idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
06/30/1999 08:49

Blick in einen kosmischen Kernfusionsreaktor

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Blick in einen kosmischen Kernfusionsreaktor

    Tübinger Astronomen beobachteten extrem heißen Stern

    Während sich Physiker in aller Welt mit großem finanziellen und technischen Aufwand darum bemühen, einen Kernfusionsreaktor zur Energieerzeugung zu bauen, macht uns die Natur für jedermann ersichtlich vor, daß die Kernfusion "funktioniert''. Jeder Stern, und natürlich auch unsere Sonne, erzeugt sein Licht durch diesen Prozeß, der tief in seinem Inneren bei hohen Temperaturen abläuft. Die Arbeitsgruppe des Tübinger Astromen Prof. Klaus Werner legte gerade überraschende Beobachtungsergebnisse zu einem extrem heißen "Weißen Zwerg" vor, die wichtige Rückschlüsse auf Kernfussionsprozesse bei der Entstehung von Sternen und Galaxien erlauben.

    Der Stern mit dem Namen H1504+65 ist auf Himmelsfotografien ein unauffälliges Objekt. Die Himmelsdurchmusterung mit einem amerikanischen Röntgenteleskop zu Beginn der achtziger Jahre ergab jedoch, daß es sich hier um ein ungewöhnliches Objekt handelt, denn es stellte sich als eine der hellsten Röntgenlichtquellen am gesamten Himmel heraus. Daraufhin eingeleitete spektroskopische Beobachtungen mit großen Teleskopen vom Erdboden aus gaben den Astronomen ein großes Rätsel auf, denn die Daten waren nicht vergleichbar mit den Eigenschaften irgendeines anderen Sterns. Allein die Tatsache, daß der Stern im Röntgenlicht sehr viel heller ist als im normalen sichtbaren Licht weist jedoch schon darauf hin, daß es sich hier um ein extrem heißes Objekt handeln muß. Eine Analyse der bis dahin vorliegenden Daten durch die Tübinger Arbeitsgruppe zu Beginn der neunziger Jahre ergab dann tatsächlich, daß dieser Stern mit einer Oberflächentemperatur von 170 000 Grad einen Superlativ darstellt. Er ist damit 30 mal heißer als unsere Sonne. Weitergehende Erkenntnisse erhoffte man sich von detaillierteren Beobachtungen im ultravioletten und Röntgenlicht. Dazu braucht man aber Weltraumteleskope, weil die Erdatmosphäre (glücklicherweise) diese harte Strahlung nicht bis zum Erdboden durchdringen läßt.

    Solche Beobachtungen sind inzwischen durchgeführt worden, und zwar mit den amerikanischen Satellitenteleskopen "Extreme Ultraviolet Explorer'' und "Hopkins Ultraviolet Telescope'' sowie mit dem deutschen Röntgensatelliten ROSAT. Die erstaunlichen Ergebnisse wurden jetzt von den Tübinger Astronomen vorgelegt. Bei H1504+65 handelt es sich einem ausgebrannten Stern, einen sogenannten Weißen Zwerg. Was dieses Objekt jedoch zu einem Unikum macht ist seine chemische Zusammensetzung. Während üblicherweise Wasserstoff und Helium als häufigste Elemente vorgefunden werden, sind diese Elemente in H1504+65 überhaupt nicht vorhanden. Stattdessen finden sich hauptsächlich Kohlenstoff und Sauerstoff. Die Theorie sagt eine solche Elementzusammensetzung lediglich im inneren Kern von Weißen Zwergen voraus, allerdings tief verborgen unter einer undurchsichtigen Wasserstoff-Helium-Hülle.

    Unter dieser Hülle bilden Kohlenstoff und Sauerstoff sozusagen die nukleare "Asche'', die bei der Kernfusion von Wasserstoff und Helium entsteht. Aus einem bisher unbekannten Grund fehlt diese Hülle bei H1504+65, so daß hier die einzigartige Möglichkeit besteht, in das Innere eines stellaren Fusionsreaktors zu schauen. Allerdings ist dieser Reaktor nicht mehr aktiv, er ist - nach astronomischen Zeitmaßstäben - erst vor kurzer Zeit mangels Brennstoff verloschen. Das ist vermutlich erst vor wenigen hundert Jahren geschehen, denn was wir heute sehen ist der noch heiße, nukleare "Abfall'' von Fusionsprozessen, durch die der Stern viele Millionen Jahre lang seine Helligkeit unterhalten hat. Daß diese Sicht richtig ist, wurde durch Beobachtungen am größten optischen Teleskop der Welt - dem amerikanischen 10-Meter-Keck-Teleskop auf dem Mauna Kea auf Hawaii - bestätigt. Damit gelang die schwierige Identifikation von Neon, einem weiteren aber weniger häufigen Abfallprodukt der Heliumfusion. Daß dem Stern seine Hülle abhanden gekommen ist, ist mit bisher sicher geglaubten Theorien der Sternentwicklung nicht erklärbar.

    Für die Astrophysiker ist die genaue Untersuchung der chemischen Zusammensetzung dieser kohlenstoff- und sauerstoffhaltigen "Asche'' von großer Wichtigkeit. Letztendlich werden praktisch alle chemischen Elemente aus Wasserstoff und Helium im Inneren von Sternen erzeugt, nicht zuletzt besteht unsere Erde mit allem was sich auf ihr bewegt aus solchen "schweren'' Elementen, die vor Jahrmilliarden entstanden und durch gewaltige Sternexplosionen in den Weltraum geschleudert wurden. Gerade am Beginn der Kette solcher Kernreaktionen gibt es eine bisher kaum geklärte Frage, nämlich mit welcher Geschwindigkeit die Fusion von Helium zu Kohlenstoff und Sauerstoff erfolgt. Diese Geschwindigkeit geht entscheidend in Theorien der Sternentwicklung und der Entwicklung von Galaxien als Ganzes ein. Sie läßt sich wegen der extremen Zustände nicht im Labor messen und auch theoretische Kernphysiker stehen hier vor großen Problemen. Das Häufigkeitsverhältnis von Kohlenstoff und Sauerstoff in der "Asche'' dieser Fusionsprozesse läßt nun aber ziemlich genaue Rückschlüsse auf die gesuchte Reaktionsgeschwindigkeit zu. Damit bietet im vorliegenden Fall von H1504+65 die Natur die einzigartige Möglichkeit in dieser Frage, durch den freigelegten Aschenkern eines Sterns weiterzukommen. Die Häufigkeitsanalyse der Tübinger Wissenschaftler deutet auf eine überraschend hohe Reaktionsgeschwindigkeit hin.

    Präzisere Aussagen wird man erst mit der nächsten Generation von großen, leistungsfähigen Röntgenteleskopen erwarten können. Hier sind das amerikanische Chandra-Observatorium und das europäische XMM-Teleskop, an dessen Bau Tübinger Astronomen beteiligt sind, zu nennen, die in den Jahren 1999 und 2000 gestartet werden sollen.

    Nähere Informationen:
    Prof. Dr. Klaus Werner
    Institut für Astronomie und Astrophysik
    Universität Tübingen

    Tel.: (07071) 29-78601
    e-mail: werner@astro.uni-tuebingen.de


    Images

    Criteria of this press release:
    Mathematics, Physics / astronomy
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).