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06/17/1999 16:31

"Wir brauchen eine Elite"

Dr. Michael Schwarz Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Interview der Rhein-Neckar-Zeitung (Heidelberg) vom 17. Juni 1999 - Der Heidelberger Uni-Rektor Siebke über die Hochschulreform und seine Kritik an Minister von Trotha - Von Klaus Welzel

    RNZ: Herr Professor Siebke, seit Wochen tobt ein erbitterter Meinungsstreit zwischen Ihnen und dem baden-württembergischen Wissenschaftsminister Klaus von Trotha. Es geht dabei um die Ausgestaltung der geplanten Hochschulreform. Gibt es mittlerweile eine Einigung hinter den Kulissen?

    Siebke: Ich weiß nicht, ob man sagen kann, ein Meinungsstreit tobt. Aber es gibt sicherlich Differenzen zwischen dem Herrn Minister und mir. Mitte April hat der Minister den Gesetzentwurf auf einer Pressekonferenz vorgestellt und kommentiert. Dabei sagte Herr von Trotha, daß die Landesrektorenkonferenz die Hochschulreform sehr wohlwollend begleitet habe. Das kann ich nicht so sehen. Die Rektoren führten seit November Gespräche mit dem Wissenschaftsministerium und haben Anregungen gegeben und unsere Ablehnung in bestimmten Punkten signalisiert. Allein aus der Tatsache, daß wir miteinander gesprochen haben, abzuleiten, wir hätten den Prozeß wohlwollend begleitet - das scheint mir zu weit gegriffen.

    Aber auch seit Mitte April hat sich an der Einstellung des Ministers nichts geändert. Das kann man daran erkennen, daß der Minister in einer Diskussion mit dem Senat der Universität bis ins Detail seinen Gesetzesentwurf verteidigt und keinen unserer Kritikpunkte angenommen oder angedeutet hat, daß ihn das bewegen könne, das Gesetz noch zu modifizieren.

    RNZ: Knackpunkt der Reform ist die Einführung eines Hochschulrates, dem sieben Uni- und sechs externe Mitglieder angehören sollen. Was stört Sie daran?

    Siebke: Zunächst einmal stört mich daran, daß ein bewährtes Gremium abgelöst werden soll. Bisher waren im Verwaltungsrat alle Gruppen der Universität vertreten. Und dieses Entscheidungsorgan war personell sehr fern von allen Begünstigten; d.h. von den Fakultäten, von den Instituten. Die Mitglieder haben sachkompetent ihre Entscheidungen getroffen.

    Zum zweiten stört mich, daß hierarchische Strukturen wie in einem Unternehmen geschaffen werden sollen. Doch der Hochschulrat hat deutlich mehr Kompetenzen als ein Aufsichtsrat. Es handelt sich eben nicht um ein reines Aufsichts- und Kontrollorgan, sondern ein Organ, das auch Entscheidungskompetenz hat. So werden Beschlüsse über die Struktur- und Entwicklungspläne der Universität gefaßt. Entschieden wird auch über Forschungs- und Lehrmittel. Auch muß dort der Bildung und Veränderung von Universitätseinrichtungen zugestimmt werden. Weiterhin fallen Beschlüsse über die Funktionsbeschreibung von Professorenstellen.

    Zum dritten akzeptiere ich voll und ganz, daß externer Sachverstand in die Universitäten eingebracht werden soll. Aber das hat die Universität Heidelberg bereits in der Vergangenheit gemacht, wenn sie meinte, sie brauche externen Sachverstand. Zum Beispiel bei der Diskussion über die Neuorientierung der Fakultät für Pharmazie. Deshalb habe ich immer gesagt, wir ergänzen den Verwaltungsrat um Experten. Jetzt haben wir aber ein Gremium mit sieben internen und sechs externen Mitgliedern, wobei der Minister vier Externe benennt. Und ein Externer übernimmt den Vorsitz. Und ich füge gleich noch hinzu: Ein Mitglied des Ministeriums darf - ohne Stimmrecht - an allen Sitzungen des Hochschulrates teilnehmen.

    RNZ: Das heißt, Sie fürchten mehr politische Einflußnahme.

    Siebke: Sagen wir es so: Ich sehe ein Element der Fremdbestimmung, das auch politisch genutzt werden könnte. Ich will ja nicht dem Minister unterstellen, daß er beabsichtigt, politischen Einfluß zu nehmen. Aber ich muß auch daran denken, daß es einmal andere Konstellationen gibt. Daß es andere Wissenschaftsminister gibt, die das nutzen. Mein Vorschlag lautet deshalb: Externe Mitglieder - ja; aber nicht in diesem Umfang. Und die Universität entscheidet, wer aufgenommen wird.

    RNZ: Aus welchen gesellschaftlichen Bereichen werden die Externen wohl kommen - sind das in erster Linie Wirtschaftsvertreter?

    Siebke: Die Universität wird externe Mitglieder benennen, die Managementerfahrung haben und Interesse an der Universität zeigen.

    RNZ: Es kommt wohl auch darauf an, welche Interessengruppe das Hochschulratsmitglied vertritt.

    Siebke: Wir möchten niemanden aufnehmen, der eine lnteressengruppe vertritt, sondern jemanden, der die Universität vertritt. Deshalb ist die Auswahl der Externen schon ganz entscheidend.

