium-Ionen nach außen im Austausch für zwei positiv geladene Kalium-Ionen, die nach innen wandern. An drei Fingern läßt sich so abzählen, daß diese Ladungsbilanz nicht ausgeglichen sein kann, sondern das Zellinnere gegenüber der Außenwelt negativ aufgeladen wird.
An dieser Ionen-Pumpe greifen Herzmittel, wie Digitalis, an. In kleinen Mengen stimulieren sie die Herzkraft; in großen Mengen dagegen blockieren sie die Pumpe, das elektrochemische Gefälle bricht zusammen, und die Herzzelle stirbt. Georgios Scheiner-Bobis hat sich die Natrium-Kalium-Pumpe als Lebensthema gewählt, weil sie für die Physiologie der Zelle und des Organismus so wichtig ist. So ist zum Beispiel anzunehmen, daß es auch körpereigene Substanzen gibt, die an derselben Stelle angreifen wie Digitalis. Sie sind bis heute unbekannt.
Georgios Scheiner-Bobis gehörte zur weltweit ersten Arbeitsgruppe in Los Angeles, der es gelang, Hefezellen so umzuprogrammieren, daß sie ein Säugetier-Enzym produzieren - eben die Natrium-Kalium-Pumpe. Auch Hefezellen sind für ihr Funktionieren auf ein elektrochemisches Gefälle angewiesen; doch nutzen sie statt des Natriums ein anderes Ion. Die umgebauten Hefezellen sind deswegen das perfekte Modell, um die Pumpe näher zu untersuchen. An der Hefe war es möglich zu zeigen, daß ein aus Korallen gewonnenes Toxin den zentralen Kanal der Pumpe ständig offenhält. Der Inhalt der Hefezelle fließt dann sozusagen in die Umgebung aus. Andere digitalis-ähnliche Stoffe setzen sich wie ein Pfropfen in den zentralen Kanal und verstopfen die Pumpe. Je besser verstanden wird, wie die Struktur solcher Gifte zur Pumpe paßt, desto besser lassen sich künftig Medikamente konstruieren, die auf ihr Angriffsziel feiner abgestimmt sind.
Vor allem aber müßte man die Struktur der Pumpe besser kennen. Ihre beiden Untereinheiten bestehen jeweils aus einem scheinbar regellos verknäulten Proteinfaden. Scheiner-BobisŽ Traum ist eine sogenannte Röntgenstrukturanalyse. Doch bei Membranproteinen gelingt sie nur in Ausnahmefällen, die derartig selten sind, daß der in Frankfurt arbeitende Hartmut Michel dafür sogar den Nobelpreis bekommen hat. Der Gießener Biochemiker hat deswegen einen anderen Weg gewählt. In zwölf verschiedenen Experimenten hat er ein weiteres kleines Enzym an verschiedenen Stellen in den großen Proteinfaden der Natriumpumpe eingebaut und diese "Mischproteine" in Hefen eingeschleust. Anschließend konnte er das kleine Enzym entweder außerhalb oder im Inneren der Zellmembran nachweisen. So hat er zeigen können, daß der Proteinfaden der Natrium-Kalium-Pumpe sich in regelmäßigen Schleifen insgesamt zehnmal durch die Zellmembran schlängelt und in der Mitte einen Kanal freiläßt, durch den die Natrium-Ionen hinausgeschaufelt werden. Auch ohne den Königsweg der Röntgenstrukturanalyse bekommt er so mit der Zeit einen immer besseren Eindruck von diesem komplexen Enzym. Am Ende könnten besser wirksame Herzmittel stehen, deren Benutzer nicht mehr den prekären Drahtseilakt zwischen gestärkter Herzkraft und drohendem Herztod durchstehen müssen. Auch für Bluthochdruckpatienten könnten neue Medikamente entstehen, denn bei ihnen kommt die Natrium-Kalium-Pumpe im Herzmuskel viel häufiger vor als bei gesunden Menschen.
Wird sich dann noch jemand an das intellektuelle Abenteuer erinnern, das die Strukturaufklärung der Natrium-Kalium-Pumpe bedeutet hat? Die Universität Gießen hat Dr. Scheiner-Bobis vor kurzem mit dem Franz-Vogt-Preis ausgezeichnet.
Kontaktadresse: Dr. Georgios Scheiner-Bobis Institut für Biochemie und Endokrinologie Frankfurter Straße 100 35392 Gießen Telefon (0641) 99-38185 Fax (0641) 99-38179
Criteria of this press release:
Biology, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
Research projects
German
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