Eigentlich sollten Internate vom Trend zur Ganztagsschule profitieren. Tun sie aber nicht: Seit Jahren gehen die Schülerzahlen zurück. Wissenschaftler der Universität Bonn haben nun untersucht, auf welche Wünsche Internate sich einstellen müssen, um erfolgreich zu sein. Ein Ergebnis: Eltern suchen eine heile Welt hinter Mauern, in der ihre Sprösslinge nicht mit dem "Bösen" in Berührung kommen.
Dass Harry Potter am Ende seiner Schulferien immer ziemlich glücklich Richtung Hogwarts aufbricht, hängt sicherlich mit seinen nicht besonders netten Stiefeltern zusammen. Seine Freunde Ron und Hermine fühlen sich dort aber ebenfalls ganz wohl, und wenn man Enid Blyton glauben darf, schmeckte auch Hanni und Nanni (nach anfänglichen Problemen) das Leben auf dem Lindenhof.
Hierzulande gelten Internate dagegen oft als ein letzter Ausweg, mit dem Mama und Papa ihren lernschwachen oder aufmüpfigen Sprösslingen besser drohen können als mit dem Schwarzen Mann. "In England darf man aufs Internat", sagt Volker Ladenthin, Pädagogik-Professor an der Universität Bonn, "in Deutschland muss man."
Dabei sollten die Schulen mit ihrer "Rund-um-die-Uhr-Betreuung" voll im Trend liegen. Gerade Doppelverdiener haben mitunter Schwierigkeiten, sich nachmittags angemessen um ihre Kinder zu kümmern. "Mein Standard-Beispiel sind der Flugkapitän und die Krankenschwester mit zwei Kindern", erklärt Professor Ladenthin. "In dieser Konstellation kann ein Internat für die Kinder die beste Lösung sein." Dennoch sind die Schülerzahlen seit Jahren rückläufig.
Der Wissenschaftler hat zusammen mit den Psychologen Dr. Herbert Fitzek und Michael Ley untersucht, welche Erwartungen Eltern an kirchliche Internate richten. Denn auch diese haben mit Schülerschwund zu kämpfen, obwohl sich konfessionelle Schulen sonst wachsender Beliebtheit erfreuen. Am Image kann das nicht allein liegen: Bei einer Umfrage unter 66 Eltern, die ihre Kinder auf ein staatliches Gymnasium geschickt hatten, schnitt die Regelschule zwar besser ab und kam bei der globalen Attraktivität auf 67 von 100 Punkten. Das Internat erreichte aber immerhin noch 58 Punkte auf der Attraktivitäts-Skala. Unter 81 befragten "Internats-Eltern" fiel das Ergebnis mit 83:49 sogar eindeutig "pro Internat" aus.
Verlustängste dominieren
In der Regel billigen Eltern Internaten also zu, ihre Arbeit gut zu machen - vielleicht sogar zu gut: "In zahlreichen Einzelgesprächen äußerten die von uns befragten Eltern immer wieder die Angst, ihre Kinder an das Internat zu verlieren", betont Professor Ladenthin. "Dazu kam die Sorge, gegenüber ihren eigenen Kindern und ihrer Umgebung als inkompetent dazustehen." Wenn also ein Internat mit dem Slogan wirbt: "Wenn Sie mit Ihren Kindern nicht fertig werden, kommen Sie zu uns!", dann hat es schon verloren.
Viele Eltern wünschen sich zudem, dass sich Verhalten oder Leistung ihrer Kinder verbessern. Paradoxerweise haben sie aber gleichzeitig Angst, ihre Kinder könnten sich verändern. "Dieser Entfremdungs-Aspekt ist ein ganz zentraler", sagt Ladenthin. "Die Eltern wollen, dass nicht der Mensch ins Internat geht, sondern nur der Schüler." Die Kinder sollen nicht die selbe Beziehung zu ihren Erziehern aufbauen wie zu ihren Eltern - ein Wunsch, der im krassen Gegensatz zum Selbstbild der Erzieher stehen kann, die sich mitunter tatsächlich als Ersatzeltern sehen.
Ein zweiter wichtiger Aspekt, der in den Befragungen immer wieder auftauchte: Eltern von Internatskindern suchen nach einer "heilen Welt", die ihre Sprösslinge zu besseren Menschen macht. "Es ist doch erstaunlich, dass sie schulische Defizite nicht mit Nachhilfe bekämpfen, sondern indem sie ihre Kinder an einen anderen Lebensort schicken - so als würde dort alles wie durch Magie wieder ins Lot kommen", bemerkt Ladenthin. Dazu passt, dass die Befragten mit dem Wort "Internat" am häufigsten ein Schloss assoziierten. "Eltern suchen nach einem abgeschiedenen Märchenschloss, dessen Mauern das Böse von ihren Sprösslingen fern halten." Das ist auch der Punkt, an dem die Befragten konfessionellen Internaten besonders hohe Kompetenz zubilligten: Religiöse Lehrer gelten als besonders verantwortungsbewusst.
"Wenn sich die Internate in ihrem pädagogischen Konzept, aber auch ihrer Außendarstellung auf die Erwartungen ihrer Klientel einstellen, haben sie durchaus Chancen, im Wettbewerb der Schulformen zu punkten", fasst Ladenthin zusammen. Die Betroffenen scheinen den Bedarf zu sehen: Im Herbst 2004 ist die fast 300seitige Internats-Studie erschienen. Inzwischen liegt bereits die vierte Auflage vor.
Die Studie "Das Internat. Aufgaben, Erwartungen und Evaluations-kriterien" ist im Bonner Institut für Erziehungswissenschaft erhältlich.
Kontakt:
Professor Dr. Volker Ladenthin
Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Bonn
Telefon: 0228/73-5977
E-Mail: v.ladenthin@uni-bonn.de
Das soziale Miteinander wird an Internaten groß geschrieben.
Foto: Peter Wirtz
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Michael Ley, Prof. Ladenthin und Dr. Herbert Fitzek (v.l.) haben die Studie durchgeführt
Foto: Frank Luerweg / Uni Bonn
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Criteria of this press release:
Philosophy / ethics, Psychology, Religion, Social studies, Teaching / education
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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