    RNZ: Aber bei 7:6 bleibt die uniinterne Mehrheit gewahrt.

    Siebke: Ich will aber nicht davon ausgehen, daß alle Internen immer derselben Meinung sind.

    RNZ: Hört man die Gesamtheit Ihrer Kritik, könnte man den Eindruck gewinnen, im Grunde gehe es doch nur um die Wahrung alter Vorrechte der Professorenschaft.

    Siebke: Welche Vorrechte meinen Sie damit?

    RNZ: Immerhin werden durch die Reform bisherige Entscheidungskompetenzen beschnitten.

    Siebke: Es werden keine Kompetenzen beschnitten, sondern durch die vier vom Ministerium zu bestimmenden Mitglieder kommt ein Element der Fremdbestimmung mit hinein. Ich verstehe aber nicht, wieso es ein Vorrecht sein soll, daß die Universität sich selber leitet.

    RNZ: Minister von Trotha lobt fortlaufend die Universität Mannheim - wieso wird dort das umgesetzt, was Sie hier kritisieren?

    Siebke: Zunächst einmal: Auch wir setzen Reformen um. So gibt es seit zwei Jahren das Pilotprojekt "Impulse", das die Kompetenzen, auch bei den Finanzen, auf die Institutsebene verlagert. Rektor Frankenberg und die Universität haben andere Reformansätze - und das ist legitim. Daß der Minister nun Mannheim so lobt, liegt daran, daß das, was dort jetzt umgesetzt werden soll, im großen und ganzen dem geplanten Universitätsgesetz des Landes entspricht.

    RNZ: Und warum kann das Mannheim, und Heidelberg nicht?

    Siebke: Weil Heidelberg keinen Handlungsbedarf in dieser Richtung sieht - für eine Universität mit 15 Fakultäten. Eine - das gebe ich ja zu - traditionell entwickelte Universität mit Geisteswissenschaften, Humanwissenschaften, mit Naturwissenschaften, mit wissenschaftlich weltweit renommierten kleinen Fächern. Diese Universität ist doch ganz anders zu steuern als eine wesentlich kleinere Universität, die im Kern Wirtschaftswissenschaften, Informatik, Rechtswissenschaften und nur einige Geisteswissenschaften aufweist. Und eine Universität, die 10 500 Studierende hat, ist ganz anders zu managen als eine Universität mit 25 000 Studierenden. Man sollte den Universitäten Autonomie geben, damit sie sich selbst steuern. Wenn der Minister sagt "mehr externer Sachverstand" - einverstanden, durch eine Ergänzung des Verwaltungsrates.

    RNZ: Thema Studiengebühren: Sie sind - bei Förderung begabter mittelloser Studenten - für die Einführung ab dem ersten Semester.

    Siebke: Wenn ich mir das ganze Hochschulgesetz anschaue, kann ich nur sagen, daß hier nach amerikanischem Vorbild gearbeitet wurde. Und wenn ich berücksichtige, daß Heidelberg eine durch Forschung und forschungsnahe Lehre ausgewiesene Universität ist, muß sie sich auch mit Forschungsuniversitäten in den USA vergleichen dürfen. Dort sehen die Rahmenbedingungen aber ganz anders aus: Studiengebühren und Auswahl der Studenten sind dort üblich.

    RNZ: Das würde aber bedeuten, daß zahlreiche Studenten keinen Studienplatz finden - weil sie schlicht ungeeignet sind.

    Siebke: Nein, das würde ich nicht sagen. Wir brauchen ein ausdifferenziertes Bildungssystem im tertiären Bereich. Es gibt auch in Amerika die oberen zehn Universitäten, die das Bild Amerikas ausmachen. Und dann gibt es Universitäten, die sind weniger forschungsnah, bis hin zu Colleges. Ich bin der Meinung, daß im tertiären Bereich auch in Deutschland praxisnäher ausgebildet werden sollte. Das ist aber nicht vorrangige Aufgabe der Universitäten. Deren Aufgabe sehe ich darin, neben der angewandten Forschung vor allem Grundlagenforschung zu betreiben, deren Ergebnisse möglicherweise oft erst zehn bis fünfzehn Jahre später anwendbar sind. Die Aufgabe der Universität ist nicht, zur Berufsfertigkeit auszubilden, sondern zur Berufsfähigkeit.

    RNZ: Dann sind wir aber nicht mehr weit entfernt vom Begriff der Eliteuniversität.

    Siebke: Wir sollten uns in Deutschland nicht mehr scheuen zu sagen, daß wir eine Eliteausbildung benötigen. Und wenn Sie meine Ausführungen über ein stärker differenziertes, tertiäres Ausbildungssystem so interpretieren, dann haben Sie schon recht; weil eine Abstufung notwendigerweise mit einer Elite einhergeht.

    RNZ: Aber die Eliteuniversität wird vorerst noch Zukunftsmusik bleiben.

    Siebke Das glaube ich nicht. Wenn ich zum Beispiel an den jetzigen Rektor der Universität Erfurt denke - mit Peter Glotz ein bekannter SPD-Politiker, der sich auch nicht scheut, das so auszusprechen: Wir brauchen eine Elite.


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    Criteria of this press release:
    interdisciplinary
    transregional, national
    Science policy
    German


     

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